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Diese Japaner leben in Internet-Cafés, weil sie sich keine Wohnung leisten können

Besser als die drohende Obdachlosigkeit: Die Internet-Cafés sind warm, rund um die Uhr geöffnet und bieten einen letzten Rest Privatsphäre.
​Besser, als auf der Straße zu leben: Die Internet-Cafés sind warm, rund um die Uhr geöffnet und bieten ein letztes Restchen Privatsphäre. Alle Bilder: Screenshot Shiho Fukada. 

​Fumiya arbeitet als Teilzeit-Sicherheitskraft auf einer Baustelle. Eigentlich wollte er sich um eine Wohnung bemühen, aber sie war zu teuer—sein kleines Gehalt reichte nicht mehr. Aus Verzweiflung beschloss er schließlich, in ein Internetcafé zu ziehen, das rund um die Uhr geöffnet hat.

Zwischen Tür und Monitor hat sich Fumiya mit ein paar Kissen in einer Box eingerichtet, in der er kaum genug Platz zum Ausstrecken hat. Zum Glück ist das Internet-Café in Osaka relativ gut ausgestattet: Fumiya kann sich dort die Zähne putzen, waschen und sich mehr oder weniger gesund von Instant-Ramen ernähren. Für umgerechnet 15 Euro pro Nacht bietet sein kleiner Cubicle zumindest minimalen Schutz—und ein wenig mehr Privatsphäre als ein Leben auf der Straße.

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​Eine kleine Kulturgeschichte des Mundschutzes im japanischen Straßenbild

Der 26-Jährige ist einer von unzähligen Zeitarbeitern in Japan und ist damit nur ein Gesicht hinter dem wachsenden Phänomen der Internetcafébewohner, das erstmals in den 90er Jahren öffentliche Beachtung fand, sich aber in Japan seit den 2000er Jahren massiv verschlimmert hat.

Die Fotojournalistin Shiho Fukada hat einige Arbeiter nun in einem Film begleitet und ihr Schicksal dokumentiert:

„Die Internetcaféarbeiter kann man oberflächlich nicht von anderen Angestellten unterschieden—die ziehen sich eine Krawatte an und gehen ganz normal zu Arbeit", erzählte Fukada dem US-amerikanischen Public Service-Broadcaster ​NPR. „Sie geben sich herzzerreißend viel Mühe, eine Normalität aufrecht zu erhalten".

In Japan haben insgesamt 38 Prozent aller Arbeiter nur Kurzzeitverträge und verdienen nicht einmal halb so viel wie Vollzeitarbeiter, erklärt ein Gewerkschaftsvertreter. Angesichts der hohen Mieten in japanische Großstädten ist das häufig zu wenig, um in einer Wohnung zu wohnen.

Alle Bilder: Screenshots Shiho Fukada.

Auch Tadayuki Sakai war ein Salaryman bei einer Kreditkartenfirma, bevor er seinen Job nach Problemen mit seinem Vorgesetzten, bis zu 200 Überstunden im Monat und einer undiagnostizierten schweren Depression verlor. „Ich war so erleichtert, als ich meine Kündigung eingereicht hatte", berichtet er im Film Net Café Refugees.

„Mein Herz hat gesungen, ich hab nur noch darüber nachgedacht, was ich nun alles mit meinem Leben machen kann".

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Viel ist seitdem noch nicht passiert—Sakai musste seine Wohnung aufgeben, lebt nun ebenfalls in einem Internetcafé und rasiert sich im Treppenhaus.

„Die Japaner ertragen ihr Leid im Privaten, deswegen fand ich ihre Geschichten so erzählenswert", erklärt Fukada. Da die Japaner sehr zurückhaltende Menschen sind, die versuchen, ihr Gesicht selbst in Extremsituationen zu bewahren, war der intime Zugang zu ihren persönlichen Geschichten eine ganz spezielle Herausforderung. Das Ergebnis ist persönlich und sehenswert.

Shiho Fukada hat die Dokumentation in Zusammenarbeit mit der Nonprofit-Produktionsfirma ​Mediastorm erstellt und für das Pulitzer Center for Crisis Reporting produziert. Es ist der erste Teil einer dreiteiligen Serie namens „Japan's Disposable Workers", die die speziellen Probleme des japanischen Arbeitsmarkts beleuchtet und die sozialen Folgen der wirtschaftlichen Veränderungen in Japan dokumentiert.

Die gestiegene Arbeitslosigkeit und die rasante Veränderung der Wirtschaft hat schwerwiegende Folgen für die Menschen in Japan, die ihr Leben traditionell einem bestimmten Job widmeten. Wenn Arbeiter wegrationalisiert werden, fallen die zurückgelassenen Angestellten oft aus der Gesellschaft in extreme Armut und Einsamkeit. Wer kein Teil der Salaryman-Kultur ist, wird zum Außenseiter.

Die beiden anderen Teile von Fukadas Serie kann man sich  ​hier und ​hier angucken.

Das Phänomen der Internet-Café-Bewohner und ihre Einsamkeit in winzigen, fensterlosen Räumen droht sich unterdessen, angesichts einer Volkswirtschaft, die sich ​nur langsam von einer der schwersten Rezessionen ihrer Geschichte erholt, nur weiter zu verschlimmern—als kleiner Vorbote aus dem Worst-Case-Zukunftsszenario unserer Arbeitswelt.

„Ich kann all diese Schicksale gut nachvollziehen", erklärt die Regisseurin selbst. „Auch ich bin als freiberufliche Fotografin ersetzbar, wenn die wirtschaftliche Lage sich weiter verschlechtert. Ich könnte jeder von ihnen sein."