Leichen im Stand-by-Modus: Die Kunst, nicht zu sterben
​Alcors Kryotanks. Bild vom Autor.

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Leichen im Stand-by-Modus: Die Kunst, nicht zu sterben

„Auch Tote sollten ein Recht auf Leben haben.“ Wir haben mit Dr. Max More, dem Transhumanisten und Pionier der Kryokonservierung, über die Arbeit seines Unternehmens Alcor zur technischen Wiedererweckung Verstorbener gesprochen.

Der Tod ist seit Urzeiten ein allgegenwärtiger Gefährte des Menschen. Wir haben immer wieder versucht, das letzte Ereignis des Lebens zu beschreiben, und zahllose Anleitungen verfasst, wie dem Tod richtig zu begegnen sei. Zur Ratgeberliteratur zum Ende des Lebens gehören so unterschiedliche Texte wie das buddhistische Bardo Thödröl, das Ägyptische Totenbuch, und das weit weniger bekannte Ars Moriendi, ein christliches Buch aus dem Mittelalter, dessen lateinischer Titel soviel bedeutet wie „Die Kunst, richtig zu sterben".

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Für manche Transhumanisten gilt der Tod heute allerdings eher als Fehler im Lebenslauf und als besiegbare Krankheit denn als unumstößliche Gewißheit. Die vielleicht wichtigsten Vorkämpfer für eine technische Lösung der ultimativen menschlichen Gewissheit arbeiten in einem unscheinbaren Gebäude in Scottsdale, Arizona.

Auch tote sollten Rechte haben.

Hinter mehreren Zentimeter dicken Kevlarhüllen und verstärktem Beton lagern im Firmensitz der  Alcor Life Extension Foundation 129 Leichen im Stand-by-Modus, die in riesigen Tanks mit flüssigem Stickstoff kryokonserviert sind. Sie warten auf den Tag, an dem die Evolution der Technologie weit genug fortgeschritten ist, um sie wieder zum Leben zu erwecken—eine Hoffnung, deren Realisierung sie vor ihrem aktuellen Lebensende vertraglich mit Alcor geregelt haben und die sie durch jährliche Gebühren am Leben halten.

Ein Patient wird für die Kryokonservierung vorbereitet.

Ein Patient wird für Kryokonservierung vorbereitet. Bild: Alcor

1976 fror Alcor seinen ersten „Patienten", wie die Firma ihre Kunden nennt, ein. Inzwischen haben sich schon mehr als 1000 Menschen für die Kryokonservierung nach dem Ableben registriert. Diese Kunden zahlen bereits heute eine Jahresgebühr von rund 625 Euro und wenn sie sterben, werden bei einer Konservierung ihres Kopfes noch einmal rund 65.000 Euro fällig, während die Konservierung des gesamten Körpers bis zu 163.000 Euro kostet.

Für die Konservierung des Kopfes werden 65.000 Euro und für den ganzen Körper bis zu 163.000 Euro fällig.

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Zu den Kunden zählen sowohl  Teenager, die sich teilweise zusammen mit ihren Hunden einfrieren lassen möchten, wie auch ein wachsender Stamm an chinesischen Kunden. Der wohl berühmteste Alcor-Patient ist allerdings Ted Williams, der legendäre Baseballspieler, dessen Kopf in einem der kleineren Tanks aufbewahrt wird. (Die Gerüchte über einen pietätlosen Umgang mit seinem Kopf, die 2009 in einem reißerischen Buch veröffentlicht wurden, haben sich inzwischen allesamt als nicht haltbar herausgestellt.)

An der Anlage in Arizona begrüßte mich der Zukunftsforscher und Philosoph Dr. Max More, der seit 2011 als Geschäftsführer von Alcor fungiert. Der  überzeugte Vordenker eines technisch lösbaren Transhumanismus sieht zwar auf den ersten Blick aus wie einer, dem du nicht im Dunkeln oder im Jenseits begegnen möchtest, aber sein freundlicher, britischer Akzent, den er seit seiner Kindheit in Bristol und seine Studienzeit in Oxford pflegt, ließ unseren Rundgang schnell zu einem gemütlichen Besuch werden.

Dr. More hat mit Mizar Limite die erste europäische Biostasis-Organsisation gegründet und 1988 außerdem den Grundstein für den Transhumanismus Think Tank  ​Extropy Institute gelegt. Danach zog er in die Vereinigten Staaten, lehrte Philosophie und schrieb seine Dissertation an der University of South Carolina. 1996 heiratete er Dr. Natasha Vita, die ebenfalls eine wichtige Rolle in den aktuellen Debatten des Transhumanismus einnimmt. Seit 2002 lebt das Paar im texanischen Austin. Nach unserer Tour durch die Alcor-Anlage habe ich mich mit Max über die tief verankerte soziale Gewissheit des Sterbens, eine Gesellschaft ohne den Tod, und seine Geschäfte mit der transhumanistischen Wiedererweckung gesprochen.

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MOTHERBOARD: Was sind die neuesten technischen Entwicklungen in der Kryonik?

Dr. Max More: Aktuell forscht Alcor an der sogenannten Mitteltemperaturlagerung. Dabei sollen Menschen bei einer leicht höheren Temperatur als bisher aufbewahrt werden, also ungefähr bei -130C°. So soll Knochenbrüchen besser vorgebeugt werden. Ich persönlich halte das für kein großes Problem, aber für manche Transhumanisten ist diese Enwicklung ein großer Schritt. Die Technik wäre teurer, weil wir ein aktives System benötigen, dass den flüssigen Sauerstoff ständig aufheizt. Momentan bieten wir das noch nicht serienmäßig an. Wir haben drei Patienten, die zu Forschungszwecken so aufbewahrt werden, aber in Zukunft könnte das für mehr Menschen zu einer Alternative werden. Außerdem experimentieren wir gerade mit der sogenannten Flüssigkeitsbeatmung, die bislang noch nicht wirklich entwickelt wurde.

Was genau bedeutet bei euch Flüssigkeitsbeatmung?

Kennst du den James Cameron-Film The Abyss? Da atmen die Protagonisten statt Sauerstoff Fluorkohlenstoffe ein. Das ist tatsächlich ein sehr effizientes Medium zur Weiterleitung von Wärme. Aktuell wird an einem System geforscht, das den Kühlungsprozess des Körpers beschleunigen soll, und dabei lassen wir diesen flüssigen Fluorkohlenstoff in den Lungen zirkulieren.

Lungen haben ja eine unglaublich große Aufnahmefläche und bestehen aus diesen winzigen Blutgefäßen, die sich über ein riesiges Oberflächengebiet verzweigen—wenn wir diese gesamte Fläche wirklich effizient für die Abkühlung des Körpers nutzen würden, dann ließe sich der Prozess ungemein beschleunigen.

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Max More umgeben von toten, gefrorenen Menschen.

Wie sieht es mit dem Wiederbeleben von Menschen aus?

Bis zur vollständigen Wiederbelebung ist es noch ein weiter Weg. Alcor betreibt auch nicht sonderlich viel Forschung auf dem Gebiet, weil unsere Mittel und Möglichkeiten sehr begrenzt sind. Es gibt da aber ein Start-up, über das ich eigentlich nicht reden kann, das sich mit Technologien der Wiederbelebung beschäftigt: Organzucht, Gewebeaufzucht. Das ganze Feld der regenerativen Medizin und alle Entwicklungen auf dem Gebiet sind auch sehr relevant, für das was wir tun.

WERDE TEIL DER 0.00004%

Wir profitieren auch von vielen anderen Forschungsfeldern, wie der Nanomedizin und den Versuchen, Organe kältezukonservieren. Es wurde auch tatsächlich bereits eine Kaninchenniere erfolgreich kryokonserviert. Die Niere wurde für mehrere Monate eingefroren, dann wieder aufgewärmt, in das Kaninchen implantiert und sie funktionierte tatsächlich. Es ist aber schwierig, das zu wiederholen, weil die Firma, die die in der Kryo-Lösung verwendeten Chemikalie hergestellt hat, inzwischen nicht mehr existiert. Und niemand anderes konnte das Mittel bisher genau so nachmachen. Angeblich ist das Problem aber nun gelöst und man glaubt, die Studienergebnisse reproduzieren zu können. Das wäre großartig. Das wieder eingesetzte funktionierende kryokonserviertes Organ war eine absolute Weltpremiere.

Die Einfrierung selbst lässt sich bereits heute mit allen möglichen Gewebeproben machen—es ist ja inzwischen nicht ungewöhnlich, Spermien oder Eier einzufrieren. Es gibt also schon Dutzende Gewebe, die eingefroren und wieder aufgewärmt werden können. Aber vom einzelnen Gewebe zum ganzen Organ zu kommen, das ist schon deutlich schwieriger.

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Wie weit sind wir denn davon entfernt, zu verstehen, wie wir Gehirne auftauen könnten?

Wir stellen uns das so vor, dass das Gehirn sich Zelle für Zelle repariert. Deshalb wollen wir auch den Schaden daran so gering wie möglich halten, denn wir wissen, dass es da viele Neuronen zu reparieren geben wird. Es ist schon heute bekannt, dass man unter idealen Bedingungen Gehirne sehr gut konservieren kann—schaut man sich vitrifiziertes Hirngewebe von Tieren unter dem Elektronenmikroskop an, sieht es großartig aus. Man kann sehen, dass alle Membranen intakt sind, die Neuronen sind alle verbunden und es sieht einwandfrei konserviert aus.

Wir sehen unsere Patienten als Menschen an, aber vor dem Gesetz sind sie nur Organspenden und Gewebeproben.

Schlechter sieht es aus, wenn wir das Hirn nicht perfusionieren können und Eiskristalle daran Schäden verursachen, aber das heißt trotzdem nicht, dass es komplett zerstört ist. Aus unserer Sicht ist die Zerstörung der funktionalen Fähigkeiten zweitrangig. Was wirklich zählt ist, dass wir genug von der Struktur erhalten, die die Technologie der Zukunft wiederherstellen kann. Wir glauben, dass man später wissen wird, wie man auch stark beschädigtes Gewebe wieder zusammensetzen kann.

Der Hauptsitz von Alcor.

Warum ist der Erhalt der Struktur und nicht der Funktionalität des Gehirns so wichtig?

Alle unsere wissenschaftlichen Erkenntnisse über die menschliche Persönlichkeit, deuten darauf hin, dass sie physisch im Hirn gespeichert wird. Mal abgesehen vom Kurzzeitgedächtnis, das aus der elektrischen Aktivität der vergangenen Minuten besteht. Aber alle längeren bewussten Prozesse werden als permanente Änderung in den Neurotransmitter-Verbindungen des Gehirns abgespeichert. Und genau diese können wir unter idealen Bedingungen erhalten.

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Die Kriterien für den Tod haben sich mit der Zeit gewandelt.

Unsere Aussagen sind hier nicht nur spekulativer Natur. Wir haben ein Programm, das CT-Scans von den Hirnen unserer Kopf-Patienten macht. Bei den Ganzkörperpatienten können wir leider keine machen, weil sie nicht durch den Scanner passen. Man nahm immer an, dass CT-Scans nicht durch Aluminiumtanks hindurch funktionieren würden, aber es stellte sich heraus, dass es eben doch klappt. Daher können wir richtig gute Aufnahmen von den Gehirne unserer Patienten machen.

Was bedeutet der Tod für Sie? Die Kryoniker scheinen das Binärsystem überwinden zu wollen, in dem man entweder als tot oder lebendig gilt. Trifft einer dieser beiden Zustände überhaupt auf die Alcor-Patienten zu?

Zunächst einmal müssen wir verstehen, dass sich die Kriterien für den Tod mit der Zeit gewandelt haben. Die Leute denken, tot ist tot, aber so einfach ist es nicht. Wenn ich 50 Jahre zurückdenke und jemand vor mir umgefallen wäre, weil sein Atem aussetzt oder sein Herz aufhört zu schlagen, dann hätten wir gesagt, er ist tot—das war's. Heute wäre es allerdings Konsens, sofort etwas für seine Rettung zu tun. Und das können wir ja auch: mit Defibrillatoren, Reanimationsmaßnahmen und so weiter. Und in vielen Fällen werden diese Menschen erfolgreich wiederbelebt. Waren die also tot? Nein, nicht wirklich. Es gab ja auch schon Leute, die für Stunden klinisch tot waren und wieder zurück ins Leben geholt wurden. Gerade bei Kindern klappt das, weil sie schneller auskühlen als Erwachsene. Wenn sie in kaltes Wasser fallen, brechen ihr Kreislauf und ihr Stoffwechsel sehr schnell zusammen; das ist eigentlich das selbe Prinzip, das wir anwenden: Die Kühlung verlangsamt die Beschädigungen und die Menschen können wiederbelebt werden.

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Es gibt den rechtlichen Tod, der ausschließlich dann eintritt, wenn dich ein Arzt für tot erklärt hat. Dann gibt es noch den klinischen Tod, bei dem der Atem aussetzt und dein Herz nicht mehr schlägt. Und letztlich gibt es noch den biologischen Tod. Das ist der Zeitpunkt, an dem die Zellen wirklich absterben—das braucht seine Zeit. Aber selbst das ist noch immer nicht der Tod, im Sinne eines unumkehrbaren Punktes, an dem es unmöglich ist, dich zu reparieren; sagen wir, weil du eingeäschert wurdest. Wenn noch genügend Struktur von dir übrig ist, bist du noch nicht ganz tot. Etwa wie jemand, der in einem tiefen Koma liegt, und bei dem der Stoffwechsel funktioniert, aber nicht das Gehirn.

Momentan sind die Patienten rechtlich unser Eigentum, aber das muss sich irgendwann ändern.

Ich glaube, dass wir neue rechtliche Definitionen und Regelungen brauchen, in denen auch die Toten Rechte haben. Wir brauchen eine Art dritte Kategorie des Lebens. Einen Garantierahmen, in dem es eben nicht in Ordnung ist, Menschen zu entsorgen, in dem sie aber auch noch nicht wieder befugt sind, neue Verträge abzuschließen oder ähnliche Neuregelungen ihrer Zukunft zu treffen. Momentan sind die Patienten rechtlich unser Eigentum, aber das muss sich irgendwann ändern. Sie haben keinen separaten Rechtsstatus. Wir sehen unsere Patienten als Menschen an, als potentielle Menschen, aber vor dem Gesetz sind sie nur Organspenden und Gewebeproben.

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Wenn die Toten eigentlich gar nicht tot sind, was bedeutet dann überhaupt der Tod und wann sollten wir diesen Begriff verwenden?

Mir gefällt es, zur Bestimmung von Leben und Tod und dem Dazwischen auf das informationstheoretische Kriterium zurückzugreifen. Wenn noch genügend Struktur übrig geblieben ist, genügend Informationen über diese Struktur und insbesondere über die Hirnzellen vorhanden sind, so dass man das Hirn reparieren kann, dann bist du potentiell noch zu retten.

Als Analogie: Nehmen wir an, du schreibst ein paar Sachen auf ein Papier und denkst plötzlich erschrocken: „Huch, das ist ja illegal" und zerreißt dieses Papier. Du wähnst dich in Sicherheit, weil du die Information zerstört hast. Das Dumme ist, dass die NSA oder wer auch immer die Überreste des Papiers scannen und die Informationen mit einem Algorithmus wieder herstellen könnte. Denn es ist viel schwieriger, Informationen tatsächlich zu zerstören, als die meisten Menschen annehmen.

Etwas Ähnliches würde nun auch auf das Hirn zutreffen. Selbst wenn es viel Schaden genommen hat, gäbe es natürlich einen Punkt, an den man es nicht mehr retten könnte. Aber es ist völlig unklar, wo dieser Punkt liegt. Solange wir Programme haben, um Schäden rückgängig zu machen, bist du noch nicht verloren. Es wäre schwierig, die Information wieder herzustellen, aber nicht zwangsläufig unmöglich. Er ist schwer, zu sagen, wann jemand tatsächlich tot ist, weil es eben auch auf unsere Instrumente und Fähigkeiten zur Wiederherstellung ankommt. Aber ich denke, wenn jemand nur noch ein Häufchen Asche ist, dann war es das.

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CT-Scans der Patienten geben Aufschluss über den Perfusionsstaus des Gehirns. Bild vom Autor. ​

Wie laufen die Geschäfte momentan bei Alcor?

Wir expandieren weiter. Aber wenn du mich fragst, geht das viel zu langsam. Ich finde es überraschend, dass unser Unternehmen nicht schon viel größer ist, weil es uns ja schon seit 42 Jahren gibt. Wir hatten Phasen, in denen wir stärker gewachsen sind, in den 80er und 90er Jahren beispielsweise hatten wir eine Wachstumsrate von 25-30 Prozent, die danach wieder in den niedrigen einstelligen Bereich zurückgegangen ist. Auch der Lauf unserer Geschäft hängt mit der schlechten wirtschaftlichen Lage zusammen und der Angst unserer Kunden vor einer Verschuldung. Der Alcor-Aufsichtsrat wollte, dass die Jahresgebühren angehoben werden, um unabhängiger von Spenden zu werden. Aber das ging den meisten Kunden zu weit. Inzwischen haben wir die Gebühren schon zweimal wieder gesenkt und haben mittlerweile auch Studentenrabatte und Ermäßigungen für Langzeitmitglieder.

Wieviel kostet es, sich auf der Stelle einfrieren zu lassen?

Zunächst mal gibt es die jährlichen Mitgliedsgebühren, die setzen sich zusammen aus 427 Euro Jahresgebühr plus 145 Euro für unseren Comprehensive Member Standby Plan (CMS). Das ist unsere Garantie, dass wir stets zur Stelle sein werden, wo auch immer dir etwas zustoßen könnte. Gerade haben wir eine neue Regelung eingeführt, bei der Kunden 16.100 Euro bezahlen können und wir dafür die Kosten des CMS-Plans komplett erlassen. Das ist besonders für junge Leute interessant, denn 16.100 Euro als zusätzliche Lebensversicherung sind nicht besonders viel Geld; während sich 180 Euro pro Jahr nach einer deutlich höheren Belastung anhören. Dazu kommen dann die Kosten für die Kältekonservierung des Kopfes oder des ganzen Körpers, also rund 65.000 Euro bzw. 163.000 Euro.

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Vor ein paar Jahren hab ich einen Vortrag mit dem Titel „Werde Teil der .00004%" gehalten. Dass wir bisher nur so wenige sind, erscheint mir wirklich wahnsinnig. Es gibt so viele verrückte Ideen auf der Welt, die viel mehr finanzielle Unterstützung erhalten. Wir sind bereits seit 42 Jahren aktiv und haben nur 1008 Mitglieder. Zugegebenermaßen sind unsere Idee mit gewissen Ausgaben verbunden, aber ich glaube nicht, dass das die größte Hürde ist.

Was ist für einen Menschen denn die größte Hürde, sich einfrieren zu lassen?

Wir kämpfen gegen massive kulturelle und psychologische Grenzen an. Ich bin aber zuversichtlich, dass wir auch in diesen Diskursen irgendwann Erfolg haben werden. Auch medizinische Eingriffe am offenen Herzen stießen zunächst auf eine breite Ablehnung. Genauso erging es Anästhesisten—die Leute haben sich die lächerlichsten Ausreden einfallen lassen. Man wollte zum Beispiel keine Anästhesie bei der Geburt durchführen, und zwar, weil Frauen bei der Geburt leiden sollten, als Strafe für ihre Sünden. Es ist unglaublich, was die Menschen sich bei der Behandlung ihrer Körper so zusammenreimen.

Die Kryonik ist vielen Menschen besonders schwer zu vermitteln, weil sie eine komplexe Sache ist. Du musst bereit sein, dich mit dem Tod auseinanderzusetzen.  Und wir haben dabei nicht automatisch eine tröstliche Antwort parat. Unsere Versprechen sind anders als die einer Religionsgemeinschaft: „Unterschreib hier und wir bringen dich garantiert zurück". Das wäre unredlich, denn wir können nichts garantieren. Es kommt darauf an, wie gut du von Anfang an erhalten warst und wir können natürlich auch keine Prognose über die Technologien abgeben, die zukünftig noch entwickelt werden.

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Dementsprechend haben wir einen Vertrag, in dem seitenweise Ungewissheiten festgehalten werden. Wir listen den Menschen sozusagen alles auf, was schief gehen könnte. Das ist aber nicht das, was Menschen mögen. Sie wollen Gewissheiten. Sicher sein, dass alles hundertprozentig nach Plan läuft und sie es schaffen, oder überzeugt sein, dass sie es nicht schaffen, damit sie sich mental darauf einstellen können, was mit ihnen passiert.

Rein rechnerisch stehen die Chancen auf ein Weiterleben in jedem Fall besser als bei einer Einäscherung oder bei einem Begräbnis.

Ja, und diese Aussage sollte wirklich eine selbstverständliche Feststellung sein, aber die menschliche Psychologie funktioniert anders. Ich finde es immer sehr ärgerlich, wenn Leute uns vorwerfen: „Was ihr macht ist Betrug! Ihr wollt doch nur reich werden". Wenn es uns nur ums Geld ginge, dann gäbe es viel bessere Methoden als ein Unternehmen zur Kryokonservierung—es ist aber sehr schwierig, den Leuten das klarzumachen.

Alcors OP-Saal. Bild vom Autor

Könnte man mit der Kryokonservierung denn theoretisch reich werden?

Wir arbeiten als Non-Profit-Organisation. Es gibt also niemanden, der unmittelbar persönlich daran verdient. Selbstverständlich zahlen wir unseren Mitarbeitern ein Gehalt, aber der Aufsichtsrat bekommt nichts. Wir arbeiten also ohne große Gewinnspannen, aber dieses Vorgehen hilft der Expansion unseres Unternehmens.

Die Gewinne fließen hauptsächlich in die Lagerung der Patienten und in den normalen Betrieb. Und wir haben einen Fond für Notfälle zurückgestellt. Der wird uns in möglichen Gerichtsauseinandersetzungen helfen, falls wir beispielsweise gegen staatliche Regulierungsinitiativen klagen. Und letztlich ist es nach wie vor ungewiss, wie viel Geld es kosten würde, die Patienten wieder zum Leben zu erwecken.

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Die Kosten der Konservierung in diesen Tanks kennen wir immerhin bereits ziemlich gut: Von den 162.500 Euro, die ein Ganzkörperpatient bezahlen muss, fließen, nach Abzug der Aufwendungen für Operationen, die Chemikalien und alle andere Kosten, rund 93.000 Euro in einen Treuhandfonds, der ausschließlich zur Pflege des Patienten verwendet wird. Der Betrag wird von einem seperaten Aufsichtsrat verwaltet. Das Geld ist auch nach deinem temporären Tod gut geschützt und angelegt. Das ist eine wirklich  einzigartige Regelung—keine andere Organisation macht so etwas.

Unser Plan ist es, dieses Kapital von 93.000 Euro nie antasten zu müssen: Wenn wir das Geld nicht ausgeben, von den Zinsen profitieren und es gut investieren , dann können wir diese Summe trotz der Inflation vielleicht sogar ein wenig vermehren. Wenn es also in Zukunft möglich ist, Menschen technisch wiederzuerwecken, dann wird hoffentlich auch eine nette Summe für die notwendigen Operationen übrig sein.

Wir haben noch keine Ahnung, was die Wiederbelebung kosten könnte. Wenn Roboter die ganze Arbeit übernehmen, dann könnte es sehr billig werden, aber vielleicht kommen auch horrende Kosten auf uns zu. Da wir eine Non-Profit-Organisation sind, können wir die Fondsgelder der Patienten nicht einfach so hin und her schieben—es bleibt in einem gemeinsamen Topf. Wir bieten auch private Treuhandkonten an, falls unsere Patienten das bevorzugen. Wir hatten sogar gerade neulich einen Multimillionär als Patienten, der uns nicht wirklich viel hinterlassen hat, aber er sagte: „Wenn ihr mich zurückholt, gebe ich euch eine Million"—sozusagen als Anreiz für uns.

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Noch einmal im OP-Saal. Bild: Alcor ​

Gibt es eigentlich Beerdigungen oder Trauerfeiern bei Alcor? Eine Beisetzung im offenen Sarg kann man ja wohl mit diesen großen Metallkisten nicht so einfach organisieren.

Wir selbst organisieren oder veranstalten nichts dergleichen. Aber der Familie des Patienten steht es natürlich frei, eine  Beerdigung oder Trauerfeier zu organisieren. Die Situation ist ein wenig knifflig: Die Patienten glauben ja meist genau wie wir, dass die Kryonik funktioniert, und deswegen ist die Trauerfeier kein endgültiges Abschiednehmen, sondern hoffentlich eher ein Bis-später-sagen. Also musst du dich als Angehöriger emotional mit dem Gedanken arrangieren, dass du die Person für eine ganze Weile nicht sehen wirst, aber gleichzeitig auch nicht komplett loslassen kannst. Geschwister oder Partner können unseren Patienten einmal im Jahr schreiben. Wir archivieren diese Zuschriften auf. Wenn unsere Patienten dann zurückkommen, können sie all diese Texte und Informationen lesen und die verlorene Zeit aufholen.

Auf einer Wolke liegen und an einer Harfe zupfen klingt verdammt öde.

Natürlich ist der Großteil unserer Mitglieder offensichtlich nicht wirklich religiös. Religiöse Menschen glauben an ein Leben nach dem Tod, da erscheint es vielleicht nicht ganz so dringend, zurückzukommen. Wieso sich auf der Erde abmühen, wenn man doch bald an einen ganz entspannten, schönen Ort kommt—so lautet da wohl der Gedankengang. Obwohl ich wirklich nicht verstehe, wie Leute denken können, dass so tatsächlich der Himmel aussieht. Nirgendwo ist der richtig toll beschrieben. Für mich klingt das alles jedenfalls ziemlich langweilig. Auf einer Wolke liegen und an einer Harfe zupfen oder sich in Gottes Glanz baden klingt verdammt öde.

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Aber selbst wenn du religiöse Überzeugungen hast, sehe ich da keinen Konflikt zu unserem Modell. Wer würde schon radikale Operationen ablehnen, die dein Leben vor Krebs oder Herzkrankheit bewahren? Gut, vielleicht christliche Wissenschaftler, aber alle anderen wären doch sofort dabei.

Mir scheint es so, als müsste man als Kunde oder Patient von Alcor der menschlichen Zukunft gegenüber sehr positiv eingestellt sein. Da ist ein inhärenter Optimismus, den ich bei Ihnen heraushöre. Aber ist es nicht seltsam, dem Tod gegenüber positiv eingestellt zu sein?

Aber es stimmt doch: Alles wird immer besser. Zu welcher Zeit würdest du gern in der Vergangenheit gelebt haben? Ich für meinen Teil kann sagen: Eine vergleichbare Epoche gab es nie. Die Menschen begreifen nicht, dass wir heutzutage mit weniger Gewalt kämpfen müssen, als je zuvor, dass weniger Menschen verhungern. Es gibt Höhen und Tiefen, aber langfristig wird das Leben immer besser, warum soll es also nicht so weitergehen? Meiner Meinung nach wird die Welt mit den Wiederauferstandenen mindestens so gut wie heute, wenn nicht noch besser—vorausgesetzt, wir machen unsere Sache gut.

Die Menschen haben aber Angst, dass es funktioniert—das ist das große Hindernis. Sie haben Angst, in eine Welt zurückzukommen, ohne jemanden zu kennen, mit obsoleten Fähigkeiten und unnützem Wissen. Ich glaube, genau das unterscheidet unsere Mitstreiter von denen, die nicht mit uns kommen wollen. Wenn du Freunde und Familie dabei hast, dann wirst du auch nicht allein sein. Und wenn unsere Idee beliebter wird, kann ich mir gut vorstellen, dass es Menschen gibt, die die Zurückgekommenen psychosozial auf das neue Leben in der Zukunft vorbereiten—als eine Art transhumanistischer Integrationshelfer. Das ist doch keine große Sache. Menschen, die bereit für Abenteuer sind, machen sich darum keine allzu großen Sorgen.

Wenn Menschen aus den Tanks zurückkommen, werden sie dann noch dieselbe Person sein?

Meine Gedanken sind hier von Derek Parfits Arbeit in Oxford geprägt. Sein Ansatz ist eine Aktualisierung älterer philosophischer Konzepte. John Locke schreib, dass du dieselbe Person bleibst, solange du dir deine Erinnerung bewahrst. Das halte ich nur teilweise für zutreffend, denn was heißt schon Erinnerung? Menschen haben ein deklaratives Gedächtnis, ein Arbeitsgedächtnis und so weiter. Parfait meinte, wenn du diese verschiedenen Erinnerungen, psychologischen Aspekte und Werte zusammennimmst, können wir dich als dieselbe Person bezeichnen. Zum Beispiel wenn es genügend Verbindungen zwischen deinem Ich aus dem Jahr 2004 und deinem Ich von 2014 gibt. Wenn es also genug Überschneidungen zu einem spezifischen Zeitpunkt gibt—auch wenn die Erfassung der jeweiligen Kriterien ein wenig kompliziert und chaotisch werden können—dann bist du ein kontinuierliches Individuum.

Du kannst einen Autounfall haben und ein Loch im Kopf davontragen, und vielleicht verlierst du auch dein Gedächtnis oder deine Persönlichkeit verändert sich drastisch—rechtlich können wir dich immer noch als ein und dieselbe Person bezeichnen, obwohl du das gar nicht bist. Ob du dieselbe Person bist oder nicht, ist eine Frage von Nuancen. Und die betrifft nicht deinen Körper—das bist du nicht.

Was bedeutet in ihrer Definition dann das Ich?

Das menschliche Ich ist eine Ansammlung all deiner psychologischen Züge, Erinnerungen, Werte, all das, was dich zu deinem spezifischen Handeln antreibt. Ich kann da keine Seele sehen. Ich habe keine Verständnis und keine Verwendung für das Konzept der Seele. Das ist ein sehr seltsames Konzept, das mir noch niemand so richtig erklären konnte. Wozu soll eine Seele dienen?

Und für den Fall des informationstheoretischen definierten Todes, was, denken Sie, passiert mit „ihnen"? Haben Sie Angst vor diesem Tod?

Ich bin ja nicht da. Es ist ja auch schwierig zu entscheiden, ob ich dann überhaupt tot bin, weil ich überhaupt nicht mehr bin. Ich denke, das verstehen viele Leute gern falsch: Dass der Tod eine Art Zustand sei. Ich habe keine Angst vor dem Tod. Das ergibt überhaupt keinen Sinn für mich, wie könnte ich denn Angst vor den Tod haben? Der Tod ist nichts. Er ist nur ein Mangel an Sein.

Was ich am Tod nicht mag, ist nicht die Angst vor einem negativen Erlebnis oder einer schlechten Erfahrung, was schlimm daran ist, ist, dass er das Ende aller Erfahrungen markiert. Er ist das Ende aller Dinge, die ich genieße—das Ende der menschlichen Kreativität und der Liebe. All das verschwindet und deshalb finde ich ihn so schlimm. Ich fürchte mich nicht vor dem Tod im eigentlichen Sinne; ich fürchte das Sterben. Ich fürchte mich davor, einen elenden, schrecklichen Tod zu sterben, der mich leiden lässt. Nicht den Tod oder das tot sein. Diese beiden Dinge sind inkohärent, und sie zusammenzumischen ergibt keinen Sinn.