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Gespräche mit dem Hacker, der Ticketmaster und Konzerte zerstört hat

Ken Lowsons Ticket-Bots haben den US-Schwarzmarkt mit Konzertkarten jahrelang dominiert. Heute will er für Fairness sorgen.
Porträt von Damien Maloney

Als die irische Rockband U2 sich im Februar 2005 den dritten Grammy des Abends abholte, trat der Schlagzeuger Larry Mullen Jr. ans Mikrofon und machte eine Ankündigung zur bevorstehenden "Vertigo"-Tour der Gruppe. "Aus Gründen, die sich unserer Kontrolle entziehen, haben viele treue Fans keine Tickets bekommen", sagte er. "Ich möchte mich im Namen der Band dafür entschuldigen."

Der Grund, warum zahlreiche U2-Fanatiker leer ausgingen, war Ken Lowson. Der berüchtigtste Konzertkarten-Schwarzhändler der Geschichte hatte fast alle 500 Tickets mit freier Platzwahl aufgekauft, die bei jedem Konzert der Tour für den Fanclub reserviert waren.

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"Als der Verkauf losging, holten wir uns 496 Plätze in New York, 492 in Boston und 496 in L.A.", sagt Lowson, Ex-CEO von Wiseguy Tickets, bei einem unserer vielen Telefonate im letzten halben Jahr. "U2 entschuldigte sich bei den Grammys wegen uns und verkaufte die Tickets dann erneut – aber in der zweiten Runde haben wir uns wieder alle guten Plätze geschnappt."

Lowson war für Tickets, was Pablo Escobar für Kokain war.

Neben U2 konnten auch Dutzende weitere Künstler wegen Lowson keine Tickets für ihre Fans freihalten. Ticket-Bots und -Schwarzhändler gelten im öffentlichen Bewusstsein so eindeutig als unethisch, dass sich sogar schon die Politik zum Handeln gezwungen sah. Im vergangenen Jahr verabschiedeten beide Häuser des US-Kongresses Jahr einstimmig ein Verbot von Ticket-Bots.

Doch unter den Ticket-Dealern glaubt niemand, dass ein Bot-Verbot den Schwarzmarkt ernsthaft gefährden wird. Inzwischen ist es sieben Jahre her, dass 30 bewaffnete FBI-Agenten Lowsons Büro in Los Angeles stürmten, weil er, so der Vorwurf, Ticketmaster "kaputt gemacht" hätte. Lowson behauptet, er habe im Ticket-Handel seither den Status eines Frank Abagnale Jr., dem berüchtigten US-Hochstapler (bekannt aus Catch Me If You Can). Nur er könne heute garantieren, dass Tickets wieder an Fans verkauft werden.

Um vernünftig über das Thema Ticket-Schwarzmarkt diskutieren zu können, muss man zunächst den Irrglauben beseitigen, die Fans hätten einen drängenderen Wunsch nach Tickets als die Händler. Die Fans sind sicherlich heißer auf das Konzert, aber die Händler sind mindestens genauso heiß auf Profit. Wie viel Aufwand kostet es die Schwarzhändler wohl, die Ticketmaster-Website zu studieren, Vorverkaufspasswörter zu recherchieren und die für Vorverkäufe nötigen Kreditkarten zu beantragen? Dass Schwarzhandel harte Arbeit ist, habe ich durch einen fehlgeschlagenen Versuch während meines Studiums gelernt. Sechs Jahre später zahle ich noch immer die Kreditkarten ab.

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Lowsons Namen kannte ich aus meiner Zeit als erfolgloser kleiner Schwarzhändler. Als die Gesetze gegen Ticket-Bots näherrückten, wollte ich wissen, was er davon hielt. Mir war schon klar, dass ein Bot-Verbot den Schwarzmarkt nicht abschaffen würde, also kontaktierte ich Lowson und überzeugte ihn davon, dass ich wirklich lernen wollte, wie die Branche funktioniert, anstatt dieselben alten Plattitüden über Bots zu wiederholen. In unseren Telefonaten sprachen wir darüber, wie er sich ein Imperium aufbaute und warum er nun meint, der beste "Anti-Schwarzhändler" werden zu können.

Der frühe Erfolg seiner Firma Wiseguy hatte nichts mit Bots zu tun. Ende der 1990er befehligte Lowson ein ganzes Heer von Zwischenkäufern mit schnellen Internetverbindungen, die unauffälligen Büronischen irgendwo in Las Vegas saßen. Davor arbeiteten Zwischenkäufer, "ticket pullers" genannt, rein telefonisch: Sie merkten sich den schnellsten Weg durch die Telefondialogmenüs und überredeten Angestellte der Firma, ihnen Tickets zu reservieren, sobald sie erhältlich waren. Lowson wollte den Prozess automatisieren und fand in einem Programmiererforum einen bulgarischen Teenager, der es versuchen wollte.

Der Programmierer bastelte ein rudimentäres Programm, das Ticketmaster-Formulare ausfüllen konnte, doch die frühesten Versionen konnten noch keine Massenkäufe tätigen. Lowson verbesserte die Bot-Software, indem er den Bot auf Servern in den gesamten USA laufen ließ –ihm war aufgefallen, dass manche IP-Adressen einen Tick früher Zugang bekamen als andere.

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Wie Lowson das CAPTCHA-System in die Knie zwang

Das letzte Puzzlestück war das CAPTCHA-System, mit dem Ticketmaster gegen Bots vorging. Ein Mensch muss in diesem System eine durchgestrichene oder verschwommene Buchstabenfolge eintippen, um zu beweisen, dass er keine Maschine ist. Wiseguy fand heraus, dass Ticketmaster anstelle von Millionen nur 30.000 CAPTCHA-Bilder in seiner Datenbank hatte. Also lud Lowsons Team jedes Bild als JPEG-Datei herunter, tippte das Wort ab und brachte es seinem Bot bei.

"Ticketmaster hat da jahrelang nichts dran geändert", sagt Lowson. "Als uns klar wurde, dass die CAPTCHA-Datenbank statisch war, rechneten wir aus, wie viele Tickets wir kriegen konnten, und wussten, dass wir etwas Großes hatten."

Wiseguy begann, den Ticket-Markt zu dominieren. Als 2006 der Verkauf der Tickets für das nationale Footballmeisterschaftsspiel Rose Bowl begann, kaufte Wiseguy den Großteil der öffentlich erhältlichen Tickets. Die Kauflisten der Firma zeigen, dass sie sich auch die besten Tickets für die Reunion-Tour von AC/DC, für Elton John, Paul McCartney, Playoff-Spiele, das Broadway-Stück Wicked und viele mehr sicherten.

"Wir haben den Ticket-Bot-König angeheuert, damit die anderen Bots den Fans nicht die Tickets wegnehmen."

Mit dem Bot landete Wiseguy an der Spitze des Schwarzmarkts. Statt sie einzeln zu verkaufen, setzte Lowson seine Tickets direkt bei unabhängigen Ticketverkäufern ab, die sie dann auf Online-Marktplätzen wie StubHub an Fans weiter verkauften.

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Lowson war für Tickets, was Pablo Escobar für Kokain war. Er war für ein ganzes Netzwerk von Händlern die Hauptbezugsquelle der Ware.

Zwischen 2001 und 2010 kaufte und verkaufte Wiseguy ungefähr 1,5 Millionen Tickets und häufte damit mehr als 25 Millionen Dollar Gewinn an. Auf dem Höhepunkt ihrer Macht hatte die Firma fast 30 Angestellte.

Von Händlern behandelt wie Rockstars, von Fans gehasst

"Auf Ticketvermittlerkonferenzen waren wir Rockstars", sagt Blake Collins, ein ehemaliger Wiseguy-Angestellter. "Alle wollten uns in den Stripclub oder zum Abendessen ausführen."

Lowson sammelte seltene Uhren und pflasterte die Wände der Wiseguy-Büros mit Erstausgaben klassischer Comics. Mit seinen fünf Partnern spielte er mit dem Gedanken, Draculas Schloss in Transsylvanien zu kaufen und daraus einen Themenpark für Erwachsene zu machen. Doch dann ging alles den Bach runter.

Im März 2010 traten bewaffnete FBI-Agenten die Türen des Wiseguy-Büros in Los Angeles ein. Wiseguy hatte das Büro von der Versicherung AIG übernommen, gegen die es zu dieser Zeit viele Ermittlungen wegen Betrugs gab.

"Ken meinte sofort: ‚Wir sind nicht AIG'", sagt Collins. "Wir waren ein Haufen Normalos an Computern, mit Spielzeug und solchem Kram auf dem Schreibtisch. Wir haben nie was Illegales gemacht."

Ticket-Bots waren bis voriges Jahr in den USA nicht illegal, doch das FBI bediente sich des Computer Fraud and Abuse Act, eines allgemeinen Hacking-Gesetzes, um gegen die Firma zu ermitteln. Die Bundespolizei wollte an Wiseguy ein Exempel statuieren und klagte Lowson und zwei seiner Kollegen wegen Betrugs in 42 Fällen an. Letzten Endes legten sie dann ein strafmilderndes Bekenntnis ab und kamen mit einer Bewährungsstrafe davon.

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Nun will der geläuterte Schwarzhändler-König für Fairness sorgen

Lowson entschuldigt sich für nichts und hält den Ticket-Schwarzhandel nicht für zwangsläufig unmoralisch. Er sieht den sekundären Ticketmarkt sogar als einen der freiesten Märkte im US-Kapitalismus.

Wenn einer in der Lage sei, den Ticketkauf besser zu gestalten, dann er, meint Lowson. Sein Bot habe ihm gezeigt, dass Ticketmaster beworbene Tickets gar nicht zur Verfügung stellte. Oft standen nur Tickets für gewisse Bereiche zum Verkauf, während der Rest für Firmensponsoren, Radiosender, VIP-Pakete und andere Reservierungen zurückbehalten wurde. Ein Bericht des New York Attorney General stellte 2016 fest, dass "die Mehrheit der Tickets für die beliebtesten Konzerte nicht für die breite Öffentlichkeit erhältlich ist".

Weil Ticket-Schwarzhändler Tickets für alle Konzerte kriegen und besser im Ticketkaufen sind als die Fans, sind laut Lowson also nicht Bots das Problem, sondern die ungleichen Chancen beim Kauf.

Sein neues Projekt TIXFAN ist eine Beratungsfirma, die direkt mit Sportteams und Künstlern arbeiten wird, um die Lücken im System zu stopfen, die er damals ausnutzte.

"Ich habe Hunderte Ideen", sagt Lowson. "Ich bin inzwischen sehr gefragt. Das klingt doch gut, oder: ‚Wir haben den Ticket-Bot-König angeheuert, damit die anderen Ticket-Bots den Fans nicht die Tickets wegnehmen.'"

Dieser Artikel stammt aus der VICE-Ausgabe „The Future of Technology". Alle Artikel der Ausgabe findet ihr hier.