FYI.

This story is over 5 years old.

Tech

Architekt Van Bo Le-Mentzel will sich ein Jahr seines Lebens crowdfunden lassen

Der Berliner Entwickler der Harz IV-Möbel und der Karma Chakhs will die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens per Crowdfunding umsetzen.
Screenshot aus #dScholarship Crowdfunding-Video von Philip Rohrbeck

Crowdfunding ist das Finanzierungsmodell der Gegenwart. Waren die ersten geförderten Projekte noch Albenproduktionen von Musikern nach dem Zusammenbruch der Musikindustrie, revolutionäre Start Up-Ideen oder Filme, die von finanzschwachen Regiesseuren realisiert werden wollten, hat sich die Schwarmfinazierung nun als generelle Kreditalternative etabliert.

Längst hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass auch wichtige und große Projekte mit Crowdfunding umgesetzt werden können. Ein gutes Beispiel dafür wäre die Aktion The Ocean Clean Up zur Entmüllung der Meere oder das Erfinder-Ehepaar aus Idaho, das das Land mit Solarstraßen pflastern will. Die Viralität beider Kampagnen zeigt, welche Sehnsucht die Gesellschaft nach intelligenten Lösungen für unsere globalen Probleme hat.

Anzeige

Van Bo Le-Mentzel ist der Erfinder der Hartz IV Möbel, des Ein-Quadratmeter-Hauses und des Unreal-Estate-House. Und nun treibt den Berliner Architekten der Mut zur Risikoinvestition durch Massenförderung auf die Spitze und stellt sein Projekt #dScholarship vor. Ein Jahr sollen Unternehmer und Privatpersonen sein Leben finanzieren.

„#dScholarship ist das erste demokratische Stipendium. Ein Experiment und erster Schritt zum bedingungslosen Grundeinkommen. Wir wollen wissen: Arbeiten die Menschen anders, kreativer, effizienter wenn man sie von Existenzängsten und Druck befreit?"

So die Idee hinter der Kampagne. Und Van Bo wäre nicht er selbst, würde er nicht noch einen anfeuernden Motivationssatz hinterher werfen:

In jedem von uns steckt ein Genie. Weck es auf!

Euch ist die Idee noch immer etwas schleierhaft? Hier das Erklärvideo zur Crowdfunding-Kampagne:

#dScholarship from Philip Rohrbeck on Vimeo.

Van Bo Le-Mentzel hat in der Vergangenheit schon einige geniale Projekte, wie oben genannte Harz IV Möbel oder die Karma Chakhs, die jetzt mit einem neuen Projektleiter in eine zweite Runde gehen, umgesetzt. Er ist ein mitreißender junger Mann, und sprüht wie es sich für jeden guten Kickstarter gehört vor entsprechendem Enthusiasmus.

Wie immer stellt sich auch hier die Frage, wie viel dahinter gewitztes Marketing und Exzentrik sind, denn Van Bo kann natürlich auch gut reden. Doch ein gewisser Grad an Crazyness ist wahrscheinlich schlicht von Nöten, um sich selbst öffentlich fördern zu lassen. In gewisserweise sucht die Kampagne nach Mäzenen in einer Welt, in der es keine Grafen, Mündel und Lehnsherren mehr gibt. Die evangelisch, demokratische Version einer gutmütigen Dauerfinanzspritze. Oder mit dem Worten Van Bos: ein erster Schritt zu einem bedingungslosen Grundeinkommen. Was natürlich eine sehr fortschrittliche Sache ist in einer Welt in der Burnout und nächtliche Anrufe vom Chef zum Alltag zählen.

Anzeige

„Ich bin durch die Hartz IV Möbel mit so vielen wunderbaren Menschen in Kontakt gekommen, die im so genannten Arbeitsmarkt kurioserweise nicht mehr vermittelbar sind. Das wundert mich, denn als Helfer bei meinen Projekten zeigen sie sehr viel Einsatz und arbeiten hart. Sie bauen Möbel für die Nachbarschaft, sammeln Essen ein, um es an Bedürftige zu verteilen. Einer hat mit fairnopoly eine faire Alternative zu amazon entwickelt.", erzählte mir Van Bo in einem Interview. „Diese Menschen stehen trotz Hartz IV unter großem Druck und ich wollte einigen von ihnen helfen, mittels Crowdfunding zu einer Grundsicherung zu kommen. Das ging aber bisher schief und sie haben mich kritisiert, warum ich dieses Experiment an anderen ausprobiere und nicht am eigenen Leib. Tja, meine Crowd hat wie so oft Recht. Und deshalb muss ich es nun erstmal selbst machen, bevor ich anderen zeigen kann wie es geht."

Van Bo verkauft die Wochen seines Jahres für jeweils 380 Euro bzw. 1500 Euro pro Monat, weil er so viel Geld ungefähr zum Leben benötigt. „Es ist aber nicht so, dass ich in der Zeit dann euer Dienstleister bin, dann wäre ja wieder eine Bedingung da.", klärt er im Kampagnenvideo auf.

Realisieren möchte er damit Projekte, die gutes Karma bringen und stellt die Frage in den Raum: „Was können wir, du und ich und die Crowd tun, damit die Existenz der Menschen abgesichert ist. Ohne Hartz IV, ohne Druck und ohne ein Stipendium von einer Stiftung, die dich in irgendeine bestimmte Ecke drücken will." Jeder Stifter kann Van Bo maximal 12 Wochen lang finanzieren.

Anzeige

Für etwas mehr Einblick in dieses ungewöhnliche bis weltfremde Projekt, baten wir Van Bo Le-Mentzel um ein Interview.

Motherboard: Was willst du konkret in deinem crowdfinanzierten Jahr machen, entwickeln oder herstellen?

Van Bo Le-Mentzel: Im Januar 2015 will ich eine Schule namens D-Class gründen, eine Art demokratische Abendschule oder Weiterbildungslehrgang für Menschen, die auch der Meinung sind, dass wir Wirtschaft neu denken müssen. Es ist keine normale Schule mit einem Firmenstempel oder einem Backsteingebäude, sondern ein liquider Raum. Ich nenne diese Art von Bildung liquid education. Alles fließt. In der D-Class wird nicht mehr getrennt zwischen Lehrer und Schüler. Jeder kann einen Kurs anbieten.

Ich bringe mich dort ein, indem ich zeige, wie man ein D-Scholarship organisiert, wie man Crowdfunding nutzt und wie man Netzwerke aufbaut, ohne ein Arsch sein zu müssen. Erik Koszuta hat als 15 jähriger ein bemerkenswertes Buch geschrieben über die Herausforderungen seiner Zeit. Leute wie er will ich als Schüler aber auch als Lehrer für die D-Class  gewinnen. Von ihm kann man lernen, wie man Bücher in 6 Wochen schreibt. In der D-Class wird ihm vielleicht der Rentner Joachim Klöckner gegenübersitzen, der 50 Jahre älter ist. Klöckner ist Minimalismus-Coach: Er besitzt nur 50 Gegenstände und baut mit indischen Designern nun ein Hausboot, welches mit Plastikmüll ausgedruckt werden soll.

Anzeige

Der Rest des Jahres bleibt bewusst frei von Planung, weil zu viel Planung zu viel Druck ausübt.

Van Bo Le-Mentzel bei einem seiner Projekte. Hier die Entwicklung des Ureal Estate House. | Foto: Benjamin Heck. Mit freundlicher Genehmigung.Die Crowd will ihr Geld sicherlich gut investiert wissen, wie gehst du mit diesem Ansporn und Druck um?

Mein Vater hat mich davor gewarnt. Er meinte, ich würde mich vor lauter Dankbarkeit verpflichtet fühlen und mich auf diese Weise psychisch blockieren. Das kann natürich passieren. Da ich selbst sehr gerne gebe, sowohl meine übrig verbleibende Zeit neben meinem Erwerbsjob und all mein Geld an andere, teilweise auch fremde Menschen, habe ich kein schlechtes Gewissen. Ich bin ein Geber. Und bei diesem Projekt will ich die vielen anderen Geber auf der Welt kennenlernen. Geber-Netzwerke bereichern die Gesellschaft.

Und ich habe mir vorgenommen, dass was ich bekomme doppelt und dreifach zurück an die Gesellschaft weiterzugeben.

Hast du jetzt schon Reaktionen zu der Aktion bekommen?

Es gibt zwei Meinungslager. Die einen sagen, ich bin ein egoistischer Spinner. Die anderen sagen, ich bin ein selbstloser mutiger Pionier. Diese beiden Meinungen—dazwischen gibt es irgendwie nichts—fußen auf zwei Menschenbildern. Das eine geht davon aus, dass Menschen faul und böse sind. Nur durch äußeren Druck werden sie aktiv. Das andere Menschenbild geht davon aus, dass Menschen von Natur aus gerne helfen und gerne arbeiten. Ich habe das zweite Menschenbild und glaube, dass Menschen produktiver und sinnvoller arbeiten, wenn sie nicht durch äussere Zwänge dazu verdonnert werden.

Das klingt nach der Debatte mit dem bedingungslosen Grundeinkommen?

Anzeige

Ja, ich nenne es auch bedingungsloses Grundarbeiten. Wenn ich das, was ich tue, freiwillig und mit Leidenschaft mache, dann wird es besser, produktiver, innovativer und unbürokratischer.

Und wer macht dann die Drecksarbeit?

Tja, gute Frage. Wer macht die Drecksarbeit heute? Man zahlt Menschen, die auf Geld zum Überleben angewiesen sind, ein kleines Geld, und dann machen die alles: Klos putzen, in Bergwerken Erze abgraben, Sexarbeit, Baumwolle pflücken und in Indien fangen arme Frauen neuerdings in Fertilisationskliniken an Babys auszutragen für westliche Karrierefrauen. Das ist für mich keine Alternative. Auch wenn es so aussieht, diese Menschen machen das nicht freiwillig. Sie machen es, weil sie sonst verhungern.

Ich bin gespannt, ob ich im nächsten Jahr freiwillig auch unschöne Arbeiten erledigen würde. Letztendlich ist alles eine Frage der Einstellung. Als wir Schuhe verpackt haben für die Karma Chakhs habe ich diese eigentlich stupide Arbeit zum Event erklärt: Packaging Party mit Musik und Buffet. In Seoul zur Fußball-WM haben die Menschen freiwillig die Straßen gesäubert nach dem Public Viewing, es war ein Riesenhappening. Kulturarbeit macht Spaß, Zwangsarbeit nicht. Also lasst uns genau darüber nachdenken: Wie kann man unschöne Arbeiten zu einer Kultur erklären? Und für den Rest sollten wir Maschinen entwickeln.

Was ist, wenn das Jahr zu Ende ist? Was soll dann bestenfalls passiert sein, in welcher Situation befindest du dich?

ich würde gerne eine oder zwei Personen helfen, ihr eigenes D-Scholarship auf den weg zu bringen. Vielleicht melden sich ja Grundstücksbesitzer, oder Nahrungsmittelhersteller, die Supermarktchefs oder die Deutsche Bahn?

Ich könnte mir vorstellen, dass solche Netzwerke die Möglichkeiten des bedingungslosen Grundarbeitens beflügeln würden. Wenn die Telekom oder die Bahn mir statt Geld ungedrosseltes W-Lan oder Bahnfahrten stiften würden für ein Jahr, dann würde ich liebend gerne der Telekom unter die Arme greifen oder bei der Bahn aushelfen. Dann kann es passieren, dass du mich plötzlich in einem ungenutzten Zugabteil vorfindest, welches ich in ein Repair Café umdeklariere und wir könnten fehlende Knöpfe an unsere Hemden nähen. Oder im Bordrestaurant kochen wir gemeinsam. Und ich verlange kein Honorar. Von wem auch?

Ich arbeite dann ja nicht für jemand anderes, sondern für mich, weil es mir Spaß macht.