Was würde Marty McFly von der Welt im Jahr 2015 halten?
Zweifelnd in die Zukunft? Bild: Wikimedia | Fair Use

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Was würde Marty McFly von der Welt im Jahr 2015 halten?

Fusionsenergie, Hoverboard-Fails und Glassholes—was Marty an unserer Gegenwart lieben und hassen würde.

Wie wir alle wissen, landet Marty McFly zusammen mit Doc und dem zur Zeitmaschine umgebauten DeLorean am Mittwoch, den 21. Oktober 2015, in Hill Valley—in der Zukunft. Gefühlt das halbe Internet wird ihm dazu als Hommage an die Zurück in die Zukunft-Trilogie von Robert Zemeckis eine Überraschungsparty schmeißen und ihn—natürlich durch Facebook-Statusmeldungen—in der Gegenwart willkommen heißen.

Aber würde Marty überhaupt gefallen, wie die Welt heute aussieht? Wird er bleiben mögen oder in Anbetracht unserer Wirklichkeit hektisch auf Docs Fluxkompensator herumhämmern, um sich wieder in Richtung Vergangenheit zu verabschieden? Um zu verstehen, was die popkulturelle Reinkarnation des 1980er-Jahre-Fortschrittsglaubens und Zukunftsenthusiasmus zum Status der Welt heute sagen würde, müssen wir zunächst seinen Charakter und seine liebsten Technologien ein wenig tiefer erkunden.

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Martys Post-MySpace-Musikerkarriere

Zunächst das Offensichtliche: Marty McFly ist ein cooler Hund. Nicht nur ist er ein erstklassiger Skateboarder, hängt mit älteren Leuten ab, hat eine tolle Freundin und schafft es auf wundersame Art und Weise, sich selbst an die widrigsten Situation anzupassen und aus dem unmöglichsten Zwickmühlen zu befreien—er ist auch noch ein unterschätzter Top-Gitarrist, dessen Karriere lediglich an der Ignoranz einer Schulbandjury scheitert („Ihr seid einfach viel zu laut!"). Heute bräuchte er sich mit solchen Banausen nicht mehr herumzuärgern.

McFly ist ein Early Adopter.

In den 80er Jahren stand die DIY-Musikrevolution noch ganz am Anfang, aber dank Pro Tools, Ableton Live und digitaler Selbstvermarktung könnte Marty heute auf eigene Faust Karriere machen und seine Fans erreichen. Die Gatekeeper aus Schuljurys und Musikindustrie, die über den Massengeschmack bestimmen, sind längst verschwunden—auch wenn manche Fernsehsender sie künstlich am Leben halten.

Mr. Fusion und die Epoche fossiler Brennstoffe

Marty durfte erleben, dass menschengemachte Maschinen durch „kalte Fusion" die Energie für eine Reise durch die Raumzeit aufbringen können. Ein gewisser Mr. Fusion Home Energy Reactor produzierte im Film die benötigten bombastischen 1.21 Gigawatt durch ein Kernfusionsverfahren und braucht dabei so wenig Platz, dass er theoretisch in jeden Haushalt passen könnte.

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Dieser Typ ist der Doc Brown der Gegenwart: Wie ein DIY-Bastler in seinem Hobbykeller einen Fusionsreaktor baut

Auch wenn globale Forschungsverbände ebenso wie Doc-Brown-ähnliche Bastler heute tatsächlich am Traum des Fusionsreaktors werkeln, sind wir noch immer weit vom Patentrezept für Stromproduktion entfernt. Die größten Chancen für eine nachhaltige Sättigung des globalen Energiehungers bieten inzwischen Wind-, Wasser- und Sonnenenergie und die Versorgung im Heimformat übernehmen auf Dächern installierte Solaranlagen.

Das Ende einer Ära: Wie Solarenenergie die Epoche fossiler Brennstoffe bis 2030 beendet

Während sich die Atomendlager füllen, wachsen auch unsere Plastikmüllberge stetig weiter—eine Maschine wie Mr. Fusion, in die Marty seine Bierdosen und sonstigen Haushaltsabfall stopfen kann, und die am Ende Energie ausspuckt, könnten wir heute ziemlich dringend gebrauchen.

Überleben jenseits des Digital Divides

Aus Martys furchtlosem, wenn auch etwas übermütigem Umgang mit dem ihm zuvor völlig unbekannten rosa Hoverboard in „Zurück in die Zukunft II" lässt sich generell ableiten: McFly ist ein Early Adopter. Mutig packt er neue Technologien selbstbewusst und selbstverständlich an, statt sich von fremden Benutzeroberflächen abschrecken zu lassen. In einer technikverrückten Welt, die von der religiös zelebrierten Veröffentlichung eines neuen Smartphones alle sechs Monate komplett auf den Kopf gestellt wird, ist das eine unentbehrliche Fähigkeit, um nicht abgehängt zu werden—McFlys Aussichten für ein Überleben diesseits des Digital Divides stehen also zunächst einmal gut.

Die McFlys sind bereits in der Filmvorlage ausgewachsene Glass-Holes

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In Zeiten allgegenwärtigen Social-Media-Geprotzes könnte Marty seinen Hang zum Aufplustern in unangemessenen Situationen voll ausleben. Er hätte wahrscheinlich viel für ein Like getan und wäre auch sicher der erste, der die Ice Bucket Challenge annehmen würde. Eine leicht provokante DM auf Instagram, und man sähe ihn bereits in typischer Selbstüberschätzung auf Bahngleisen liegen—für ein saugefährliches #selfie mit heranrasendem Zug natürlich, denn wir wissen ja: „Niemand nennt mich feige Sau!"

Big Social Data

Überhaupt dürften ihn soziale Medien und ihre Datensammelwut nicht allzu sehr vom Hocker hauen—das AT&T-Videotelefon aus Teil II zeigt dem mit dualen Krawatten bekleideten „erwachsenen Marty" (ein Kleidungstrend, den bislang noch keine Jugendkultur in ihrem Dresscode etablieren konnte) bereits live alle Details über den Anrufer inklusive Ernährungsvorlieben und Verwandtschaftsbeziehungen, was dem Besucher aus der Vergangenheits-Zukunft den intuitiven Umgang mit Skype und Facebook durchaus erleichtern dürfte.

Das Motherboard-Panel zur Ambivalenz allgegenwärtiger Daten: Vom Nutzen und Nachteil von Big Data

Da dem zukünftigen Marty McFly diese Technologie aber eigentlich ausschließlich Unheil bringt (er wird gefeuert, nachdem ihm sein zwielichtiger Kollege Needles, gespielt von Red Hot Chilli Peppers-Flea, zu einem dubiosen Deal gedrängt hat) ist nicht davon auszugehen, dass er unsere Big-Data-Gegenwart ohne Einschränkungen besonders begrüßen würde.

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Was ist mit den Hoverboards?

„Dort wo wir hinfahren, brauchen wir keine Straßen"? Das hat sich nur zum Teil erfüllt—mit Drohnen als unbemannten Flugkörpern, über deren Regulierung unter verschiedensten Aspekten lebhaft diskutiert wird, damit der städtische Luftraum nicht zu chaotisch wird. Macht aber nichts: Marty McFly hat sich selbst immer vor fliegenden Autos gefürchtet. Er muss keine Angst haben. Diese ziemlich dumme Idee hat sich noch immer nicht durchgesetzt und wird vermutlich auch in vielen Jahren noch Zukunftsmusik bleiben. Unsere Straßen sind immerhin nicht mehr nur noch aus Asphalt, sondern manchmal auch aus Solarpaneelen oder futuristischem Leucht- und E-Auto-Auflade-Untergrund.

Utopien kleiden sich 2015 als Kickstarter

Aber natürlich muss auch Marty—tendenziell ein sozialer, wenn auch etwas gehetzter Mensch—eben mal schnell von A nach B kommen; dabei bietet sich zur Not eben auch das rosa Mattel-Hoverboard eines kleinen Mädchens an. Glück gehabt; die Dinger gibt es schon— wie das Cowdfunding-Board Hendo oder auch die Version von Lexus. Utopien kommen 2015 gerne mal im Format eines Kickstarter daher.

Man sollte den Schwebereisenden aber vor der nächsten Verfolgungsjagd lieber warnen: Denn trotz enorm schicken Produktdesigns bleibt das Thema „Hoverboard im Alltag" noch heute ein leidiges. Bedeutet, das Problem mit dem Untergrund muss noch gelöst werden und magnetische Straßen aus Metall haben sich leider ebenfalls noch nicht durchgesetzt. Zumindest im Hoverboardpark in Barcelona hätte Marty seinen Spaß gehabt—oder wäre ihm, so wie den ungeduldigen Internet-Tech-Kritikern, der erste Skatepark der Welt für Hoverboards ebenfalls nicht futuristisch genug?

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Wie auch immer: Noch heute bewegen wir uns zumeist auf Schienen, Rädern und Rollen voran. Vielleicht könnte Marty aber bereits übermorgen auf einem Oldschool-Microboard den Hügel heruntercruisen—klamottentechnisch würde ihn wohl niemand in Kalifornien wegen seines Baseballcaps in Neonfarben und seiner ausgewaschenen Jeans schief angucken. (Was Marty von Managern halten würde, die mit Kickroller und Anzug in der U-Bahn stehen, ist eine andere Frage.)

Glassholes am Esstisch

Die McFlys der Zukunft sind bereits ausgewachsene Glass-Holes, die selbst am Abendbrottisch Anrufe über ihre Datenbrille entgegennehmen und sich nur halbherzig am Familiengespräch beteiligen. Diese Tendenzen werden zumindest bei McFlys späteren Kindern überdeutlich: „Kannst du mir das einfach in den Mund schieben, wenn's fertig ist?", fragt beispielsweise Martys Sohn im Bezug auf die frisch rehydrierte Fertigpizza.

Als Serviervorschlag hätte 2015 da die Verwirklichung eines anderen Sci-Fi-Traums zu bieten: Das Pulver-Dinner Soylent gibt es längst zu kaufen. Ästhetisch ähnlich fragwürdige—und technisch hervorragende—Geräte wie die Microsoft HoloLens würden Marty mit seiner Datenbrille sicher gefallen.

Zurück auf das Holodeck

Das heißt, vielleicht auch nicht. In „Zurück in die Zukunft II" erleidet McFly in einem seltenen Moment der Schwäche eine kurze, entwaffnende Panikattacke, als er vor dem Hologramm-Hai eines Kinos einknickt. Komm schon, Marty—was für ein Teenager aus den 80ern bist du, wenn du nicht weißt, was ein Hologramm ist? „Der Hai sieht immer noch unecht aus!", urteilt er noch, bevor die Werbefigur dreidimensional in Richtung Gehsteig schnappt.

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Komm schon, Marty—Was für ein Teenager aus den 80ern bist du, wenn du nicht weißt, was ein Hologramm ist?

Marty muss sich in unserer Zukunft keine Sorgen machen. Das motion-getrackte, bis zum Fotorealismus gerenderte 3D-Kino unserer Zukunft sieht um einiges realistischer aus als das klobige, verpixelte Tier, mit dem das Holomax in Hill Valley potentielle Zuschauer in den Film „Jaws 19" locken will—und um die 3D-Werbeplakate kümmert sich ein österreichisches Start-up.

Marty der Zocker

Und auch was Games angeht, kann er sein Mojo weiter wirken lassen: Marty wäre auch heute ein guter Zocker gewesen, denn der Großteil unserer Titel wird immer noch mit Controller und Händen gespielt wie „Wild Gunmen" im 80s Café.

Niemand würde ihn, wie die zwei Bengel im Film, auslachen, weil man für die Bedienung des Spiels noch die eigenen Hände einsetzen muss. Vom 8-Bit-Cowboy bis zum Call-of-Duty-Crack ist es dann nur ein Katzensprung. Aber obacht Marty: Virtual-Reality-Interfaces mit denen Gamer auf Socken durch Ego-Shooter-Welten laufen oder mit Oculus-Rift auf der Nase wie ein Vogel fliegen sind längst in Arbeit.

Sackgasse Faxgerät

Nur das Internet wird in „Zurück in die Zukunft II" nicht vorhergesagt oder erwähnt. Stattdessen scheint der Besitz mehrerer Faxgeräte eine wichtige Rolle zu spielen—besonders, wenn es darum geht, nadelgedruckte Kündigungsschreiben ins Wohnzimmer des Arbeitslosen zu schicken. Wird es Marty nun freuen, dass diese sperrige Technologie auch bei uns einfach nicht sterben will? Oder wird er enttäuscht sein, dass nicht jeder von uns drei Faxgeräte im Schrank und ein paar mehr an der Wand hat?

Lassen wir uns in solchen Detailfragen überraschen und fragen ihn selbst.