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Deine blöde Funktionsjacke fusselt die Weltmeere voll

Nicht Flaschen und Verpackungen, sondern winzige Fasern aus gewaschener Funktionskleidung machen den Löwenanteil des Mikroplastiks im Meer aus. Doch die Hersteller wollen das nicht hören.
Bild: Phillip Gätz | Mit freundlicher Genehmigung

Des Deutschen liebstes Kleidungsstück ist wohl die praktische Funktionsjacke. Gern wetterfest, in gedeckten Farben mit reflektierenden Akzenten und Thermofleece-Innenfutter sorgt dieses durchdachte Kleidungsstück zwar definitiv nicht für modische Höhenflüge, aber bietet mit extravielen Netzeinsätzen, Belüftungsklappen und verdeckten Reißverschlüssen die gewünschte Sicherheit, in die sich der gemeine Mensch in unseren Breitengraden gern einkuschelt.

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Doch ein einziges Kunstfaser-Kleidungsstück in der Waschmaschine verursacht ungefähr 1900 Mikrofasern, die durch das Abwasser herausgespült und in die Meere geleitet werden.

Das fand der renommierte Ökologe Mark Anthony Browne schon 2011 heraus, nach dem er monatelang die Sedimente an den Küsten weltweit nach Mikroplastik untersucht hatte.

Bild: Phillip Gätz | Mit freundlicher Genehmigung

85% des menschgemachten Materials an den Küsten stammten aus Fasern wie Nylon und Acryl, die für Kleidung verwendet werden. Am höchsten war ihre Konzentration an den Abwasserkanälen. (Ein weiterer Übeltäter sind die kleinen Plastikkügelchen in Peeling-Produkten und Zahnpasta.)

Die Folgen sind bekannt; denn Plastik ist verdammt hartnäckig. Kleine Organismen, Muscheln und Fische schlucken das allgegenwärtige Mikroplastik—und so landet es schließlich wieder in unserer Nahrungskette.Das ist alles nichts Neues. Doch warum wissen wir nichts von diesem Problem aus gewaschener Funktionskleidung?

Die Antwort ist: Weil die Hersteller nicht mitspielen wollen, die Teil des Problems sind. Browne versucht seit Jahren, die Forschung an der Entwicklung besserer Materialien voranzutreiben, die nachhaltiger und weniger schädlich, aber vor allem haltbarer sind. Dafür hat er das Programm Benign by Design ins Leben gerufen. Doch als er die großen Hersteller von Funktionskleidung um Mithilfe bat, wollte das niemand hören.

Zunächst versuchte er es bei Polartec. Der Hersteller brüstet sich mit extra resistenten High-Kech-Kleidungsstücken, in denen man sich—so scheint es auf der Website—auch problemlos unbeschadet durch den Fleischwolf drehen lassen kann. Direkt auf der Startseite prangt der Spruch „Der Wissenschaft verpflichtet". Auf einer Textilien-Konferenz fragte Browne den CEO von Polartec folglich nach den von der Firma benutzten Polymeren, damit er seine Datenbank der noch unidentifizierten Fasern aus seiner Untersuchung füllen könnte. Er bekam keine Antwort.

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Vielleicht hätte Browne mehr Glück, wenn er Umweltaktivist und kein Wissenschaftler wäre.

Auch der Marketingdirektor von Polartec ließ ihn abblitzen: Man führe schon eigene Studien zur Abwasseranalyse in der Fabrik in Massachusetts durch. Der Effekt der Fasern aufs Abwasser sei minimal. Super, sagte Browne, ob man die Ergebnisse vielleicht mal, wie in der Wissenschaft so üblich, ansehen könnte? Es folgte: Funkstille.

Selbst Patagonia, die großen Wert auf einen nachhaltigen und ethischen Herstellungsprozess ihrer Kleidung legen, verweigerte die Zusammenarbeit. Brownes Ergebnisse—immerhin schon über drei Jahre alt und hundertfach zitiert—seien zu vorschnell getroffen worden. Solange man keine weiteren Hinweise auf die Gefährlichkeit von Fleecejacken habe, gebe man sein Geld lieber an Umweltgruppen und NGOs wie 5 Gyres, die auf das Problem des Mikroplastik aufmerksam machen. Dass das Unternehmen an genau diesem Problem beteiligt sind und mitverdienen, scheint kein Widerspruch zu sein.

„Ich glaube, Kleidungshersteller haben viel Marketing-Geld in Umweltprogramme gesteckt, aber kaum etwas in die Forschung", sagte Browne dem Guardian. Und die britische Zeitung stellt die These auf: Vielleicht hätte Browne mehr Glück, wenn er Umweltaktivist statt Wissenschaftler wäre.

Browne wandte sich an die Hersteller von Waschmaschinen wie Siemens, LG und Dyson. Ohne Erfolg.

Er fragte in Kläranlagen nach, doch dort hatte man auch keine guten Nachrichten für ihn: Die Plastikfasern könnten nicht mehr herausgefiltert werden, und falls doch, würden sie mit anderen Stoffen zu Dünger und gelangten weiterhin in unsere Nahrung.

Outdoor-Jacken aus Kunstfasern: Erst am Meer, dann im Meer. Bild:  Phillip Gätz

Die praktischste, wenn auch bei weitem nicht ideale Lösung für dieses Problem stammt bisher von einem verstorbenen Flugzeugingenieur aus Kanada. Der mittlerweile verstorbene Blair Jollimore aus Nova Scotia hatte Probleme mit den Flusen aus seiner Waschmaschine, die seine Klärgrube verstopften. So bastelte er sich einen feinen Edelstahlsieb-Mechanismus zur Abhilfe und baute ihn ein. Das Sieb filterte selbst winzige Kleidungsfusseln so effektiv heraus, dass Jollimore ein Geschäft daraus machte. Das einzige Problem: Auch der Dreck sammelte sich darin und musste von Hand entfernt werden.

Bis die Industrie endlich aus dem Puschen kommt und sich eine nachhaltigere Lösung für ihre Funktionskleidung überlegt, wird es also noch eine Weile dauern. Das meint auch Browne: „Die Industrie sagt uns, dass wir härter daran arbeiten müssen. Aber das scheint ein Weg für sie zu sein, dem Problem aus dem Weg zu gehen."