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Cyborg Dating: Ich habe mit meiner Freundin in der Virtual Reality geflirtet

Mein Date als VR-Cyborg beginnt als romantisches Sozialexperiment und endet als ruckelnder Reinfall.
Bild: Jan Bojaryn

Auf meinem Handybildschirm erscheinen zahllose Bäume. Es kann losgehen: Ich klemme das HTC One in mein Google-Cardboard-Gestell, schnalle mir den Pappkarton vors Gesicht und greife nach Julias Hand. Ich bin jetzt der Cyborg. Julia ist meine Brücke in die echte Welt und muss mich führen.

Mit der VR-Brille im Gesicht soll ich mich fortbewegen, ohne die Passanten, Mülleimer, Autos und Bordsteinkanten um mich herum zu sehen. Dafür muss ich Julia wirklich vertrauen. Unwillkürlich drücke ich ihre Hand. Sie drückt zurück. Ganz sicher bin ich aber noch nicht, warum ich jetzt ein Cyborg sein soll. In das Game-Play der Cyborg-Dating-App tauche ich zwar ein, aber auf meinem Bildschirm sehe ich keine Augmented Reality, sondern einfach nur einen virtuellen Wald.

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Oculus Rift und Co werden längst nicht mehr nur als Gaming-Interfaces entwickelt. VR-Anwendungen wollen auch die Art und Weise wie Menschen miteinander interagieren verändern: So haben Künstler eine Oculus-Rift App entwickelt, die ein Gender-Swapping erlaubt und die Beziehung der Geschlechter verändern soll, während eine andere App die Fernsteuerung einer Person am anderen Ende der Welt per Go-Pro-Stream ermöglicht.

Screenshot: Cyborg Dating.

Die Optik des Waldes in den ich nun eintauche weckt wohlige Erinnerungen an die Zeiten des Commodore Amiga 500. Immerhin funktioniert der 3D-Effekt. Durch die Linsen des Cardboard-Gestells kann ich wirkliche Entfernungen grob schätzen. Ich drehe mich umher und sehe eine rot leuchtende Säule, die aus dem Wald herausragt. Da will ich hin.

„In die Richtung müssen wir", sage ich.

„Prima. Auf die Straße", höre ich Julia antworten. Dann zieht sie mich voran.

Cyborg Dating ist eher ein Flirtspiel, mit dem sich furchtlose Nerds aus der Komfortzone locken.

Aufmerksam geworden bin ich auf Cyborg Dating durch die A Maze, eine bunte Ausstellung für Indie-Spiele in Berlin. Aber als ich dort war, war die Partnervermittlung für Cyborgs gerade anderswo unterwegs. Ich sah nur ein viel versprechendes Video auf einem großen Fernseher:

Einige Dinge kann man von diesem Trailer lernen: Das Spiel kommt aus den Niederlanden und ist nicht ganz ernst gemeint. Es gehört zur Spielerfahrung, lachend über einen Fahrradständer zu stolpern. All das soll wahrscheinlich das Eis brechen—Cyborg Dating ist eher ein Flirtspiel, mit dem furchtlose Nerds einander aus der Komfortzone locken können, als ein Trip aus dem eigenen Körper heraus.

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Nach wenigen Minuten mit dem Cardbord im Gesicht funktioniert immerhin das schon ganz gut. Meine Komfortzone habe ich in dem Augenblick verlassen, als ich mich mit dem Cardboard in die Öffentlichkeit begebe und mich den VR-Eindrücken nicht auf meiner Couch sondern in Bewegung auf den Straßen in meiner Heimatstadt Dresden aussetze.

Wenn ich mich hier meiner Begleitung Julia ausliefere, bringt mich das zwar nicht gleich in romantische Stimmung. Dennoch fühle ich mich Julia nahe, ich höre ihr instinktiv zu, fühle genau, in welche Richtung ihre Hand zieht. Es ist allerdings weniger prickelnde Flirtstimmung als vor allem ein gemeinschaftliches Wahrnehmungsexperiment. Romantische Gefühle habe ich bisher eher bei weniger extremen Experimenten wie „Friendstrap" erlebt.

Alle Bilder (wenn nicht anders angegeben): Jan Bojaryn

Das Laufen im Amiga-Wald finde ich dagegen brillant. Virtual Reality mag faszinierend sein, aber sie weiß mit dem menschlichen Körper noch wenig anzufangen. Die besten VR-Erfahrungen abseits von teuren Laboren sind bisher darauf beschränkt, dass man in einem Diorama sitzt oder langsam durch den Raum schwebt. Die Macher von Cyborg Dating machen sich in ihrem Video über andere Virtual Reality Ansätze wie omnidirektionale Laufbänder wie den Virtualizer und Fluggestelle mit Ventilator lustig. Sie haben recht: Wenn man einfach trotz VR-Brille durch die Welt gehen und seinen Körper in der urbanen Realität benutzen könnte, entsteht ein viel besseres Erlebnis.

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Und tatsächlich: Die ersten Schritte auf meinem Weg über die Straße, den Gehweg entlang, klicken einfach. Der Wald ist schlicht, aber er ist plastisch und ich bewege mich hindurch, indem ich einfach gehe. Ein beeindruckendes Gefühl. Nur die sehr nahen Geräusche schnell fahrender, aber für mich unsichtbarer Autos verunsichern mich.

Dann nähert sich das Ziel. An der roten Säule steht ein roter Kasten, ein Vieleck auf dem Boden. Ein Picknick! Mein erstes virtuelles Picknick findet an einer Haltestelle neben einer Verkehrskreuzung statt.

„Ich soll dir was zu essen geben", liest Julia von ihrem Handy ab. Mit Cyborg Dating wird ein Paar zu diversen Interaktionspunkten geführt, an denen man dann Dinge machen kann. Zuerst wird man zum Selfie aufgefordert, später zum Küssen. Mal kann die führende Person etwas Lustiges machen, zum Beispiel den blauen Himmel in einen Sternenhimmel verwandeln. Aber mein Date endet an der Haltestelle. Julia hat nichts zu essen dabei.

„Dann hast du eben virtuell was gegessen", schlägt sie pragmatisch vor.

Ich antworte nicht und drehe hektisch meinen Kopf hin und her. Der Wald vor meinem Blickfeld ist erstarrt, reagiert nicht mehr auf meine Bewegungen. Google Cardboard ist damit endgültig zu einer Augenbinde geworden, der Waldspaziergang zu einer Partie Blinde Kuh.

Ich setze die VR-Brille ab, nehme mein Handy heraus. Alles funktioniert. Der Browser läuft flüssig, der Empfang zeigt volle Balken, andere Webseiten laden sofort. Nur der Wald bleibt starr. Julia und ich starten das Spiel noch einmal. Kurz läuft es an, aber bevor ich die Brille wieder auf der Nase habe, ist der Wald wieder gefroren. Die Erfahrung ist bei mir immer dieselbe, wenn in VR-Umgebungen die kleinsten technischen Probleme auftauchen. Sofort bricht die Illusion zusammen, ich bin in keiner anderen Welt mehr, sondern ich bin blind und will raus aus der Beklemmung an die frische Luft. Obwohl ich doch schon lange draußen bin, atme ich auf, als ich die Pappschachtel von der Nase habe.

Eines zeigt Cyborg Dating eindeutig: Normales Laufen ist mit VR-Brille unschlagbar viel besser, als andere, künstlichere Bewegungsmodelle. Und der Zwang zum blinden Vertrauen ist aufregend. Aber die Interaktionen im Spiel sind wahllos, das Thema halbgar umgesetzt. Ein virtuelles Picknick im Stehen, bei dem mir ein unsichtbarer Partner Essen in den Mund stopft? Ein Selfie, von dem ich selbst nichts sehe? Ein plötzlich dunkler Himmel? Das sah in diesem Youtube-Video romantischer aus.

Aber wenn die Technik besser funktioniert, und mich die Interaktionen des Game-Plays überrascht hätten, dann hätte ich vielleicht wirklich meinen ersten Kuss mit Cardboard auf der Nase gewagt.