Frontex' futuristische Projekte: Die Automatisierung der Außengrenze
Bild: Talos Border Project

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Frontex' futuristische Projekte: Die Automatisierung der Außengrenze

Mit diesen High-Tech-Projekten will die EU in Zukunft gegen Flüchtlinge vorgehen.

Sinkende Boote im Mittelmeer, neue Grenzanlagen in Osteuropa, überfüllte Leichenhallen auf Lesbos – geht es nach Frontex und anderen Grenzschutzagenturen, könnten solche Szenarien dank High-Tech-Projekten schon bald der Vergangenheit angehören. „Intelligente Grenzen" sollen in Zukunft garantieren, was das analoge Zeitalter nur punktuell zu leisten vermochte: Eine lückenlose Überwachung der europäischen See- und Landgrenzen. Das würde nicht nur den unkontrollierten Zuzug von Migranten und Flüchtlingen verhindern, sondern darüber hinaus die vielen Todesfälle in unbewachten Gewässern minimieren, so die Argumentation.

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Mit der Entwicklung fliegender Überwachungsplattformen, modernster Radaranlagen und elektronischen Spürhunden zur „Erfassung versteckter Menschen" basteln Forscher bereits heute an den Grenzkontrollsystemen von morgen. Während sich die EU-Regierungen um eine Lösung der Flüchtlingskrise streiten, wird in den Forschungslaboren der Sicherheitsindustrie fieberhaft an Technologien gearbeitet, die das politische Problem schon bald auf eine Frage technischer Machbarkeit reduzieren könnten: Wie offen Europas Grenzen sein sollen, würde nicht mehr Gegenstand öffentlicher Debatten sein, sobald die vollständige Abriegelung des europäischen Kristallpalastes per einfachem Mausklick realisierbar ist.

Am Ende könnte eine europäische Cyber-Festung entstehen, von digitalen Mauern umringt und durch computerisierte Überwachungssysteme abgeschirmt. Eine E-Zitadelle, uneinnehmbar für diejenigen, die nicht ins Raster passen.

Wer das für Science-Fiction hält, dem sei die folgende Liste an ehrgeizigen Forschungsprojekten ans Herz gelegt. Sie geben einen kleinen Eindruck davon, was Grenzmanagement in Zukunft bedeuten könnte—zeigen aber auch, dass die Lösung eines politischen Problems niemals rein technischer Natur sein kann.

AMASS: Überwachungsbojen, die auf Schlauchboote starren

AMASS vereint das doppelte Ziel europäischer Grenzpolitik im Zeitalter der digitalen Revolution: Technologischer Fortschritt bei gleichzeitiger Kosteneffizienz. Das „Autonomous Maritime Surveillance System" besteht aus einem Netzwerk von miteinander kommunizierenden Bojen, die Küstengewässer ausspähen. Die schwimmenden Überwachungsposten sollen mittels visueller und akustischer Sensoren illegale Migranten und Schmugglernetzwerke aufspüren.

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Das System basiert auf zwei Grundkomponenten: Mithilfe eines Hydrophons lassen sich akustische Signale bis 25 Meter unter der Meeresoberfläche registrieren. Wird eine Schallwelle, wie sie beispielsweise von einem Schlauchboot ausgeht, erfasst und durch Abgleich mit der Onboard-Datenbank als verdächtig eingestuft, sendet die Boje ein Funksignal an ein Kontrollzentrum auf dem Festland, von wo aus ein Eingreiftrupp mobilisiert wird, der (je nach Missionsziel) die Insassen aufs Festland bringen oder das Boot zurückdrängen kann. Eine auf den Bojenkopf montierte 360-Grad-Wärmebildkamera sorgt für die optische Erfassung von Objekten und sendet einen Live-Videostream in die Befehlszentrale.

Ein weiterer großer Vorteil der flottierenden Überwachungsplattform sind laut Entwickler der minimale Energieverbrauch und ihre Langlebigkeit. Auch bei schlechten Wetterbedingungen könnten die Späh-Bojen eine 24/7-Überwachung gewährleisten.

Dem Entwickler-Konsortium gehören neben den maltesischen Streitkräften auch die deutsche Firma Carl Zeiss an, dem „Marktführer für optroelektronische Überwachungstechnologie", wie es in der Projektbeschreibung heißt. Bisher flossen 4 Millionen Euro aus dem EU-Haushalt in das Projekt. AMASS befindet sich momentan in einer „rigorosen Testphase".

Kosten: 4 Millionen Euro
Was soll ersetzt werden: Patrouillenboote in Küstengewässern

WAVE GLIDER: Das Perpetuum Mobile der Überwachung

Auch unter Wasser beginnt das Drohnen-Zeitalter in Europa. Der Wave Glider ist ein energetisch autonomes Unterwasserfahrzeug, das ausschließlich von Sonnen- und Wellenenergie betrieben wird—eine Art Perpetuum Mobile der Überwachung. Da er weder Motor noch Batterie benötigt, kann er bis zu einem Jahr auf dem offenen Meer schwimmen, ohne gewartet zu werden.

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Die Unterwasser-Drohne besteht aus zwei Komponenten: einer Art mit Solarzellen bestücktem Surfbrett, das auf der Meeresoberfläche treibt und über eine Vielzahl an Sensoren und Schnittstellen mit Geräten an Land und im Weltraum kommunizieren kann; und einem Mini-U-Boot, das mittels modernster Unterwasser-Mikrofone den Ozean ausspäht und nach Booten mit „abnormalem Verhalten" abscannt.

„Zum ersten Mal hat sich die akustische Unterwasser-Überwachung mit mobilen Robotern im Praxistest bewährt."

Wenn der Wave Glider verdächtigen Wasserschall vernimmt, kann er Signale in Echtzeit an andere Wave Glider im Netzwerk senden, mit Satelliten kommunizieren oder E-Mails an ein Kontrollzentrum auf dem Festland verschicken.

Doch der eigentliche Clou ist die vielseitige Einsatzmöglichkeit des marinen Roboters: 51 unterschiedliche Typen von Sensoren können auf den Schnüffler-Roboter montiert werden—je nach Bedürfnis des „Endnutzers". Sogar für die Anti-U-Boot-Kriegsführung ist er gerüstet. Ob magnetische Felder, seismische Signale oder Schlepperboote—dem Wellengleiter soll nichts entgehen. Er kann über Mobilfunk, WLAN, AIS-Funksystem oder über Satelliten kommunizieren. Die verschiedenartigen Daten kann er nicht nur simultan empfangen, sondern auch bearbeiten und analysieren, und an Onshore-Kontrollzentren weiterleiten.

225.000 Dollar ist der aktuelle Marktpreis des Wellengleiters. Über 350 Exemplare sind laut Hersteller in allen fünf Weltmeeren im Einsatz.

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Im Rahmen von PERSEUS—dem europäischen Flaggschiff-Projekt für den Aufbau eines gemeinsamen maritimen Überwachungssystems—wurde der Wave Glider im Sommer 2015 in einer Frontex-Mission in EU-Gewässern getestet. Die an dem Testlauf ebenso beteiligte NATO urteilte: „Zum ersten Mal hat sich die akustische Unterwasser-Überwachung mit mobilen Robotern im Praxistest bewährt."

Kosten: 10 Millionen Euro
Was soll ersetzt werden: Patrouillenboote auf hoher See

SUNNY: Das Drohnen-Kollektiv

Bild: ScreenshotSunny Project

Auch in der Luft setzen Europas Grenzschützer zunehmend auf Automatisierung. SUNNY ist eine luftgestützte Überwachungsarchitektur, die vor allem über Wasser, aber auch vom Festland aus großflächige Grenzregionen beobachten soll. SUNNY reagiert den Entwicklern zufolge auf das Problem, dass große Gebiete an den Rändern Europas nach wie vor unbewacht sind und ein weiträumiges Einfallstor für illegale Migranten darstellen. Die „beträchtlichen sozialen und ökonomischen Risiken" für die EU aufgrund der unkontrollierten Zuwanderung sollen durch das SUNNY-System schon bald der Vergangenheit angehören.

SUNNY besteht aus einer Flotte von Drohnen, die in Grenzregionen patrouillieren und über ein Netzwerk von Hochleistungssensoren verfügen, die auch bei ungünstigen Sichtverhältnissen hochauflösende Bilder übertragen können. Das Prinzip: ein 2-stufiges Überwachungssystem, das durch sein „heterogenes Sensorennetzwerk" sowohl weiträumige Zielgebiete ausspähen als auch einzelne Objekte fokussieren kann.

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Ein umfassendes Überwachungssystem, das großflächig die europäischen Grenzen ausspäht, möchte nebenbei noch mit „allen" datenschutzrechtlichen und ethischen Normen in Einklang stehen?

Idealerweise funktioniert das so: Zunächst patrouillieren die Drohnen in mittlerer Höhe entlang GPS-koordinierter Routen und scannen ein zuvor definiertes Zielgebiet nach „verdächtigen Objekten" ab. Die Drohnen arbeiten in „Teams", operieren arbeitsteilig (Luft, Boden) und können durch neueste Algorithmen sowie state-of-the-art-Hardware die Informationen der verschiedenen Sensorentypen in Echtzeit verarbeiten. Haben die Sensoren der ersten Stufe ein Ziel gefunden, übernehmen andere Sensoren den Job, das Objekt zu identifizieren, die Bewegungsrichtung zu beschreiben und eine detailliertere „Bedrohungsanalyse" zu leisten.

Die Entwickler preisen ihr System als „intelligente, kosteneffiziente und umfassende Lösung" für die Grenzsicherung an.

Als weiteres Projektziel gilt die Einhaltung „aller daten- und bürgerrechtlicher sowie ethischer Werte und europäischer Normen". Wer nicht schon zuvor um seinen Datenschutz oder den der zukünftigen Migranten bangte, wird es spätestens nach dieser, nun ja, Phrase tun: Ein umfassendes Überwachungssystem, das großflächig die europäischen Grenzen ausspäht möchte nebenbei noch mit „allen" datenschutzrechtlichen und ethischen Normen in Einklang stehen? Eine derart wertebewusste Haltung ist schon für einen einzelnen Menschen kaum erfüllbar. Die SUNNY-Entwickler proklamieren sie für ihre Kolonne aus Flugrobotern, was möglicherweise darauf hindeutet, dass sie nicht wissen, wovon sie überhaupt reden.

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Knapp 10 Millionen Euro wurde bisher in SUNNY gesteckt. Das Projekt soll 2017 fertig sein, doch die rechtlichen Voraussetzungen für die Einführung der umfassenden Überwachungsarchitektur sind noch nicht gegeben: Der Einsatz von Drohnen im zivilen Luftraum ist in Europa derzeit noch verboten. Falls sich das nicht bis nächstes Jahr geändert haben sollte, hat FRONTEX bereits eine Alternative: Hybride Drohnen—also Drohnen, die optional von menschlichen Piloten geflogen werden können—fallen nicht unter das Verbot.

Kosten: 10 Millionen Euro
Was soll ersetzt werden: Patrouillenboote, Aufklärungsflugzeuge, Grenzposten auf dem Festland

AEROCEPTOR: Angriffsdrohnen gegen „unkooperative" Fahrzeuge

Bild: Aeroceptor, Mit freundlicher Genehmigung

Ein Schwarm Flugroboter, die mittels elektromagnetischer Schockwellen und dem Versprühen von schnell härtendem Polymerschaumstoff „unkooperative" Fahrzeuge außer Gefecht setzen—keine Idee für den nächsten SciFi-Blockbuster aus dem Hause Wachowski, sondern ein EU-Projekt, das mit einem Budget von 5 Millionen Euro die Sicherheit der europäischen Grenzen garantieren soll. Wie bei SUNNY setzt das AEROCEPTOR-System auf eine Flotte aus High-Tech-Flugrobotern, die Grenzgebiete mit hochauflösenden Kameras und visuellen Sensoren überwachen und nach verdächtigen Objekten suchen.

Doch das AEROCEPTOR-System geht einen entscheidenden Schritt weiter: Die Drohne darf angreifen. Wie sie das genau bewerkstelligen soll, ist laut EU-Kommission noch in der Diskussion. Neben den erwähnten elektromagnetischen Störungen, die den Fahrzeugmotor lahmlegen, gäbe es aus den Kreativabteilungen der Sicherheitsindustrie weitere innovative Impulse: Netze, in denen sich Räder von Fahrzeugen oder Propeller von Booten verwickeln oder Vorrichtungen zum Durchstechen der Reifen. Ob auch Pyrotechnik zum Einsatz kommt, wird zwar von der Kommission nicht explizit aufgeführt, aber ist, angesichts der Projekt-Beteiligung des führenden europäischen Pyrotechnik-Herstellers, nicht auszuschließen. Der AEROCEPTOR will ganz „neue Styles" im Fahrzeuge-Aufhalten entwickeln, betonen die Entwickler. Auch hier ist das Ziel eine lückenlose, kosteneffiziente und sogar ökologische Rund-um-die-Uhr-Überwachung. In der offiziellen Projektbeschreibung soll AEROCEPTOR Fahrzeuge von Terroristen, Drogen- und Waffenschmugglern aufhalten, nicht von unerwünschten Migranten. Wie jedoch aus der Ferne ein Schmuggler von einem Flüchtling unterschieden werden soll, und ob die Drohne dann wieder zurückfliegt, wenn sie merkt, die Insassen wollen nur fliehen, bleibt fraglich.

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In der Antwort auf eine Anfrage der EU-Abgeordneten Sabine Lösing, betont die EU-Kommission, dass der „Einsatz von Wirkmitteln", also tödlichen Waffen, derzeit „nicht geplant" sei. Studien aus den Vereinigten Staaten hätten gezeigt, dass das Abfangen von Fahrzeugen durch Drohnen lebensgefährlich für alle Beteiligten sein kann, inklusive der Polizisten. In knapp einem Drittel der untersuchten Fälle ende eine Verfolgungsjagd mit einem Unfall.

Der Punkt „Risiko menschlicher Überreaktion" scheint auf diese Gefahr reagieren zu wollen. Die Entwickler wollen laut eigener Aussage den Kollateralschaden solcher Missionen auf ein Minimum reduzieren. Wie man dieses Risiko mit einem fliegenden Roboter, der Reifen durchstechen und Spezial-Schaumstoff verschießen kann, minimieren will, lässt sich der Projekt-Webseite nicht entnehmen.

Neben der Funktion, Grenzen zu überwachen, ließe sich der AEROCEPTOR den Entwicklern zufolge auch in vielen anderen Szenarien einsetzen: bei Entführungen, Autodiebstahl, Drogenschmuggel, terroristischen Bedrohungen oder auch bei normalen Verkehrskontrollen. Vermutlich, um auch dort das „Risiko menschlicher Überreaktion" zu verringern.

Kosten: 5 Millionen Euro
Was soll ersetzt werden: Patrouilleneinheiten und Eingreiftruppen an Land und im Wasser

TALOS: Ein Roboter verfolgt Flüchtlinge, Bewaffnung optional

Ein bronzener Riese, der auf Kreta wacht, Steine auf herannahende Boote wirft und, sollten diese sich unkooperativ verhalten, sie umarmt, bis sie in Flammen aufgehen. Gestatten: Talos, ein furchteinflößender Held aus der griechische Mythologie, der auf Geheiß von Zeus dessen Geliebte Europa schützen sollte. Bezeichnenderweise wurde Talos zum Namensgeber eines Projektes zum Schutz der europäischen Landesgrenzen. Wer schon immer wissen wollte, welche Witze man sich in Sicherheitskreisen erzählt, findet hier ein besonders zynisches Beispiel.

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Leider ist TALOS kein Scherz, sondern ein durchaus realer Roboter, der künftig die Außengrenzen Europas bewachen soll. Im Gegensatz zu dem mythischen Helden ist der heutige TALOS nicht mit Steinen bewaffnet und kann sich auch nicht erhitzen.

Der Grenzschutzroboter, der als Prototyp bereits 2012 in der Nähe von Breslau erste Runden drehen konnte, verfügt nicht über Waffen, dafür aber über modernste Überwachungstechnologien: Radar, hochauflösende Kameras, Sensoren, Onboard-Datenverarbeitung. Der KI-Roboter soll, auf Basis eines vorprogrammierten Sets an Regeln, vollautomatisch entlang grüner Grenzen patrouillieren und das Gelände nach illegalen Migranten durchkämmen.

Wie die Entwickler betonen, soll TALOS ungefährlich für den Menschen sein. Seine Aufgabe ist lediglich zu beobachten, Ziele zu erfassen und Warnsignale auszusenden. Darüber hinaus soll der Mini-Panzer eigenständig zwischen Freund und Feind unterscheiden können. Spürt er einen „Eindringling" auf, befiehlt er ihm, die „illegale Aktion zu stoppen". Sollte das nicht passieren, verfolgt TALOS ihn und ruft eine mobile Einsatztruppe hinzu.

„Keine Bewegung!" Bild: Screenshot Youtube

Laut Entwicklerteam, dem zahlreiche Rüstungsunternehmen angehören, ist eine Bewaffnung prinzipiell möglich, aber derzeit nicht in Planung.

20 Millionen Euro hat die Entwicklung von TALOS gekostet. Ob und wann es in Serie geht, ist noch unklar.

Kosten: 20 Millionen Euro
Was soll ersetzt werden: Menschliche Grenzpatrouillen an grünen Grenzen

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Die Umsetzung der Automatisierung

Eine durchgehende Überwachung der europäischen Außengrenzen ist im Moment „Zukunftsmusik", wie Robert Strandl aus dem Frontex-Verwaltungsrat zugibt. Auch befinden sich viele der derzeitigen Forschungsprojekte noch in der Entwicklungsphase. Andere existieren bereits als Prototypen, doch müssen sie von den Mitgliedsstaaten erst gekauft und eingesetzt werden.

Nichtsdestotrotz wäre es falsch, die Vorhaben als experimentierfreudige Projektideen abzutun. Wie ernst es die Regierungen damit meinen, zeigt alleine schon die Drohnenforschung: 500 Millionen Euro wurden bereits in die Forschung und Entwicklung der Flugroboter investiert. Etwa 400 Drohnensysteme werden derzeit in 19 Mitgliedsstaaten entwickelt, wie ein Arbeitsdokument der EU-Kommission belegt.

Die vermeintlich einfache Lösung der Migrationskrise könnte sich als autoritäre Falle entpuppen und Europa auf Dauer verändern.

Mit EUROSUR wurde Ende 2013 der rechtliche und politische Rahmen für das Mammut-Überwachungsprojekt der Zukunft gelegt: Engere Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedsstaaten, gemeinsame Grenzoperationen und eine technologische Revolutionierung der Grenzsicherung. 340 Millionen Euro sind laut EU-Kommission für das Programm bis 2020 eingeplant, manche Experten sprechen sogar von 874 Millionen Euro.

Ein derart hohes öffentliches Budget weckt unweigerlich die Begehrlichkeiten der Sicherheitsindustrie. So sind die großen europäischen Rüstungskonzerne wie Thales und EADS nicht nur an der Produktentwicklung beteiligt, sondern ebenso in den Gremien vertreten, die das Programm aufgesetzt haben. Eine Studie des Europäischen Parlaments kritisierte bereits 2010, dass die EU-Sicherheitsforschung zunehmend von dem Motiv beherrscht wird, die Innenministerien der Mitgliedsstaaten mit den Lobbyisten der Rüstungsindustrie zu vernetzen. Die europäische Sicherheitspolitik würde in der Folge maßgeblich durch die Brille der Industrie definiert, während Menschenrechtsgruppen außen vor bleiben.

Die Sicherheitsforschung scheint jedoch nur die derzeitige gesellschaftliche Stimmung in Europa widerzuspiegeln: Vor dem Hintergrund steigender Flüchtlingszahlen haben diffuse Ängste Konjunktur ebenso wie Technologien, die vorgeben sie zu beseitigen. Statt sich mit den Ursachen von Flucht auseinanderzusetzen und nachhaltige Lösungen zu erarbeiten, geraten elementare Menschenrechte zunehmend unter die Räder sicherheitspolitischer Erwägungen. Technik soll leisten, wozu die Politik nicht imstande ist.

Die technizistische Vision eines vollständig eingemauerten Europas ist jedoch nur im besten Fall eine naive Illusion. Sind die allwissenden digitalen Festungsmauern erst mal an den Rändern Europas installiert, könnten sie sich schon bald innerhalb Europas oder eines Landes ausgeweitet werden. Politisch kontroverse Debatten um Bürgerrechte und Datenschutz könnten auch hier durch den Einsatz „intelligenter" Technologie einseitig befriedet werden. Die vermeintlich einfache Lösung der Migrationskrise könnte sich so als autoritäre Falle entpuppen und Europa auf Dauer verändern.