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Berliner Polizei beweist unfreiwillig, wie groß das Cybermobbing-Problem ist

Ausgerechnet in der Kampagnenwoche Stop-Cybermobbing lässt sich die Berliner Polizei von einem Hater-Account instrumentalisieren.
Bild: Suzie Grime | Facebook

Seit einigen Tagen versucht die Polizei Berlin mit der Aktion #StopCybermobbing für den Umgang mit Mobbing zu sensibilisieren. Gleichzeitig lässt sie sich auf Twitter von einem Cybermobbing-Account instrumentalisieren. Wie passt das zusammen?

Die Aktion klingt nicht schlecht: Jeden Tag veröffentlicht die Berliner Polizei seit Beginn der Woche einen gefakten Chat, der verschiedene Formen des Online-Mobbings von Bedrohungen bis zu Fake-Accounts zeigt. Die Aktion soll besonders Jugendliche ansprechen und ist angenehm modern aufbereitet, auch wenn sich die Präventionsarbeit der Polizei wie so häufig darauf fokussiert, potentielle Opfer vor einem zu offenen Umgang zu warnen und sie damit indirekt zu Mitschuldigen zu machen droht.

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Zeitgleich ereignete sich auf Twitter ein Cybermobbing-Vorfall, der es sogar in die Lokalpresse schaffte: Der Twitter-Account @drolnegul meldete öffentlich per Tweet ein Youtube-Video an die Berliner Polizei, in dem erklärt wird, wie man mit einem Vaporizer kiffen kann. Das Social Media Team der Polizei reagierte und bestätigte, das Video an Spezialisten beim LKA weitergeleitet zu haben. Gegenüber der Presse rechtfertigte man sich damit, dass Tweets nicht als Anzeige gewertet werden, man aber Themen durchaus nachgehe. Das Ziel der Denunziation ist die VICE-Autorin und YouTuberin Suzie Grime, die in ihrem Format „Get High with me" recht eindeutig vorführt, wie das mit dem Marihuanakonsum so geht.

Wir haben das mal an unsere Spezialisten beim #LKA weitergeleitet @drolnegul
^tsm
— Polizei Berlin (@polizeiberlin) 10. Oktober 2016

Irritierend ist das Verhalten der Polizei jedoch nicht, weil man möglicherweise einem Verdacht auf Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz nachgeht, tatsächlich problematisch ist der „anzeigende" Twitter-Account, auf den das Social Media Team der Berliner Polizei auch öffentlich antwortete: Der Account scheint nämlich aus der Sifftwitter-Ecke zu stammen. Sifftwitter ist die informelle Bezeichnung für eine lose Gruppe anonymer Twitter-Accounts, die in einem Medium-Artikel als schlimmste Hasscommunity im Netz bezeichnet wird. @drolnegul wird im Artikel explizit Sifftwitter zugeordnet.

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Tatsächlich finden sich auf dem Account mehrere Stichwörter und Indizien, die typisch für Troll-Accounts sind, die Hass gegen Frauen und FeministInnen oder auch gegen Flüchtlinge verbreiten. Bereits in der Twitter-Bio outet sich der Account als Hatespeaker und kokettiert per Tweet mit der Zuordnung zur Sifftwitter-Szene. „Cissy, Hatespeaker, 100% haram, stolzer Diener des Patriarchats. Trump = Daddy. Parodie & Satire, teilweise almanhaft", heißt es in der Selbstbeschreibung. Wie häufig bei Troll-Accounts zu beobachten, identifiziert sich der Account also mit Anti-Feminismus, Hassbotschaften und Patriachart; versucht das dann aber mit einem Verweis, dass alles nur Satire sei, zu entkräften. Ein Kokettieren, dass sich oft auch auf 4chan und in vielen Alt-Right-Accounts findet.

Die Tweets des Accounts allerdings sprechen eine recht deutliche Sprache: Neben Suzie Grime stehen offenbar auch andere YouTuberInnen, deren Äußeres den Trollen nicht passt, auf der Abschussliste und es wird gar versucht, deren aktuelle Aufenthaltsort zu ermitteln. Dem Feminismus, da ist man sich sicher, geht es darum, Männer zu unterdrücken. So weit, so einfach das Weltbild.

Die Sprache, die der Troll-Account benutzt, ist ein durchaus eigenwilliger Slang mit Worten wie „mett", wie er zum Beispiel auf Portalen wie Krautchan oder 4chan verbreitet ist—doch wäre es nicht Aufgabe des mehrköpfigen Social Media Teams der Polizei, sich hier besser auszukennen, einen Hate-Account zu erkennen und öffentlich besonnener zu reagieren? Vielleicht hätte man auch einfach gar nicht öffentlich reagieren sollen, um einen Troll eben nicht zu füttern?

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Auf VICE: Was Suzie Grime selbst zur Anzeige sagt

Tatsächlich hätte man sogar mit einer Google-Suche schnell herausfinden können, was für eine Denkweise hinter dem Account @drolnegul steckt: Der Name wird nämlich explizit im Medium-Artikel genannt, der sich mit besonders drastischen deutschen Accounts beschäftigt, die Hassbotschaften versenden und trollen. Was für Folgen die Hassbotschaften haben können, zeigte gerade erst die Schilderung von Anne Matuschek, die sich nach Drohungen gegen sich und ihr Kind weitgehend aus dem Netz zurückzog.

Nicht nur auf Suzie Grime hat @drolnegul es abgesehen. Noch mehr Lebenszeit investiert die Inhaberin des Accounts in eine kollektive Hetzjagd auf den YouTuber Drachenlord. Über die drastischen Eingriffe in sein Privatleben berichtete Motherboard bereits letztes Jahr, als dem Vlogger nach dem Vorbild U.S.-amerikanischen Swattings die Feuerwehr auf den Hof geschickt wurde.

In ihrem Youtube-Kanal widmet @drolnegul mit ihrer eigentlich sympathischen Stimme Drachenlord einen eigenen Song und gibt sich auch sonst Mühe, nichts unkommentiert zu lassen. Nur wenige Klicks entfernt finden sich Anrufe offenbar befreundeter Cybermobber, die Pizza für Drachenlord bestellen, oder Weckanrufe im Hotel organisieren wollen. Das alles geschieht unter dem Deckmantel des sich Wehrens gegen die teils schroffe Art des YouTubers in seinen Videos. Dass hier gemeinschaftlich gestalkt wird, scheint niemanden zu stören. Der Zweck heiligt die Mittel. All das erfolgt eigentlich immer aus der Anonymität heraus. Gesicht zu zeigen, traut sich der Mob nicht.

Suzie Grime hat als Reaktion die Berliner Polizei beim Wort gepackt und unter dem Hashtag #stopcybermobbing gefragt, was gegen den sie stalkenden Hater-Account getan werden könne. Diesmal zeigte sich die Polizei deutlich zugeknöpfter und verwies auf auf die Möglichkeit einer Online-Anzeige.

liebe @polizeiberlin ich werde von @drolnegul seit Wochen online belästigt und bedroht. kann man da was machen? #stopcybermobbing
— Suzie Grime (@SuzieGrime) October 10, 2016

Ob das paradoxe Verhalten des Social Media Teams das richtige Signal gegen Cybermobbing ist? Sicher nicht. Vielleicht dient die StopCybermobbing-Woche ja nicht nur der Aufklärung der Öffentlichkeit, sondern auch die Berliner Polizei selbst lernt noch etwas dazu.