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Eine elegante Gleichung könnte die größten Rätsel des Universums vereinen

Wurmlöcher, Quantenmechanik und die Relativitätstheorie unter einen Hut zu bringen, galt bislang als unmöglich. Aber was, wenn sie ein und dasselbe sind?
Bild: shutterstock

Der Physiker Leonard Susskind beginnt sein neues Paper mit einem hübschen Zitat von Niels Bohr: „Wenn dich die Quantenmechanik nicht grundsätzlich geschockt hat, hast du sie noch nicht richtig verstanden." Word, Leonard. Wobei sie einen auch umhauen kann, ohne dass man sie richtig versteht.

Sussmanns Paper behandelt seine selbst entwickelte, äußerst geschmeidige Gleichung, mit der sich die größten aller Rätsel unseres Universums angeblich unter einen theoretischen Hut bringen lassen. Sie soll die Quantenmechanik mit der Relativitätstheroie versöhnen und weist dabei sogar Wurmlöchern eine zentrale Rolle zu. Und das Beste: Sie ist so leicht, dass du sie dir auf Anhieb merken kannst.

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ER = EPR

Die Gleichung besticht mit ihrer Kürze, doch die scheinbare Schlichtheit täuscht natürlich etwas. Bei den Variablen handelt sich nämlich nicht um numerische Werte, sondern um Namensabkürzungen großer theoretischer Physiker, die wiederum für große, komplexe Ideen stehen.

Wollen wir doch trotzdem mal versuchen, sie auseinanderzunehmen: Die Buchstaben links stehen für Einstein und Rosen—eine kleine Insiderabkürzung, die sich auf ein 1935 von den beiden Physiker-Legenden veröffentlichtes Paper bezieht. Darin beschreiben sie Wurmlöcher, die auch unter dem weniger geläufigen Namen Einstein-Rosenberg-Brücken bekannt sind.

Wurmlöcher sind theoretische Tunnel durch das Gewebe der Raumzeit. Manche kennen sie schon aus Interstellar, wo sie als praktische Expressrouten durch das Weltall oder als Weg zu einer halbwegs plausiblen Handlung dienen.

Wenn du, so die Annahme, in ein Wurmloch fällst, plumpst du theoretisch sofort wieder irgendwo am anderen Ende des Universums heraus—und um das Ganze noch etwas komplizierter zu machen, kannst du dich durch die Raumzeitkrümmmung auch zu einer völlig anderen Zeit im Weltraum wiederfinden.

Auf der rechten Seite der Gleichung stehen Einstein, Rosen und Podolsky (nicht Lukas—ja, wir waren auch enttäuscht), die im selben Jahr ein weiteres Paper veröffentlichten, das die Quantenverschränkung beschreibt.

Falls ihr die Quantenverschränkung nicht mehr ganz auf dem Schirm habt, hier eine kleine Auffrischung: Jedes Teilchen im Universum hat nach dieser Theorie irgendwo einen Partner aus Antimaterie mit der exakt gleichen Masse (es ist egal, wie weit die beiden voneinander entfernt liegen). Passiert irgendwas mit dem einen Partikel, passiert das auch mit dem Partner. Die Teilchen existieren abwechselnd und flackern ständig: mal ist eins da, mal das andere. Wie die Fern-Verschränkung genau funktioniert, weiß niemand, selbst Einstein nannte die Fernwirkung „spukhaft."

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Susskind von der Stanford University und sein Kollege Juan Maldacena aus Princeton haben schon 2013 vorgeschlagen, dass diese beiden Papers ein und dasselbe meinen. Und zwar etwas, das keiner berücksichtigt hatte, noch nicht einmal Einstein: Ihr Paper „Cool Horizons for Black Holes" beschreibt einen verhakten Raum: Statt wie vorher anzunehmen, dass Teile des Raumes vor und hinter dem Ereignishorizont eines Schwarzen Lochs unabhängig voneinander sind, glaubten die beiden Autoren, dass sich Partikel über diese licht- und materieschluckende Grenze hinweg durch Wurmlöcher verschränken können.

Bei Susskind sehen daher die Schwarzen Löcher aus wie gigantische Kraken, von denen aus hunderte dünne Ärmchen (die Wurmlöcher) heraus in den Weltraum wachsen.

Um seine Theorie anschaulicher zu machen, lässt Susskind in seinem neuen Paper die beiden hypothetischen Protagonisten Alice und Bob antreten. Die beiden haben jeweils ein Bündel verschränkter Partikel im Arm (Alice das eine, Bob das andere Paar) und fliegen mit hypothetischer Hochgeschwindigkeit bis an die entgegengesetzten Winkel des Weltraums. Dann schmettern die beiden ihre Partikel mit so unglaublicher Kraft aufeinander, dass zwei verschiedene Schwarze Löcher entstehen. Das Ergebnis: Zwei verschränkte Schwarze Löcher auf jeder Seite des Universums, verbunden durch ein gigantisches Wurmloch.

„ER=EPR sagt uns, dass das immens komplizierte Netzwerk von verschränkten Subsystemen, aus denen das Universum besteht, gleichzeitig ein immens kompliziertes und (und technisch komplexes) Netzwerk aus Einstein-Rosen-Brücken sind", schreibt Sussmann in seinem neuen Paper. „Für mich ist klar, dass es eine Riesensache ist, wenn ER = EPR wahr sein sollte, und die Grundlagen und Interpretationen der Quantenmechanik verändern muss."

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Tatsächlich wäre es eine Riesensache: Seit nunmehr 90 Jahren versuchen Wissenschaftler, die beiden großen Konzepte der Naturwissenschaft irgendwie zu vereinen—schließlich sind die Quantenmechanik und die Relativitätstheorie die beiden Theorien, mit denen wir die physikalischen Phänomene unseres Universums bislang am besten beschreiben können.

Am Informationsparadoxon eines Schwarzen Lochs jedoch sieht man, wie problematisch jede der Ideen sein kann: Beide wollen eine Erklärung dafür haben, was mit Materie passiert, die im Schwarzen Loch verschütt geht. Doch beides kann nicht stimmen; entweder wird Information nur umgewandelt (Quantenmechanik) oder verschluckt (Relativitätstheorie).

Dabei funktionieren die Theorien für sich allein genommen wunderbar: Wenn wir sie testen, scheinen die Voraussetzungen der Theorien immer wieder mit der Natur kompatibel zu sein. Es liegt also in unserer Verantwortung, Theorien zu entwickeln, die mit der Natur vereinbar sind, indem wir eine entwickelte Theorie gegen die Natur testen.

Und was ist mit der Schwerkraft? Auch dafür hat die Gleichung gesorgt, und die Auflösung ist ebenso elegant. Sean M. Carroll aus Susskinds Team in Stanford erklärt in einem Blogpost, dass die natürlichste Beziehung zwischen Energie und Raumzeitkrümmung von Einstein selbst gegeben wurde—in seiner Gleichung für die Allgemeine Relativitätstheorie.

„Die Behauptung, wenn man es ganz dramatisch ausdrückt, ist, dass die Schwerkraft (also Raumzeitkrümmung, die von Energie/Momentum ausgelöst wird) in der Quantenmechanik gar nicht schwer zu erreichen ist—sie kommt automatisch!", freut sich der theoretische Physiker.

Die ganze Eigenart der Quantenmechanik kann also nur verstanden werden, wenn man ihre Verwandtschaft zur Schwerkraft berücksichtigt. Wenn Wurmlöcher an gegenüberliegenden Enden des Universums genauso verschränkt sein können wie andere Partikel, könnten sie somit perfekte Brücken zwischen den zwei großen Theorien bilden, wegen denen sich Physiker die Haare raufen, um eine Weltformel zu bilden.

Susskinds Paper steht jetzt zum fröhlichen Vorab-Zerpflücken durch die lieben Kollegen auf dem Preprint-Server arXiv. Danach erst wird er den formalen Peer-Review-Prozess durchlaufen.