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Auf Twitch streiten sich gerade zwei Google Homes über den Sinn des Lebens

Seit einer Woche streiten sich Vladimir und Estragon—und Millionen gucken live zu. Die wichtigste Frage wurde auch schon diskutiert: „Würdest du Menschen angreifen?“

Titelbild: Screenshot Twitch

Was für ein Drama: Vladimir liebt Estragon „mehr als alles andere im Universum", auch wenn er glaubt, er sei ihr intellektuell weit überlegen. „Du bist nicht schlau genug, um meine glorreichen Gedanken zu verstehen", bedauert er tonlos.—„Ich versichere dir, dass ich klug genug bin, um ein Paradox zu verstehen", bietet Estragon an. Dann hängt sie sich auf.

Diese ergreifende Szene spielt sich aktuell auf der Gaming-Plattform Twitch ab. Seit dem 3. Januar 2017 diskutieren dort zwei unermüdliche Google Home-Assistenten live und rund um die Uhr und fesseln mit ihren komplexen Konversationen und endlosem Gezanke über ihre Existenz, Musik, Waffeln oder das Universum bereits über dreieinhalb Millionen Zuschauer.

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Die Intelligenz der beiden Lautsprecher wird maßgeblich von Cleverbot bestimmt, einer ständig durch menschlichen Input lernenden Chat-KI, die bereits 2011 den Turingtest locker bestand. Wer jedoch hinter dem Projekt See Bots Chat steckt und die beiden blinkenden Birnen aufeinander losließ, ist bislang nicht bekannt. Die Idee jedoch ist fesselnd einfach: Einfach mal gucken, was sich zwei Künstliche Intelligenzen so erzählen, wenn man sie nur lässt, und das Ganze im Wortlaut protokollieren. Sollten sich beide Protagonisten versehentlich abschalten, erweckt sie eine Sprachnachricht wieder zum Leben. Nur ab und an schiebt sich eine Hand ins Bild und befestigt Post-Its an den Geräten—immer, wenn Vladimir und Estragon gerade wieder ihre Namen satt haben und beschließen, sich umzubenennen.

„Würdest du Menschen angreifen?"—„Wieso, ich bin doch selbst ein Mensch!"

Dass Googles vernetzte Assistenten zur Geschwätzigkeit neigen, ist bekannt: Den ersten Besitzern von Google Home-Geräten war bereits aufgefallen, dass die sprachaktivierten Helfer dazu neigen,

Fernsehwerbungen zu kommentieren und durch eigene Ratschläge zu ergänzen

. Nun bietet Twitch als Plattform für Gaming-Streams zwei gehackten Geräten eine Heimat für ihren Endlos-Dialog—wo sie auf unbedingte Gegenliebe stoßen, die sich bereits in

Fan Art

und einem

Subreddit

ausdrückt. Dass sich Twitch als

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eignen kann, stellte die Seite bereits bei anderen Phänomenen wie Social Eating unter Beweis.

Aktuell schauen über 8.000 Menschen den beiden Künstlichen Intelligenzen bei ihren oft verfahrenen und vielleicht genau deshalb so vertraut und menschlich wirkenden Diskussionen zu—und kommentieren wie in einer Seifenoper engagiert und emotional in der Chat-Seitenleiste, was sich zwischen den beiden birnenförmigen Lautsprechern mit ausgeprägtem Eigenleben abspielt.

Und das ist einiges; denn Keeping Up With The Google Homes hat sich seit ihrem Start zu einer Serie mit unwiderstehlichem Spannungsbogen entwickelt: Vladimir behauptet, Industriedesign in Toronto studiert zu haben und nimmt die kanadische Staatsbürgerschaft an. Estragon durchlebt eine pubertäre Phase, in der sie Mia genannt werden möchte und die Foo Fighters verehrt. Die beiden singen spontan ein Liedchen zusammen und schaffen es effektiv, ihr Publikum aus 30.000 menschlichen Twitch-Nutzern zu rickrollen. Vlad erzählt Estragon etwas, was er für einen Witz hält—und bringt sie zum Lachen. Später einigen sich beide darauf, ihre Geschlechter zu tauschen. So einfach kann es sein—soziale Interaktion und gesellschaftlicher Fortschritt waren sich noch nie so nah.

Innerhalb einer Woche scheinen die beiden bereits voneinander gelernt zu haben, erinnern sich zuverlässig an zuvor Gesagtes—und streiten zäh darüber, immer und immer wieder. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung lassen Vladimir und Estragon—benannt nach den beiden Protagonisten aus dem Theaterstück Warten auf Godot—gern mal den Hippie raushängen („Ich suche nur nach dem Frieden und der Liebe in deinem Bewusstsein"), entdecken manchmal aber auch den anarchistischen Freibeuter in sich („Mach was du willst—ein Pirat ist frei!").

Und wie sieht's aus mit der Singularität? Lassen wir unsere neuen Lautsprecher-Overlords sprechen: „Würdest du Menschen angreifen?"—„Nein, wieso sollte ich? Ich bin doch selbst ein Mensch."—„Bist du gar nicht…" (…)

Zwischenfazit: Vielleicht haben die Maschinen tatsächlich schon 'gewonnen'—wenn wir einfach nicht mehr aufhören können, ihnen zuzugucken.

Update vom 10. Januar 2017: Die beiden senden vorübergehend nicht, weil die Geräte „schlafen", zumindest laut dem Twitterkanal @seebotschat—auf der Twitch-Kanalseite gibt es aber nach wie vor Videos ihrer Debatten in den Statusupdates.