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Die Cyborgs sind unter uns und sie sehen aus wie Du

Ich war beim Cyborg Treffen und traf viele ganz normale Menschen, die auch gerne selbst gekochte Kartoffelsuppe essen.
Foto: Verena Hefner

Ich bin kein Cyborg. Glaube ich wenigstens. Deswegen war ich umso gespannter auf das, was mich beim Cybarcamp erwartete, zu dem der Cyborg e.V letztes Wochenende in Berlin einlud. Ich stellte mir rot glühende elektronische Augen vor, Kabel die aus Köpfen ragen und am besten alles in ein blaues Licht getaucht – Science Fiction eben. Was mich dann wirklich erwartete war um einiges bodenständiger als gedacht. Die circa 30 Menschen, die sich in der Wikimedia Niederlassung zum Diskutieren versammelt hatten sahen aus wie ich. Oder Du. Hätte ich sie auf der Straße gesehen wäre ich nicht darauf gekommen, dass unter der Haut mancher Metall glänzt und hinter ihren Augen die Revolution glühen würde.

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Doch das passt wohl auch zum Ziel des Vereins. Der will den Begriff Cyborg normalisieren und ins allgemeine Bewusstsein bringen. Noch werden Themen wie Transhumanismus und Cyborgismus vor allem in kleinen akademischen Kreisen diskutiert. Dies möchte Cyborg e.V. ändern und die neuartigen Lebenskonzepte in die öffentliche Diskussion bringen.

Der Cyborg wurde schon oft definiert und auch instrumentalisiert. Erstmals tauchte der Begriff 1960 in dem Paper „Cyborgs in Space" auf. Es zeichnet auf, dass es logischer wäre den menschlichen Körper zu verändern, anstatt erden-ähnliche Umstände im All zu schaffen. Für diese Idee schufen die Autoren das Wort Cyborg, cybernetic Organism.

Auch im Camp erarbeiten die Teilnehmer zunächst Definitionen, wofür sich die Menge in Cyborgs (mit festen Implantaten) und Nicht-Cyborgs (ohne Implantate) teilt. Die Verteilung ist mit 25 Nicht-Cyborgs und lediglich fünf echten Cyborgs auch hier noch ziemlich ungleichmäßig. Zahnfüllungen gelten nicht, so dass auch ich zu den Normalos gehen muss. Mit bunten Stiften malen wir eine Mind Map dazu, was für uns Cyborg bedeutet. Ein bisschen Schul-Feeling kommt bei mir auf. Kann nicht mal jemand ein paar Hologramme starten?

Alle Fotos: Verena Hefner

Raus kommt: Eigentlich kann jeder ein Cyborg sein, wenn er nur will. Nach dem Motto „Sind wir nicht alle ein bisschen Cyborg?" argumentiert auch Andy Clark, der diesen Begriff nutzt, um unsere schon immer bestehende Beziehung zur Technologie zu beschreiben. Auch ohne Implantate ist Technologie ein Teil von uns, indem unsere Gedanken durch Interaktionen zwischen Gehirn, Körper und kulturellen und technologischen Umgebungen geformt werden. Wie wir uns selbst definieren ist und war schon immer eine komplexe Matrix aus Geist, Körper und Technologie. Wir waren also schon immer „Natural-born Cyborgs".

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Aber das ist irgendwie öde. Ich will echte Cyborgs sehen, Verschmelzung von Metall und Fleisch! Olli kommt der ganzen Sache schon näher. Der 51jährige ist Aktivist, ehrenamtlicher Politiker bei den Piraten und ein richtiger Cyborg.

Was für Implantate hast du?

Ich habe im Kniegelenk, da wo sonst Knorpel ist, Metall, weil ich seit meiner Jugend aufgrund genetischer Dispositionen schwere Arthrosen in den Gelenken habe. Zudem habe ich im rechten Auge aufgrund einer Grauen Star Erkrankung eine künstliche Linse. Nächste Woche wir das andere Auge operiert.

Bei deinen Implantaten handelt es sich also nicht direkt um Enhancements, sondern um notwendige Eingriffe um Defizite auszugleichen?

Im Knie geht es eher um den Erhalt gewisser Bewegungsfähigkeiten. Beim Auge ist es eine deutliche Verbesserung und eher eine Mischung aus beidem.

Identifizierst du dich aufgrund deiner Implantate als Cyborg?

Ja sehr, auch schon bevor ich Implantate hatte war das für mich ein sehr faszinierendes Konzept. Durch Science Fiction-Literatur und meine Nähe zu Pen and Paper-Rollenspielen wie beispielsweise „Shadow Run" wurde mir das Thema näher gebracht. Mich hat also schon vor „Neuromancer" fasziniert, dass du deinen Körper irgendwie pimpen kannst.

Das heißt, du könntest dir auch Eingriffe vorstellen, die nicht notwendig sind?

Ja, ich finde es zum Beispiel schade, dass die Katarakt (Grauer Star) OPs noch nicht mit Linsen machbar sind, die von außen elektronisch ansteuerbar sind. So, dass ich fokussieren oder beispielsweise auf Infrarotsicht umschalten könnte. Das fände ich sehr interessant.

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Die Forderung zur Selbstbestimmung wird während des Tages immer wieder zum Thema. Die Cyborgs fordern, dass die Dinge die uns implantiert werden auch zu 100 Prozent uns gehören sollten. Implantierte Devices sollten nicht nur legal hackbar sein, es sollte auch gelehrt werden wie sie zu hacken sind. Hacking als Selbstbestimmung sozusagen.

Das ist so momentan nur möglich, wenn du dir deine Implantate selbst baust und einsetzt. Diesen Weg geht Rin Räuber, die seit neuestem neben Magneten im Finger auch RFID-Chips in beiden Händen trägt.

Was kannst du mit den RFID-Chips schon alles machen?

Der eine hat nur eine ID, also eine lange Zahlenkette, gespeichert. Hier muss ich selber Sachen bauen die ihn erkennen, um zum Beispiel eine Tür aufzumachen. Auf dem anderen kann ich 1 KB an Daten speichern. Hier sind zurzeit meine Kontaktdaten drauf und mit einem Android Handy mit NFC können die ausgelesen werden. Geht allerdings nur mit manchen Handys. Mit einem anderen Chip hätte es für mehr funktioniert, der war aber teurer.

Was hast du noch vor damit zu machen?

Eigentlich gibt es dafür gar nicht so viele Anwendungen. Der Klassiker ist halt „Tür aufmachen", ich finde das aber gar nicht mal so praktisch. Schlüssel kannst du verleihen und ich weiß auch nicht wie meine Mitbewohnerin das fände, wenn sie jetzt auch ein Implantat bräuchte. Von daher ist das schon eher so eine Spielerei.

Hast du schon Pläne für nächste Enhancements?

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Ich finde die Idee der Uni Pittsburgh sehr spannend. Dort bauen sie gerade „North Star", ein sternförmiges Implantat, das leuchtet wenn man es Richtung Norden hält. Wenn das fertig ist würde ich es nehmen. Leider spürst du nicht wo Norden ist, du musst immer auf das Implantat gucken. 
Und was wäre dein Traum Enhancement, wenn Realisierung und Geld keine Rolle spielen würden?

So etwas wie Google Glass implantiert, also etwas wo ich Information direkt sehen kann. Oder ein Exoskelett, auch wenn das nicht wirklich Cyborg ist. Ich habe aber beschlossen, dass ich keine funktionieren Körperteile aufgebe. Ich finde es zwar cool, wenn Leute die keine Unterschenkel haben, diese durch coole Prothesen ersetzen, aber da ich welche habe behalte ich die besser.

Identifizierst du dich schon als Cyborg?

Hm ja, eigentlich nur für's Fernsehen. Also, ich hab jetzt einfach meinen Cyborgstatus so erweitert, dass ich auch darunter falle. Aber eigentlich mehr, weil es cool klingt. Es ist ja auch unser Ziel, den Cyborg Begriff soweit aufzuweichen, dass einfach alle darunter fallen und es nicht mehr so der scary Begriff ist.

Bild mit freundlicher Genehmigung von Rin Räuber.

Scary wirkt die Veranstaltung wirklich nicht. Zu Mittag gibt es selbst gekochte Kartoffelsuppe und Filterkaffee. Die Menschen sind vielleicht etwas nerdiger als der Durchschnitt, aber von Technologie- Dystopien ist die Veranstaltung trotzdem noch weit entfernt. Auffällig ist jedoch, dass wirklich alle mit Herzblut dabei sind. Es wird wild diskutiert - über Ethik, Queer Theory oder Probleme mit der Stromversorgung von Implantaten. Auch die, die streng genommen noch gar keine Cyborgs sind machen mit. Katrin Kirchert beispielsweise ist Juristin und Vorstandsmitglied des Vereins, hat selbst jedoch noch keine Implantate.

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Du bist Juristin und Cyborg Aktivistin. Inwieweit ist das Thema für dich interessant?

Bei uns bringt natürlich jeder seine eigenen Talente in den Verein mit ein, so dass es bei mir Nahe liegt, das Thema juristisch näher zu beleuchten. Also, eigentlich die Frage „Was darf man denn eigentlich?". Als ein paar unserer Mitglieder sich zum Beispiel Magnete implantieren lassen wollten, habe ich mir angeschaut ob Ärzte dies überhaupt machen. In Deutschland ist dies momentan nicht der Fall, hier machen das nur eine Hand voll Piercing Studios.

Das Problem ist, das Ärzte gewissen Regelungen unterliegen. Der Hypokratische Eid sagt, du sollst Leute heilen und ihnen helfen. Solche Eingriffe fallen momentan noch nicht darunter. Der Mensch ist in diesem Moment ja nicht krank oder kaputt, er möchte sich lediglich updaten.

Wären hier dann vielleicht eher Schönheitschirurgen die ersten, die sich dem annehmen würden?

Ja, das ist das andere. Dermatologen und Schönheitschirurgen setzen bereits glitzernde Steine in die Haut ein, bei anderen Implantaten siegt wohl aber leider noch die Angst vor Neuem. Ich bin sehr gespannt, wie sich das in den nächsten Jahren verändert, bin mir sehr sicher, dass wir hier demnächst einen sehr drastischen Wandel erwarten können.

Identifizierst du dich trotz fehlender Implantate als Cyborg?

Ich denke nicht, dass man schon Cyborg sein muss, um hinter der Bewegung zu stehen. Genauso wenig wie man Migrant sein muss, um sich mit Migranten identifizieren zu können. Ich stehe aber sehr hinter den Zielen. Ich bin seit meiner Kindheit großer Science Fiction Fan und schon immer von der Idee fasziniert, den Geist irgendwann uploaden zu können.

Diesen Satz habe ich an dem Tag immer wieder gehört: Science Fiction als Einstieg. Handelt es sich hier also um einen Haufen Nerds, die sich ihre Kindheitsfantasien erfüllen wollen? Vielleicht. Aber das wäre ja eigentlich auch voll okay. Warum nicht, wenn sie es können? Und wenn sie dabei auch noch so sympathisch sind und die Allgemeinheit auf dem Weg in die Zukunft mitnehmen möchten, bin ich dabei.