In Korea isst man heimlich Kimchi aus China

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Südkorea

In Korea isst man heimlich Kimchi aus China

Kimchi ist für Koreaner identitätsstiftend. Wer nicht-koreanisches Kimchi isst, begeht quasi eine Todsünde. Dennoch ist chinesisches Kimchi wegen seines unschlagbaren Preises auf dem Vormarsch, vor allem in der Gastronomie. Doch die Koreaner tun alles...

Ohne Kimchi könnten die Koreaner nicht überleben. Man kann gar nicht beschreiben, wie wichtig eine Schüssel mit scharfem, fermentierten Kohl für sie ist. Oder auch drei am Tag. Kimchi ist Schmiermittel einer ganzen Gesellschaft und das Herzstück der koreanischen Küche.Es wird mit Tofu serviert oder mit Reis gebraten. Es gibt Rindfleisch im Kimchi-Mantel und Kimchi-Suppen. Kimchi vollbringt medizinische Wunder und heilt alles vom Kater bis zu Krebs. Wenn man den Koreanern ihr Kimchi wegnimmt, stürzen sie sich wahrscheinlich aus Verzweiflung ins reißende Meer.

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Aber im Kimchi-Land Südkorea kriselt es. Fremdes Kimchi überschwemmt das Land und beraubt Korea seines kulinarischen Ansehens: Chinesisches Kimchi ist zum Standard in Restaurants und Cafés im ganzen Land geworden, obwohl kein Koreaner das zu Hause essen würde.

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Eine Kimchi-Verkäuferin im Gwangjang-Markt. Alle Fotos von Jo Turner.

Joe McPherson, ein koreanischer Food-Experte mit amerikanischen Wurzeln und Autor des Blogs ZenKimchi, erklärt mir: „Jeder Kimchi-Feinschmecker wird dir erklären, dass man das terroir genau herausschmecken kann." Wenn aber die Zutaten—normalerweise besteht Kimchi aus Chinakohl, roter Paprika, Knoblauch, Salz und Fisch- oder Shrimpsauce—gleich sind, kann man keinen Unterschied erkennen.

Hier geht es vielmehr um den koreanischen Nationalstolz.

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„Kimchi ist eng mit der koreanischen Identität verbunden, deswegen ist nicht-koreanisches Kimchi ein Sakrileg", so McPherson.

Kim Jae-hwan ist leitender Forscher für internationale Marktforschungund Exportunterstützungam World Institute of Kimchi. Er sagt, dass chinesisches Kimchi für die Restaurants einfach unglaublich attraktiv im Preis ist.

„Durch das schlechte Geschäft in der Gastronomie wählen die Unternehmer billiges Kimchi aus China", so Kim Jae-hwan. Dadurch wollen sie sich einen „Wettbewerbsvorteil" verschaffen, den sie bei der derzeitigen Marktsituation dringend brauchen: Gerade einmal 17 Prozent aller Restaurants bestehen auf dem gesättigten koreanischen Markt länger als fünf Jahre.

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Selbst wenn man die Transportkosten betrachtet, ist chinesisches Kimchi immer noch zwei- bis fünfmal billiger als die einheimische Variante. Im Onlineshop On-se-mi-ro kosten zehn Kilo Kimchi aus Korea umgerechnet circa 25 Euro. Dieselbe Menge aus China kostet nicht einmal 14 Euro.

Bei einem anderen Online-Händler, Hana Foods, sieht es noch schlimmer aus: Zehn Kilo koreanisches Kimchi kosten umgerechnet 39 Euro, die chinesische Variante liegt bei unschlagbaren 8 Euro.

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In der Zeitschrift Finance & Development, die vom internationalen Währungsfond IWF herausgegeben wird, heißt es, dass Korea seit 2006 Kimchi im Wert von über 100 Millionen Dollar aus China importiert hat, mit Ausnahme von2009, weil damals der starke chinesische Renminbi die Importe gedrosselt hat.

Gleichzeitig exportiert Korea wegen eines Importverbots kein Kimchi nach China: Nach chinesischem Gesetz ist Kimchi eine eingelegte Ware und darf daher nur wenige Bakterien enthalten. Das wiederum heißt, dass koreanisches Kimchi überhaupt nicht exportiert werden kann, weil es, wie auch Joghurt, zu den probiotischen Nahrungsmitteln gehört und pro Gramm hunderte Millionen Milchsäurebakterien enthält.

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Trotz des chinesischen Verbots unterscheiden sich koreanisches und chinesisches Kimchi fast gar nicht voneinander. „Das Kimchi aus China, das nach Korea importiert wird, wird meist von Koreanern nach koreanischem Rezept hergestellt", so Kim Jae-hwan. „Deswegen schmecken beide Versionen auch komplett identisch."

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In den Gängen der ältesten und traditionsreichsten Markthalle in Seoul, dem Gwangjang-Markt, herrscht ein unglaubliches Gedränge und ein hoher Geräuschpegel—hier bekommt man echt koreanisches Essen.In einem Teil der Halle verkaufen ältere Damen mit roten Schürzen und ellenbogenlangen Gummihandschuhen bergeweise Kimchi an die Kunden.

„Die meisten koreanischen Familien essen kein chinesisches Kimchi zu Hause", erzählt mir der Besitzer des Kimchi-Standes Song Han Nay Kimchi. „Deshalb ist mir chinesisches Kimchi egal. Bei mir kaufen fast nur Familien."

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Beim nächsten Stand, Sam Woo Su San Kimchi, erzählt mir die Chefin, dass ihre Einnahmen ein wenig zurückgegangen sind, aber das mache ihr keine Sorgen. Sie sagt aber auch, dass chinesisches Kimchi nicht das Gleiche ist. Die Kunden sollten sich davon fernhalten: „Die chinesischen Zutaten sind nicht immer unbedenklich. Daher kommt der Qualitätsunterschied."

Neben dem Nationalstolz sind Gesundheitsrisken also ein weiterer Punkt. Im chinesischen Kimchi wurden bereits Parasiteneier und hohe Bleiwerte gefunden. Nahrungsmittelskandale gehören in China wohl zur Tagesordnung.

Um zu verstehen, wie weit die chinesische Invasion fortgeschritten ist, habe ich mir 20 Restaurants im Zentrum von Seoul angeschaut. Wer serviert seinen Gästen chinesisches Kimchi (oder gibt das offen zu)?Fazit: nur zwei. Da fragt man sich doch, wo das ganze Kimchi aus China landet. Joe McPherson ist sich sicher: Wenn du dir ein schnelles, billiges Mittagsmenü bestellst, dann isst du definitiv chinesisches Kimchi. Traditionellere Restaurants machen ihr Kimchi aber selbst. Obwohl Restaurants ab einer bestimmten Größe gesetzlich verpflichtet sind, die Herkunft des Kimchis (und des Fleisches) auszuweisen, machen das viele nicht odereben nur so, dass die Kunden den Hinweis schwer finden.

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Kim Jae-hwan erzählt mir, dass in Korea gerade ein freiwilliges Kennzeichnungssystems für Restaurants eingeführt wird. So können die Gastronomen den Kunden deutlich zeigen, dass sie koreanisches Kimchi servieren. Der koreanische Kimchi-Verband hat extra ein Logo entworfen, damit die Restaurants auf Kimchi aus „100 Prozent koreanischen Zutaten" hinweisen können.

„Dieses System ist ein zusätzlicher Hinweis für die Kunden und soll so helfen, den Verzehr von original koreanischem Kimchi anzukurbeln", so Kim Jae-hwan.

Kann man so das billige Kimchi für 80 Cent pro Kilo endlich ausstechen? Bleibt abzuwarten.

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„Die koreanische Regierung und koreanische Organisationen haben viel Geld und Arbeit in die weltweite Popularisierung der koreanischen Küche gesteckt", erzählt Joe McPherson. Die Ergebnisse sind unterschiedlich: Während in Los Angeles Kimchi-Tacos verkauft werden, haben die Chinesen eben gelernt, wie man das typisch koreanische Gericht zubereitet.

„Je beliebter die koreanische Küche wird, desto weniger kann Korea sie kontrollieren", so Joe McPherson.