Screenshots zeigen Facebook-Posts von Focus Online Politik
Eine Falschmeldung über kurdische Clans verbreitet sich bei Focus Online Politik auf Facebook dreimal besser als eine korrekt berichtete Nachricht | Bild: Julia Weber für Motherboard

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Angst & Schrecken in der BRD: Die Posting-Strategie von 'Focus Online Politik'

Herbeifantasierte Clankonflikte, banale Fahndungsaufrufe und der ständige Wunsch nach Law & Order: Wie sich 'Focus Online Politik' mit Angst statt Aufklärung Klicks auf Facebook abholt.

Wie viel Halbwahrheit und Falsches kursieren auf Facebook? Und welche Rolle spielen große Nachrichtenmedien in Sachen Desinformation? Wir haben in einer Woche rund 2.000 Facebook-Posts von acht deutschsprachigen Medien in einer umfassenden Datenrecherche nachrecherchiert und auf ihre Faktentreue hin überprüft. Hier schlüsseln wir alle Ergebnisse auf. Ein FAQ zu unserem Untersuchungs-Setup findet ihr hier.

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Bei der Analyse fiel uns nicht nur auf, dass der verbreitete Anteil an wahren, halbwahren und falschen Posts je nach Medium sehr unterschiedlich ausfiel, sondern auch, mit welchen verschiedenen Taktiken und Strategien die Medien Falsches auf Facebook verbreiten. Einen Überblick über die Posting-Strategien aller Medien findet ihr hier.

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Kennt ihr noch den alten 90er-Werbespot für den Focus, in dem Helmut Markwort seine Redakteure anbrüllt, er brauche "Fakten! Fakten! Fakten"? Bei Focus Online Politik auf Facebook findet er sie – zumindest meistens. Denn wie unsere Datenanalyse zeigt, sind fünf Prozent der Posts innerhalb einer Woche falsch und noch einmal 10 Prozent ziemlich verzerrende Zuspitzungen.

Aber die gute Nachricht zuerst: Alle der fünf meistgeteilten Posts von Focus Online Politik fallen in unserem Untersuchungszeitraum in die Kategorie A – und können somit als sauber berichtet gelten. Doch zwischendrin arbeitet Focus Online Politik auf Facebook leider noch viel zu häufig mit Angst statt Aufklärung. Da wird auch schon mal ein bisschen Weltkriegspanik herbeigeredet – darunter macht man es offenbar nicht. "Fast jeder zweite Deutsche erwartet laut einer Umfrage den Dritten Weltkrieg", verkündet die Facebook-Seite unter einem Bild von Trump neben drei massiven Kanonenrohren und bettelt beim Leser in der Copy geradezu um eine emotionale Reaktion: "Ihr auch?"

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Ganz abgesehen von dieser höchst fragwürdigen Ansprache ist die Umfrage nicht nur mit gerade mal 1.009 Teilnehmern nicht repräsentativ – die Umfrageergebnisse der YouGov-Studie für die Huffington Post lassen sich auch nicht online nachvollziehen. "Fakten, Fakten, Fakten und an die Leser denken"? Eher nicht.

Nicht nur die Quellen teilt sich der Focus gern mit der Huffington Post – in unserem Untersuchungszeitraum verbindet die beiden auch eine weitere Posting-Strategie: Denn auch auf Focus.de wird aus jeder noch so kleinen Facebook-Meldung ein etwas müde nacherzähltes Video auf der Website ohne näheren Erkenntniswert, das den Meldungstext 1:1 wiedergibt. Häufig muss man es sich ganz bis zum Ende anschauen, um die Auflösung einer auf Facebook nur angeteasten Nachricht zu erfahren.

Gern deutet der Focus in politischen Nachrichten ein skandalöses Versäumnis von Bundesregierung, Justiz oder einem SPD-geführten Bundesland an, das sich aber bei näherer Recherche als zusammenhanglos entpuppt. Beispiele: "Erster Ausreisegewahrsam Deutschlands in Hamburg aktiv – doch abgeschoben wird dort kaum". Die Copy zum Aufregen: Der Preis des Containerbaus am Flughafen (181.000 Euro). Dass Ausreisepflichtige nicht automatisch dort eingesperrt werden, sondern nur, wenn sie sich länger vor den Behörden verstecken, dass vier von insgesamt nur 20 Plätzen gerade mal einen Monat nach Eröffnung besetzt sind und dass nicht in der Unterkunft direkt "abgeschoben wird", müssen die Leser selbst recherchieren.

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Verallgemeinerungen und Pauschalisierungen bis zur Falschmeldung

Für die Facebook-Posts wird manchmal ein bisschen verallgemeinert, zum Beispiel, wenn es um die Konsequenzen von Trumps Wahl geht: "Früher belächelt, nach Trump-Wahl bitterer Ernst: US-Bundesstaat will Abspaltung!", heißt es zum Beispiel. Dass es sich bei der Initiative "Yes! California" nur um eine Handvoll Unabhängigkeits-Aktivisten handelt, die nicht repräsentativ für einen ganzen Staat stehen können, kann der Leser aus dem Post kaum entnehmen – ganz besonders, wenn er mit einem Foto der kalifornischen Flagge aufgemacht wird.

Und wenn wir schon von Verallgemeinerungen reden: "Fast alle Täter aus der Kölner Silvesternacht kommen davon" ist ebenfalls hart an der Grenze zur Falschmeldung: Wenn sich ein Tatverdacht vor Gericht als nicht hinreichend entpuppt, gibt es auch keinen identifizierten Täter, der "davon kommt". Sechs Verurteilungen gab es zu diesem Zeitpunkt, 83 Verfahren gegen namentlich bekannte Täter standen Ende November noch an. Die stellvertretende Focus-Chefredakteurin Linda Hinz sieht allerdings keinen Fehler von Seiten Focus Online – "unsere Redakteure brennen für ihre Arbeit", versichert sie schriftlich – und mag der Klassifizierung nicht zustimmen: "Die Täter mögen unbekannt sein, nicht alle Anzeigen mögen berechtigt sein – aber unstrittig ist doch, dass es in dieser Nacht zu zahlreichen Straftaten kam, die von Tätern ausgeführt wurden", schreibt sie uns.

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Focus Online Politik liebt Fahndungsaufrufe – auch für Bagatelle

Kriminalität ist das große Thema, mit dem Focus Online Politik am meisten Likes und Shares erntet. Dabei wird auch gern mal ein bisschen herum gedeutet, wenn es dem Skandal dient. Der meistgeteilte Post aus der Kategorie C macht das deutlich – es geht um das Verbrechen in Hameln, bei dem ein Mann seine Frau an einem Seil hinter dem Auto hergeschleift hat und sie dabei schwer verletzte. Focus Online Politik grübelt nun in der Post-Überschrift: "Konflikt zwischen kurdischen Clans?" Doch darauf gibt es keinerlei Hinweise; schon gar nicht von der Polizei, die im Artikel hinter dem Post mit "neuen Infos" zu dem Fall zitiert wird. Täter und Opfer stammen zwar beide aus kurdischen Familien, doch die Tat war eine Beziehungstat – mit organisierter Kriminalität angeblicher ausländischer "Clans" hat sie nichts zu tun.

Im Gegensatz dazu schreibt uns Focus Online Politik: Bei "heiklen Themen wie der Flüchtlingskrise" würden die Redakteure stets Rücksprache mit der Politikredaktion halten, bevor Artikel auf Facebook beworben werden.

Generell fällt auf: Focus Online Politik scheint – ähnlich wie Epoch Times und HuffPost – Fahndungsaufrufe zu lieben, auch wenn es sich um Bagatellkriminalität handelt und nicht klar wird, was diese Fälle nun genau mit Politik zu tun haben. Wie dem auch sei: Es funktioniert. Das bestätigt auch die stellvertretende Chefredakteurin Linda Hinz: "An Fahndungsaufrufen besteht speziell durch unsere große Local-Community sehr großes Interesse. Tatsächlich haben wir in der Vergangenheit auch viele Aufrufe, die auf unseren kleineren Facebook-Channels auf großes Interesse gestoßen sind, auf größeren Channels gepostet."

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Den Gipfel der unbegründeten Angstmache erreicht die Facebook-Seite mit einem maßlos überzogenen Grusel-Post: "Wenn dieser Mann dich anspricht, bist du bereits in seine Falle getappt", heißt es bedrohlich unter dem unverpixelten Foto eines mutmaßlichen Trickdiebes, der in Gelsenkirchen ein Handy und etwas Geld gestohlen haben soll. Das erfährt der Leser jedoch nicht aus dem Facebook-Post. Stattdessen gibt es eine Copy wie aus dem Clickbait-Lehrbuch: "Bitte teilen! Er will zwei ganz bestimmte Sachen von dir!" Ja, gemeint ist wohl tatsächlich: Geld und Smartphone. Offensichtlich reicht es aus, die Leser zum Teilen aufzufordern – 474 mal verbreiteten Leser diese Nicht-Nachricht und beteiligten sich gern an der hemmungslosen Online-Verfolgung. Was wohl die Polizei darüber denkt, wenn sich ihre Pressemitteilungen derart verselbstständigen?

Wir wissen es nicht, wohl aber, was Linda Hinz, stellvertretende Chefredakteurin bei Focus Online Politik darüber denkt: "Wir können gerne darüber reden, ob die Zeile 'Wenn dieser Mann dich anspricht, bist du bereits in seine Falle getappt' etwas überdreht ist", schreibt sie uns. "Falsch jedoch ist sie nicht", findet sie, "es handelt sich um einen Betrüger, der sich das Vertrauen von Frauen erschleicht, um sie dann zu bestehlen. Die Meldung deshalb als Fake News zu klassifizieren, scheint mir falsch", so Hinz. "Ich finde sogar, dass Sie damit die Grenzen in der Fake News-Debatte auf gefährliche Art und Weise verwischen."

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Ob Focus Online Politik mit dieser Meldung Hinz' "Anspruch, jederzeit unsere User korrekt zu informieren" tatsächlich nachgekommen ist, darf jeder für sich selbst entscheiden. Hinz räumt allerdings in Bezug auf die Konsequenzen dieses Fahndungs-Alarmismus, den wir festgestellt haben, ein: "Auf diese Weise kann jedoch der Eindruck entstehen, dass es in Deutschland zu einer Häufung solcher Vorfälle kommt".

Doch sie möchte auch betonen, dass Focus Online Politik schon viel besser geworden ist: "Weil wir hier keinen falschen Eindruck erwecken möchten, haben wir uns lange vor der Veröffentlichung Ihres Artikels entschieden, hier zurückhaltender vorzugehen, und lokale Meldungen nur dann auf größeren Kanälen zu verteilen, wenn wir hier eine überregionale Bedeutung erkennen. Sollten Sie Ihre Untersuchung wiederholen, würde sich dies sicher in den Ergebnissen niederschlagen."

Law & Order und ein bisschen Zündeln

Anhand der fünf meistgeteilten Posts im Untersuchungszeitraum lässt sich ungefähr ablesen, welche Narrative Focus Online Politik über die Testwoche hinweg bedient: eine rechtspopulistische, die gern von vermeintlich lascher Justiz und explodierender Kriminalität erzählt, und mit Quellen wie Rainer Wendt Law & Order und die "harte Hand des Staates" einfordert. Und gleichzeitig die Welt brennen sehen will.

Der meistgeteilte Post (3.677 Shares) aus dem Untersuchungszeitraum verdeutlicht gut, was Facebook-Seiten durch die ständige Phantombild-Panikmache erreichen: Es ist ein Fahndungsaufruf mit der Zeichnung eines südländisch aussehenden Mannes: "Mann zieht Frau in Wald und vergewaltigt sie – helft mit, ihn zu finden!", fordert Focus Online Politik. Das lassen sich die Facebook-Fans der Nachrichtenwebsite nicht zweimal sagen. Doch eine Top-Kommentatorin erkennt gleich das kleine Problem an der Sache: "Gutes Phantombild", lobt sie, "nur sehen die für mich irgendwie alle gleich aus?"

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Zahlen und Fakten zu 'Focus Online Politik'

Motto: "Die aktuellen Politik Nachrichten aus Deutschland und der Welt - direkt aus der FOCUS-Online-Redaktion."

Facebook-Fans: 533.094
Reichweite der Website laut Similarweb: 85,75 Mio. Visits pro Monat
Anzahl der untersuchten Posts: 231

Die fünf meist geteilten Posts im Untersuchungszeitraum:

Platz 1:
Mann zieht Frau in Wald und vergewaltigt sie – helft mit, ihn zu finden
(3677 Shares, Kategorie A)

Platz 2:
Polizeigewerkschaft kritisiert deutsche Richter als zu täterfreundlich
(963 Shares, Kategorie A)

Platz 3:
Türkei droht Europa: "Flüchtlinge werden Europa überschwemmen und übernehmen!"
(768 Shares, Kategorie A)

Platz 4:
Pädophilenring aus Politikern und Anwälten gesprengt – sie zwangen Kinder auch zum Sex mit Tieren
(650 Shares, Kategorie A)

Platz 5:
Früherer US-Außenminister Kissinger: "Trump hat etwas Großartiges geschafft."
(608 Shares, Kategorie A)