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Verbrechen

Wie Anwälte in Deutschland versuchen, Syriens Folterknechte vor Gericht zu bringen

Erstmals gibt es einen internationalen Haftbefehl gegen einen syrischen Geheimdienstchef. Dafür gesorgt hat auch ein Verein in Berlin. Eine Mitarbeiterin hat uns erklärt, wie sie die Verbrecher jagen.
Machthaber al-Assad besucht die Front, in den beherrschten Gebieten foltert derweil der Luftwaffengeheimdienst || Foto: imago | Xinhua

Wer Jamil Hassan googelt, dem zeigt die Suchmaschine einen alten Mann mit einem Blick, als verachte er die eigenen Enkel, und der am 26. August 2012 gestorben sein soll. Dabei lebt der Kommandant des "mächtigsten, rücksichtslosesten und – fraglos – meist gefürchteten Geheimdienstes in ganz Syrien" noch, so der Independent. Vor zwei Jahren gab er einem Reporter der britischen Zeitung sogar ein Interview. Wie der Spiegel berichtet, ist Jamil Hassan das erste hochrangige Mitglied aus dem Machtapparat des Diktators Assad, das bald mit einem internationalen Haftbefehl gesucht wird. Erwirkt hat den die deutsche Generalbundesanwaltschaft, auch dank Organisationen wie dem European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR).

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Hassan, dessen Name sich bereits seit Jahren auf Sanktionslisten der EU und des US-Finanzministeriums findet, soll dafür verantwortlich sein, dass seit 2011 Hunderte Menschen in syrischen Foltergefängnissen gestorben sind oder schwer misshandelt wurden. Das will ihm das ECCHR nachgewiesen haben. In dem vor zehn Jahren in Berlin gegründeten Verein arbeiten Menschenrechtsanwälte wie Alexandra Lily Kather zusammen mit syrischen Kollegen, Folterüberlebenden, Hinterbliebenen, Journalisten und Aktivisten. Wir haben Kather gefragt, wie sie die Folterer überführen.

VICE: Was bedeuten die Ermittlungen gegen Jamil Hassan?
Alexandra Lily Kather: Die syrischen Folterüberlebenden haben allen Glauben in juristische und staatliche Institutionen verloren. Weil sie von ihnen so lange terrorisiert und verfolgt wurden. Dass jetzt in Deutschland, dem Land, in das sie geflüchtet sind, eine strafrechtliche Behörde sie nicht nur anhört, sondern aufgrund auch ihrer Aussagen gegen Verantwortliche vorgeht, bestätigt sie.

Wer sind diese Menschen?
Ein heute 30-jähriger etwa, der in Damaskus Ingenieurwissenschaften studierte. Der Luftwaffengeheimdienst hielt ihn seit Ende 2011 viereinhalb Monate lang auf dem al-Mezzeh-Militärflughafen in Damaskus fest, weil er an Demonstrationen teilgenommen hatte. Er berichtete uns, wie er und seine Freunde bei ihrer Ankunft in der Haftanstalt voreinander verprügelt wurden. Die Wärter schlugen den Mann so hart geschlagen, dass sein Kiefer brach. In den nächsten Wochen mussten ihm seine Mitgefangenen das Essen vorkauen. Das Essen war teilweise, aber wer nicht essen wollte, wurde geschlagen. Eine medizinische Versorgung des Bruches und anderer Folterwunden gab es nicht, auch nicht, als sie sich immer wieder infizierten.

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Bis zu 20 Personen saßen in einer für die Einzelhaft gedachten Zelle ein, in Großraumzellen sogar 200 bis 300. Die Gefangenen konnten nur stehen oder hocken, während sie sich beim Schlafen abwechselten. Es gab weder Sonnenlicht noch ein Fenster. Bei den Verhören folterten die Gefängnismitarbeiter den Studenten mit Elektroschocks und hängten ihn an den hinter seinem Rücken zusammengebundenen Handgelenken an der Decke auf. Andere Männer und Frauen berichteten uns von sexualisierter Gewalt bis hin zu Vergewaltigungen. In den Gefängnissen war jeder Tag von Gewalt und Willkür geprägt.

[ Anm. d. Red.: Eine ausführliche Zusammenfassung der Aussagen des "Zeuge 24" genannten Mannes, findet sich auf der Website des ECCHR.]

Wie geht es dem Studenten heute?
Nachdem er entlassen wurde und über Ägypten nach Deutschland fliehen konnte, entdeckte er einen seiner Freunde auf Fotos von Gefängnisleichen. Heute lebt er mit posttraumatischen Belastungsstörungen, Schlafproblemen und einem vernarbten Körper. Demnächst muss er sich einer Operation aufgrund der durchlebten Folter unterziehen.

Bei einer Veranstaltung des ECCHR erzählen die Folterüberlebenden Shappal Ibrahim und Yazan Awad von ihren Erlebnissen || Youtube-Video von ECCHR Berlin

Welchen Anteil hat das ECCHR daran, dass nun der Haftbefehl beantragt wurde?
Wir beobachten seit 2012 Völkerrechtsverbrechen in Syrien. Dafür kooperieren wir auch mit den beiden syrischen Anwälten Anwar al-Bunni und Mazen Darwish. Al-Bunni und Darwish saßen selbst jahrelang in Haft und wurden gefoltert, heute betreiben sie Menschenrechtsorganisationen in Berlin. Darwish wurde sogar von Hassan in Syrien verhört. Über sie sind wir in Kontakt mit zahlreichen Folterüberlebenden gekommen und haben dabei sehr schnell festgestellt, dass erstens sehr viele von ihnen mittlerweile in Deutschland leben und zweitens fast 90 Prozent der Verbrechen in Syrien von der Regierung verübt wurden. Auf diese konzentrieren wir uns deshalb. Medien haben lange vor allem über die Gewalttaten nichtstaatlicher Akteure wie Daesh berichtet.

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Im letzten Jahr habt ihr dann vier Strafanzeigen gestellt – unter anderem gegen Jamil Hassan, aber auch gegen die Hauptverantwortlichen für das Foltergefängnis Saydnaya nördlich von Damaskus. Wie haben diese die Ermittlungen beeinflusst?
Die Generalbundesanwaltschaft ermittelt gegen die syrische Regierung – seit 2011 vor allem zu in den Haftanstalten der Geheimdienste verübten Verbrechen. Wir haben mit unseren Strafanzeigen belegt, was einzelne Zeugen in konkreten Gefängnissen erlitten haben – und wer die dafür Hauptverantwortlichen sind. Die Generalbundesanwaltschaft hat einige der Anzeigenerstattenden als Zeugen vernommen und spätestens seitdem genug Informationen, um ein Ermittlungsverfahren gegen Jamil Hassan einzuleiten.

Ihr sitzt in Deutschland, seid nicht in Syrien vor Ort. Wie sieht eure Arbeit im Detail aus?
Um die Strafanzeigen erstellen zu können, haben wir Zeugenaussagen aufgenommen und diese über Open-Source-Investigation und die Berichte anderer internationaler Organisationen verifiziert. Anschließend haben wir die Zeugen zu ihren Vernehmungen durch das BKA begleitet.

Was bedeutet Open-Source-Investigation?
Wo liegt eine Polizeistation oder ein Gefängnis genau, wie groß ist die Entfernung zwischen beiden, können die Zeitangaben für den Transport stimmen, die die Zeugen gemacht haben. Das prüfen wir mit im Internet frei zugänglichen Informationen und Werkzeugen wie Google Earth nach.

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Satellitenaufnahme des Saydnaya-Gefägniskomplexes || Foto: imago | ZUMA Press

Wie habt ihr dann versucht, die Verbrechen zu belegen?
Wir haben in den letzten anderthalb Jahren mit über 50 Personen gesprochen. Sie haben die Folter einerseits erlebt – und vor allem auch überlebt. Wenn dir dann zehn, 15 Leute dieselben Foltermethoden, dieselbe Häufigkeit von Folter, dieselben fensterlosen, mit Insassen überfüllten Räume schildern, ergeben sich daraus Belege und Hinweise für konkrete Verbrechen. Als Anwälte prüfen wir, wer dafür verantwortlich ist. Wir gehen den Personen nach, die an der Spitze stehen. Entweder wussten sie von den Zuständen oder haben sie selbst befehligt. Unsere Informationen zeigen, dass Jamil Hassan täglich bis wöchentlich Berichte von ihm unterliegenden sogenannten Abteilungen – den Gefängnissen –bekommen hat. Dabei ging es um die Zahl der lebenden und gestorbenen Insassen und wie sie behandelt wurden.

Gleichzeitig gibt es die sogenannten Caesar-Fotos. Auf den über 50.000 Bildern aus syrischen Militärkrankenhäusern sollen mindestens 6.786 verstorbene Gefangene zu sehen sein.
Die Fotos sind ein sehr starkes Beweismittel, um diese Verbindungen darzustellen. Die fotografierten Toten tragen Nummern auf der Stirn, die darauf hinweisen, in welchem Gefängnis sie vor ihrem Tod zuletzt inhaftiert waren. Dadurch kann man Geheimdienstoffiziere, die für die Gefängnisse zuständig waren, direkt mit ihnen verbinden. Die Metadaten der Fotodateien listen zudem Aufnahmezeit und -ort der Fotos.

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Bringt der Haftbefehl überhaupt etwas? Jamil Hassan dürfte Syrien derzeit doch wohl kaum verlassen, kann also gar nicht festgenommen und nach Deutschland ausgeliefert werden.
Wir wissen von mehreren hochrangigen Mitgliedern der Assad-Regierung, die immer wieder reisen, auch nach Europa. Erst Anfang dieses Jahres ist ein Regierungsmitglied, das in der Hierarchie noch über Hassan steht, problemlos nach Italien gereist. Diese Personen denken, dass für sie absolute Straflosigkeit herrscht. Der Haftbefehl signalisiert nun das Gegenteil.

Alexandra Lily Kather und der Folterüberlebende Yazan Awad bei einem Interviewdreh || Foto: ECCHR

Was muss als nächstes geschehen?
In Deutschland ermitteln die Generalbundesanwaltschaft und das Bundeskriminalamt seit Jahren gegen die syrische Regierung. Wir fordern, dass weitere EU-Staaten diesem Beispiel folgen. In Österreich haben wir im Mai dieses Jahres eine weitere Anzeige eingereicht, um auch dort eine transnationale Aufarbeitung der Völkerstraftaten in Syrien zu fordern. Weil Russland und China ein Vorgehen im UN-Sicherheitsrat blockieren und Syrien auch nicht Teil des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs ist, ist die Aufarbeitung durch Drittstaaten derzeit die einzige Möglichkeit, Gerechtigkeit zu schaffen.

Wie lange dauert das?
Selbst wenn das Regime stürzen sollte oder Jamil Hassan festgenommen und ausgeliefert wird, braucht die juristische Aufarbeitung sicherlich noch mehrere Jahrzehnte. Mit einem Verfahren ist es da nicht getan. Jamil Hassan ist kein Einzeltäter. Wir haben in den Strafanzeigen neben ihm 26 weitere Hauptverantwortliche für das syrische Foltersystem benannt, beim Militär, den Geheimdiensten und dem Nationalen Sicherheitsbüro.

Wie ist die Lage in syrischen Gefängnissen heute?
Wir haben keine Informationen, die uns darauf schließen lassen könnten, dass sich die Zustände geändert haben. Im Gegenteil. Die Geheimdienste verfolgen und bedrohen die Familienmitglieder unserer Zeugen bis heute.

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