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Rechte hetzen mit Falschmeldungen nach tödlicher Attacke in Chemnitz

Rechte Medien, Aktivisten und Politiker verbreiten auf Twitter und Facebook die Geschichte eines angeblichen zweiten Todesfalls in Chemnitz. Die Polizei dementiert, doch die Posts werden tausendfach geteilt.
Bild der "Pro Chemnitz"-Demonstration vom Sonntagabend. Zur gleichen Zeit verbreitete sich im Netz die Falschmeldung von einem zweiten Todesfall | Bild: Imago | Michael Trammer

Nach dem Todesfall am Rande des Chemnitzer Stadtfestes ist eine Falschmeldung über einen zweiten Todesfall über zehntausendmal auf Facebook und Twitter geteilt worden. Verbreitet wurde die Falschnachricht auch von zahlreichen prominenten rechten und rechtsextremen Accounts, auch international machte die Geschichte die Runde.

Auslöser war offenbar die Facebook-Seite “OrakelDebakel 1”, über die am Sonntagabend um 20:17 Uhr die Geschichte verbreitet wurde, es habe laut unbestätigten Informationen einen weiteren Toten gegeben. Obwohl die Seite laut dem Analysewerkzeug Crowdtangle zu dem Zeitpunkt nur 1.900 Facebook-Fans hatte, wurde der Post bis zum Montagnachmittag über 3.900 Mal geteilt. Es ist der zweiterfolgreichste Post der Seite überhaupt. Bisher ist die Seite vor allem mit asyl- und islamfeindlichen Posts aufgefallen, besonders häufig greift die Seite Nachrichten aus Sachsen auf.

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Mit diesem Facebook-Post nahm die falsche Geschichte vom zweiten Todesfall am Rande des Chemnitzer Stadtfestes wohl ihren Anfang.

Anschließend griffen zahlreiche Rechte und Rechtsextreme aus ganz Deutschland die Meldung auf und verbreiteten diese. Dass die Meldung zuvor noch als unbestätigt bezeichnet wurde, ging bei vielen Verbreitern verloren. Zwar stellte die sächsische Polizei am Montagvormittag auf Twitter klar, dass es keinen zweiten Todesfall gegeben habe, doch die Nachricht war zu diesem Zeitpunkt schon in der Welt und verbreitete sich auch im Laufe des Montags weiter.

AfD-Politiker und Lutz Bachmann schreiben ebenfalls von zweitem Toten

Auch der stellvertretende Landesvorsitzende der AfD Sachsen, Maximilian Krah, schreibt auf Twitter, es habe zwei Todesopfer gegeben. Auch hier fehlt der Hinweis, dass es sich um eine unbestätigte Meldung handelte. Obwohl Krah danach in einem anderen Tweet schreibt, es habe nur einen Toten gegeben, lässt er auch seinen Tweet, in dem von zwei Toten die Rede ist, online. So bleibt die Falschmeldung bestehen und kann weiter online verteilt werden. Pegida-Organisator Lutz Bachmann verbreitete die Meldung ebenfalls auf Facebook.

Und die Meldung beschränkt sich nicht auf Facebook und Twitter allein. Auf Youtube spricht unter anderem der rechte Aktivist Hagen Grell von zwei Toten in Chemnitz. Sein Kanal hat mehr als 50.000 Abonnenten. Die Falschmeldung über den zweiten Toten wird inzwischen auch international verbreitet. Die britische Journalistin Katie Hopkins postete eine entsprechende Meldung an ihre 862.000 Follower. Dazu raunt sie davon, dass die Medien angeblich die Wahrheit im Falle Chemnitz verschweigen würden.

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Fast niemand stellt seine Falschmeldung zu Chemnitz richtig

Einige Facebook-Seiten haben ihre Posts überarbeitet, doch die Mehrheit der prominenten Verbreiter der Falschnachricht haben ihre Posts zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels weder korrigiert noch gelöscht. Kommentarlos verschwunden ist allerdings inzwischen ein Post der AfD-nahen Facebook-Seite “Alles für die AfD”, der mehr als 2.900 Mal geteilt wurde.

Auch Stunden nach dem Dementi der Polizei tauchen immer wieder neue Posts mit der Falschmeldung auf. Mehrere Facebook-Seiten verbreiten unter anderem einen angeblichen Bericht über die Abfolge der Geschehnisse. Unter anderem heißt es, das Opfer sei am Ort des Angriffs verstorben, ein weiterer Mann im Krankenhaus. Beides ist falsch.

Warum Facebook es nicht schafft, die Falschmeldungen zu stoppen

Der stellvertretende Landesvorsitzende der AfD Sachsen verbreitet eine Falschmeldung zu den Geschehnissen in Chemnitz auf Twitter.

Ob die Geschichte vom angeblichen zweiten Todesfall zur Mobilisierung oder gar einer Eskalation der Lage in Chemnitz beiträgt, lässt sich schwer abschätzen. Klar ist: Der Post der Facebook-Seite "Orakel Debakel", auf den sich viele Beiträge beziehen, wurde erst nach den Ausschreitungen am späten Sonntagabend um kurz nach 20 Uhr veröffentlicht. Für die Vorfälle am Sonntagabend hat die Meldung also keine Rolle gespielt. In einer Reihe von Posts wurde in Verknüpfung mit der Falschmeldung aber zugleich auch zu einer Beteiligung an den Demonstrationen am Montagabend aufgerufen.

Eigentlich betreibt Facebook in Zusammenarbeit mit unabhängigen Faktencheck-Partnern ein eigenes Programm, das die Verbreitung von Falschmeldungen stoppen soll. Wenn Posts von den Faktencheckern als Falschnachrichten identifiziert wurden, sollen direkt unter dem Beitrag Hinweise auf Artikel, die die Nachricht richtig stellen, angezeigt werden. Hintergründe zu diesem Programm findet ihr hier.

Doch im aktuellen Fall helfen Facebooks Tools nicht, denn die meisten Falschmeldungen zum zweiten Toten wurden auf Facebook zusammen mit Bildern oder Videos veröffentlicht. Solche Bild- oder Video-Posts können bisher weder von Facebook-Nutzern als Falschmeldung gemeldet, noch von Facebooks deutschen Faktencheck-Partnern wie Correctiv geprüft werden. Zwar hatte das Unternehmen im Juni angekündigt, eine entsprechende Funktion einführen zu wollen, umgesetzt wurde das bisher aber noch nicht. Der Fall Chemnitz zeigt nun erneut, das Falschmeldungen häufig über Bild- und Videoposts viral gehen – und ein Update von Facebooks Faktencheck-Programm notwendig wäre, um etwas gegen die Falschmeldungen zu unternehmen.

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