Eine Häuserreihe in Hamburg, Wohnungssuchende werden mit falschen Mietverträgen um Tausende Euro betrogen
Symbolfoto, diese Gebäude sind nicht Teil des im Text geschilderten Betrugs | Foto: IMAGO / Hoch Zwei Stock/Angerer 
Menschen

So zocken Betrüger in Hamburg Menschen auf Wohnungssuche ab

Der Wohnungsmarkt ist kaputt. Suchende tun inzwischen fast alles, um eine Wohnung zu bekommen – und verlieren viel Geld.

Mit einem Herzchen auf der App ImmoScout24 fing es an. Almuth Fosanelli hatte sich eine Wohnung markiert: zwei Zimmer, 53 Quadratmeter, 840 Euro Miete, im Hamburger Stadtteil Hamm. Nicht das schönste Viertel, aber auch nicht das schlimmste. Almuth war das egal. Denn sie suchte schon seit Monaten. Bisher erfolglos. Es sollte ihre erste eigene Wohnung werden. Als die Hausverwaltung sie zur Besichtigung einlud, freute sie sich. Sie ahnte nicht, dass sie wenig später Tausende Euro ärmer und fast obdachlos sein würde.

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Almuth ist eine von mehr als 100 Personen, die bei der Suche nach einer Wohnung in Hamburg betrogen und abgezockt wurden. Die Betrügerinnen und Betrüger wenden eine neue Masche an. Die Betroffenen merken zunächst nichts, alles wirkt normal: Sie besichtigen eine Wohnung, bekommen einen Mietvertrag, sprechen mit einer vermeintlichen Hausverwaltung. Erst kurz vor dem Einzug, wenn sie die Kisten gepackt und die Kaution gezahlt haben, erkennen sie den Betrug. Manchmal sind dann 3.000 Euro weg, in anderen Fällen 6.000 Euro.


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Für Almuth ist es nicht leicht, eine Wohnung zu finden. Als Studentin ist sie nicht besonders reich. Mit 25 Jahren nicht alt genug, um viel Vermögen zu haben. Und ihr Nachname lautet Fosanelli, nicht Müller. Wer schon mal in Hamburg, München oder Berlin eine Wohnung gesucht hat, weiß, was für eine Qual das sein kann. Die Nachfrage ist viel größer als das Angebot. Der Markt ist so kaputt, dass Suchende viel Zeit, Nerven oder Geld brauchen. Oder eben: Glück.

"Es sah so aus, als würde jemand ausziehen"

"Wir bestätigen Ihnen hiermit den Termin für die kontaktlose Einzelbesichtigung", liest Almuth in einer E-Mail der Hausverwaltung. Ein Informationsblatt erklärt ihr, wie die Besichtigung ablaufen wird. Sie glaubt, Glück zu haben. 

Vor dem Haus hängt eine Schlüsselbox. Sie dreht das Zahlenschloss auf, nimmt die Schlüssel raus und schließt die Wohnung auf. Die Wohnung sei überwacht und alarmgesichert, steht in der Mail. Almuth erinnert sich: "Da standen ein paar Kisten rum. Es sah so aus, als würde jemand ausziehen." Noch am selben Tag habe sie mit der Hausverwaltung telefoniert. Dann bewirbt sie sich auf die Wohnung.

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Zwei Wochen später bekommt sie eine Mail: Zusage! Mitte Juni soll sie einziehen. Vorher soll renoviert werden. Almuth freut sich. Sie bekommt den Mietvertrag digital gesendet und telefoniert noch ein paar Mal mit der vermeintlichen Hausverwaltung. Es sind verschiedene Leute am Telefon. Für Almuth scheint das plausibel. Schließlich listet die Website der Firma verschiedene Mitarbeitende. Dann überweist sie die erste Miete, Kaution und einen Abschlag für Möbel. 3.060 Euro insgesamt.

Der Schlüsseltresor, die kontaktlose Besichtigung, der digitale Mietvertrag, die Überweisung vor der Schlüsselübergabe – das vereint die vielen Betroffenen. Die Täterinnen und Täter nutzen insgesamt vier Wohnungen in verschiedenen Hamburger Stadtteilen, schreibt die Polizei auf Anfrage von VICE. Wem diese Wohnungen gehören und welche Rolle die Eigentümer spielen, dazu gibt sie keine Auskunft. Nur so viel: Nach derzeitigem Ermittlungsstand haben die Täterinnen und Täter mehr als 400.000 Euro von Wohnungssuchenden erbeutet.

"Es war alles ein Betrug. Der Einzug findet NICHT statt"

Für die Schlüsselübergabe soll Almuth um 9 Uhr zum Hauseingang kommen. So steht es in der Mail der Hausverwaltung. Am Tag der Übergabe steigt Almuth gerade aus der S-Bahn, da bekommt sie eine sehr ungewöhnliche Mail von der Hausverwaltung: "Das Angebot war nicht echt. Es war alles ein Betrug. Der Einzug findet NICHT statt. Es wird niemand vor Ort sein, um die Tür zu öffnen."

Sie geht trotzdem zu der Adresse, in die sie einziehen wollte – und trifft dort auf eine Traube Menschen, etwa 18 müssen nach Almuths Erinnerung da gewesen sein. Sie alle wollten einziehen. Sie alle wurden betrogen.

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"Der Wunsch, eine Wohnung zu bekommen, schaltet die Vernunft der Leute aus", sagt Rolf Bosse vom Hamburger Mieterverein. Der Druck sei hoch auf dem Wohnungsmarkt. So tun Suchende alles, um einen guten Eindruck bei Vermietern zu hinterlassen. Inzwischen sei es zur Gepflogenheit geworden, Miete und Kaution vor dem Einzug zu überweisen, sagt Bosse. Nach dem Gesetz ist es aber so: Der erste Teil der Kaution ist zu Mietbeginn fällig, der Rest mit den nächsten Mietzahlungen. Die erste Miete kann bis zum dritten Werktag des Monats gezahlt werden.

Ein paar Tage später sitzt Almuth bei der Hamburger Polizei und erstattet Anzeige. "Die Polizistin war nett. Aber sie sagte mir, ich solle mir nicht zu viel Hoffnung machen", sagt Almuth. Auf Anfrage von VICE nennt die Polizei das Vorgehen der Betrüger "äußerst professionell". Es werde den Menschen "sehr schwer gemacht, einen derartigen Betrug früh- beziehungsweise rechtzeitig zu erkennen." 

Fast alles wirkt so, als ob es echt sein könnte: Mit dem Mietvertrag gibt es eine Ablösevereinbarung und eine Hausordnung. Kaution und Miete gehen auf deutsche Konten. Die Kontonummern könnten ein Weg sein, an die Leute hinter dem Betrug zu gelangen. Die Polizei sagt jedoch nichts zu laufenden Ermittlungen. Stattdessen rät sie dazu, immer auf ein persönliches Treffen mit den Vermietern zu bestehen.

"Die verdienen Geld, indem sie die Existenzen von Menschen zerstören"

Aber wer dringend eine Wohnung braucht und schon mit den vermeintlichen Verwaltern telefoniert hat, denkt darüber womöglich gar nicht nach. In der Hoffnung auf Wohnraum überweisen viele einfach das Geld – und bekommen es nicht wieder. 

Auch Almuths Geld ist weg. Weil ihre WG schon eine Nachmieterin gefunden hat, kann sie auch da nicht bleiben. Sie stellt ihre Sachen bei ihrem Onkel unter und schläft jetzt bei einem Freund auf der Couch. Wenn sie über das spricht, was ihr passiert ist, spürt sie noch immer Wut: "Die verdienen Geld, indem sie die Existenzen von Menschen zerstören." Doch wer sind eigentlich die?

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Die Hausverwaltung, mit der Almuth und die anderen Betroffene zu tun hatten, heißt DMMA Immobilienverwaltung. Die Firma ist im Handelsregister gelistet. Eine Frau, die darin als Gesellschafterin der Firma genannt wird, sagt VICE am Telefon, dass auch sie Opfer der Betrüger sei. Ihre Daten seien missbraucht worden. Zwar vermiete sie Wohnungen, allerdings nur in Essen, nicht in Hamburg. Nun bekomme sie ständig Anrufe und Briefe von Anwälten und Geschädigten. Jemand habe ihr gar an ihrer Adresse aufgelauert. Nun habe sie selbst Anzeige erstattet. Die Polizei Essen bestätigt, dass eine Anzeige vorliegt, äußert sich aber sonst nicht zu ihren Ermittlungen.

VICE liegen E-Mails der vermeintlichen Immobilienverwaltung vor. Tatsächlich taucht dort noch der Name einer anderen Firma auf, die in Köln sitzt. In einer früheren Version der DMMA-Website stellen sich vermeintliche Mitarbeiter vor, deren Bilder von der Website einer Münchener Immobilienverwaltung kopiert wurden. Wir fragen bei der Registrierungsstelle für de-Domains nach, wer hinter der Website steckt. Doch der Inhaber verschleiert seine Identität über eine Firma in den USA. Das alles könnte dafür sprechen, dass die Betrüger mit falschen Daten arbeiten.

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"Selbst die Eltern meines Freundes haben gesagt: Die sieht OK aus"

Auch Maria Alvarez hat diese Mails bekommen. Sie ist 27 und macht gerade eine Ausbildung zur Hotelfachfrau. Fast anderthalb Jahre lang suchte sie mit ihrem Freund nach einer gemeinsamen Wohnung. Als beide die Zusage für die Zweiraumwohnung in Hamm erhielten, freuten sie sich, unterschrieben den digitalen Mietvertrag und überwiesen Miete, Kaution und Abschlag. 

"Schon vorher haben Leute versucht, uns bei der Wohnungssuche zu betrügen", erinnert sich Maria. "Aber bei dieser Anzeige haben selbst die Eltern meines Freundes gesagt: Die sieht OK aus." Die 4.300 Euro für die Überweisung lieh sich Maria zum Teil von ihren Eltern. Am 1. Juli wollte sie mit ihrem Freund einziehen. Wenige Tage vor dem Einzug erhielten sie die gleiche E-Mail wie Almuth. Betreff: Alles Betrug. "Ich komme aus Mexiko und dachte immer, in Deutschland würde so was nicht passieren", sagt Maria. 

Rolf Bosse vom Mieterverein rät, selbst zu recherchieren: Nachbarn fragen, im Internet nach den Vermietern suchen, beim Mieterverein nach der Hausverwaltung fragen oder ins Grundbuchamt gehen, um herauszufinden, wem die Wohnung wirklich gehört.

Auch er habe einen solchen Betrug noch nicht erlebt, sagt er. Die Betroffenen organisieren sich inzwischen in einer WhatsApp-Gruppe. Von Tag zu Tag treten mehr Menschen bei. In der Gruppe überlegen sie, wie sie selbst die Täterinnen und Täter finden könnten. Einige wollen sich nun gemeinsam einen Anwalt nehmen.

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