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Wissenschaftlicher Rassismus in BioShock Infinite

Das Videospiel führt die rassistischen und ultra-nationalistischen Attitüden der USA im Übergang zum 20. Jahrhundert vor.
JAVANISCHEN GAMELAN ORCHESTER UND TOPENG MASKIERTE TÄNZER BEI DER WELTAUSSTELLUNG IN CHICAGO | Bild:LIBRARY OF CONGRESS

Eine Menschenmenge verhöhnt ein Paar, weil es nicht die selbe ,Rasse‘ teilt. Eine Gedenkhalle vergöttert den Gründervater der Stadt als Verteidiger der Weißen gegen Horden indianischer Krieger und chinesischer "Boxer" Rebellen. Solche prägnanten Szenen finden sich in dem Videospiel Bioshock Infinite. Die schönen Fassaden, der fiktiven, schwebenden Stadt, in der BioShock Infinite spielt, stehen dabei im scharfen Kontrast zur Darstellung von Rassismus in einer hässlichen Zeit.

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Videospiele scheinen ein eher ungewöhnliches Mittel zu sein um rassistische und ultra-nationalistische Attitüden der USA im Übergang zum vergangenen Jahrhundert vorzuführen. Aber BioShock Infinite mit seiner schwebenden Stadt Columbia und dem Setting im Jahr 1912, ist unmittelbar inspiriert von der Weltausstellung von 1893 in Chicago. Dort kontrastierten die USA die Präsentation ihrer weit entwickelten, technologische Großartigkeit, mit der Ausstellung indigener Völker als lebende, ethnologische Exponate. Es wurde beispielsweise ein 'arabischer Zirkus' oder 'Kannibalen', die einem abgetrennten Bereich herum marschieren durften, vorgeführt.

Robert Rydell, ein Historiker der Weltausstellungen von der Montana State Universität, hätte genauso gut auch über das fiktive Columbia sprechen können, als er die Weltausstellung in Chicago als "utopisches Konstrukt, dass auf rassistischen Mutmaßungen aufgebaut ist", beschrieben hat.

Im ersten Teil der Weltausstellung, die übrigens ganz ohne ironischen Hintergedanken Weiße Stadt genannt wurde, wurden die neusten und größten Innovationen der USA in neoklassizistischen Gebäude ausgestellt. Laut dem Bestseller „The Devil in the White City“ von Erik Larson, waren viele Besucher von überwältigende Architektur der Weißen Stadt damals zu Tränen gerührt. BioShock Schöpfer Ken Levine hat bestätigt, dass das Buch als Inspiration für die Szenerie seines Spiels gedient hat. Er sagte auch, dass Videospiel-Entwickler sich nicht vor schwierigen sozialen Fragen scheuen sollten, und dass die Thematisierung des wissenschaftlichen Rassismus im Spie tatsächlichl in der zeitlichen Epoche, die das Spiel porträtiert, verwurzelt ist.

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In Bezug auf die Stadt Columbia von BioShock Infinite haben nur wenige Leute angegeben, vom ersten Anblick zu Tränen gerührt worden zu sein. Aber das Spiel vermittelt eine historische Perspektive, indem es aufzeigt, wie Columbia zum größten Wunderwerk der Weltausstellung wurde. Desweiteren scheint das Spiel-Designs das Ziel zu reflektieren, eine ehrfürchtige Erfahrung zu erschaffen. Spielekritiker und Spieler haben die Darstellung des morgendlich Columbias als eine sonnengesprenkelte Stadt, die in den Wolken schwebt als atemberaubend im positiven Sinne gelobt.

BioShock Infinite orientiert sich auch an einem anderen Teil der Weltausstellung in Chicago. Wenn die Weiße Stadt den Höhepunkt der (weißen) Zivilisation repräsentieren soll, dann vermischt die Midway Plaisance die ethnologische Ausstellungen aus verschiedenen Kulturen mit einem traditionelleren Unterhaltungsprogramm, welches ansonsten auf Messen und Jahrmärkten zu finden ist. Messebesucher konnten einen Hamburger, mit der ersten Sprudel-Limonade ihres Lebens genießen, während sie Eskimos, Ägypter oder die Ureinwohner Amerikas angafften, die kulturelle Darbietungen oder Aktivitäten ihres täglichen Lebens nachspielten.

Eine noch verdrehtere Version des Ausstellungsszenario vom Amüsierteil der Midway Plaisance erscheint in BioShock Infinite. Im ersten Abschnitt des Spiels wandern die Spieler auf der jährlichen Columbia Raffle & Fair herum, die voll ist von Karneval Spielen, Hot Dog und Zuckerwatte Verkäufern. Wenn ein Spieler die richtige Nummer bei der Verlosung gezogen hat, bekommt er als Preis die Chance einen Ball auf das gefesselte, nicht-gleichrassige Paar zu werfen, während sich das Publikum daran erfreut.

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Solche Szenen helfen BioShock Infinite eine alternative, aber durchaus erschreckend vertraute Version von amerikanischer Geschichte zu präsentieren. Die "Gründer" der Columbia heben den US-Nationalismus in schwindelerregende Höhen, wenn sie die US-Gründerväter vergöttern, das Plädoyer für rassische Reinheit der herrschenden weiße Klasse betonen, und alle Handlungen in einem Fanatismus von Religiösität und Rechtsschaffenheit tränken. Gleichzeitig bleibt das fiktive Spiel auch in der geschichtlichen Wirklichkeit grundiert, indem es viele Aspekte aus dem Kontext des Rassismus der Chicagoer Weltausstellung und der Idee von amerikanischer Einzigartigkeit aufnimmt.

Der Kulturhistoriker Gail Bederman, von der Univerität Notre Dame, hat die ethnologischen Ausstellungen entlang der Midway Plaisance in Chicago als "eine Lektion in Rassenhierarchie" für die Messebesucher bezeichnet. Mit der Billigung damals führender Anthropologen präsentierte die Weltausstellung in Chicago eine Hierarchie der Rasse, die den rassistischen Haltungen ein wissenschaftliches Gütesiegel zu verpassen schien.

Anthropologen wie Frederick Ward Putnam aus Harvard, befürwortete die ethnologische Exponate, die von privaten Spendern organisiert waren. Auch wenn Putnam es vielleicht vorgezogen hätte, statt der reinen Unterhaltung den wissenschaftlichen und pädagogischen Wert solcher Exponate stärker hervorzuheben, so reflektierten seine Einstellungen dennoch die paternalistischen Perspektive von einer ,Bürde des weißen Mannes‘ - die Idee, dass Weiße in der Pflicht stehen, ,farbige‘ Völker zu zivilisieren.

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„Diese kleine Kolonie von Ureinwohnern zielt nicht auf die Unterhaltung der Besucher, sondern auf die wissenschaftliche Erforschung des ersten, historischen, amerikanischen Volkes", schrieb Putnam. "Darüber hinaus werden diese Menschen mit Freundlichkeit und Rücksicht behandelt und dürfen jede Gelegenheit nutzen, sich durch die Vorteile von Zivilisation und Bildung zu verbessern."

Ein im Jahr 1904 veröffentlichter Artikel in der Fachzeitschrift Science beschreibt "Chancen in Anthropologie auf der Weltausstellung" bei einer späteren Veranstaltung in St. Louis. Das Ereignis würde angeblich Anthropologen eine Chance gewähren, viele ethnische Gruppen an einem Ort zu studieren. Einige Anthropologen führten sogar an jedem der unglücklichen indigenen Menschen durch, die während der Weltausstellung starben, Autopsien durch.

Das Gefühl der rassischen Hierarchie und der Hauch von wissenschaftlichem Rassismus füllen die Straßen Columbias. Die Rasse der Unterschicht der schwebenden Stadt – die weißen Bürger Columbias bezeichnen sie als „Farbige“, „Kartoffel-Esser“ und „Orientalen“ - treten im Spiel häufig als armselige Diener, Arbeiter oder sogar als Teil ein ,chain gang‘ (wikipedia link auf chain gang: http://de.wikipedia.org/wiki/Chain_Gang) auf. In einem Labor gefundene Projektoren zeigen, dass Gesichtsprofile der amerikanischen Indianer und anderer ethnischen Gruppen als Objekte einer wissenschaftlichen Studie verwendet wurden.

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Eines der unmissverständlichsten Zeichen rassistischer Attitüde taucht in Form eines Wandgemäldes von George Washington auf, indem dieser – mit Freiheitsglocke und den Zehn Gebote in der Hand, eine Horde von stereotypischen ethnischen Minderheiten abwehrt. Unter Washingtons Füßen steht die Inschrift: „Es ist unsere heilige Pflicht uns vor den fremden Horden zu schützen.“

Solche hier von BioShock aufgegriffenen rassistischen Einstellungen bei den Weltausstellungen reflektierten und verstärkten unmittelbar die Haltung der Vereinigten Staaten, mit ihren Ambitionen zum Aufbau eines weltweiten Imperiums. So importierte die US-Regierung beispielsweise etwa 1200 Filipinos für die Weltausstellung 1904, in einer Zeit, in der die Theodore Roosevelt Regierung versuchte, die Besetzung der Philippinen nach dem Spanisch-Amerikanischen Krieg zu rechtfertigen. Der Historiker Robert Rydell beschrieben den Aufwand als "propagandistisch", "anthropologischen" und “legitimierende” gleichermaßen.

„Menschen aus den Philippinen, die angeblich in verschiedenen Stadien der Zivilisation oder Barbarei sein sollten, wurden mit allerlei Ausrüstung und Requisiten ausgestellt, was zeigen sollte, dass sie als mehr oder weniger willige Arbeiter in einem amerikanischen Imperium dienen würden", sagte Rydell in einem PBS.org Artikel.

Auch die US-Marine kämpften als Teil einer internationalen Truppe gegen chinesische kaiserliche Truppen und Boxer Rebellen in der Schlacht bei Peking um 1900, bei der chinesische Streitkräfte auf dem Höhepunkt der Boxer Rebellion ausländische Diplomaten in Peking belagerten. Die Rebellion wurde vor allem von der Missgunst eines großen Teil der chinesischen Bevölkerung gegenüber einer Fremdbestimmtheit befeuert. (In der fiktionalen Geschichte von BioShock Infinite erfährt die Schlacht von Peking eine revisionistische Umdeutung, wenn die schwimmende Stadt Columbia ihre beträchtliche Feuerkraft nutzt und Peking zu Schutt und Asche macht.)

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In jedem Falle hielten sich in den Vereinigten Staaten vergleichbare Haltungen auch in Bezug auf die amerikanischen Ureinwohner hartnäckig. Drei Jahre vor der Weltausstellung in Chicago hatten die USA die Indianerkriege gewissermaßen zu einem krönenenden Abschluss gebracht, als Soldaten der 7. Kavallerie während der berüchtigten Wounded Knee Massacre wahllos Lakota Sioux Männer, Frauen und Kinder abschlachteten. Sowohl für den Protagonisten (Booker DeWitt) und Anatgonisten (Zachary Hale Comstock) von BioShock Infinite stellt dieser Vorfall einen ausschlaggebenden gemeinsamen Erfahrungspunkt dar, der in der Gedenkhalle in Columbia in einer stark verzerrten Interpretation der Lakota Sioux präsentiert wird.

Bei allen Parallelen zwischen dem fiktiven Spiel und der wahren Geschichte, die Themen Rassismus und Imperialismus bleiben schließlich auf der Strecke, wenn BioShock Infinite die Geschichte sich dem Abschluss zuwendet. Nichtsdestotrotz hat das Spiel eine große Debatte über Rassismus angeregt, und nebenbei auch den Ärger von den Anhängern der Überlegenheit der weißen Rasse auf sich gezogen, die das Spiel scheinbar als „white person killing simulator“ ansehen.

Hält BioShock Infinite der Behauptung Levines stand, dass Spiele Vehikel für gewichtige Themen wie Rassismus sind? Die Diskussionen, die es entfacht hat, weisen definitiv daraufhin. In jedem Fall hat das Spiel erfolgreich das Interesse an wichtigen historischen Ereignissen und Themen geweckt, denn die Anzahl der Google-Suchanfragen für Begriffe wie "Wounded Knee" und "Boxeraufstand" verzeichenen in den Monaten nachdem das Spiel auf den Markt kam, einen tendenziellen Anstieg.

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