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Long Shot: Die Zukunft intelligenter Waffen

In Texas werden präzisionsgesteuerte Feuerwaffen entwickelt, die selbst Laien im Handumdrehen zu Profi-Scharfschützen machen. Wir haben das System getestet.

Nur unweit vom Hauptgebäude der University of Texas, von dessen Aussichtsplattform Charles Whitman 1966 als Scharfschütze einen verheerenden College-Amokläufe verübte, liegt in Austin das Hauptquartier von TrackingPoint Solutions. Die junge Firma arbeitet unerlässlich daran, Schießanfänger in Präzisionsscharfschützen zu verwandeln.

Das Unternehmen machte Anfang des Jahres Schlagzeilen, als es die erste ,precision guided firearm' vorstellte. Stell dir das gute Stück als Laser-geführtes-Fernschuss-Roboterwaffensystem vor  – gleichermaßen Linux Computer wie traditionelle Waffe. Das geschlossene PGF-System besteht nicht nur aus der Waffe selbst, einer spezialgefertigten Präzisionswaffe, passgenauer Munition, sondern vor allem aus dem firmeneigenen – mit W-Lan ausgestatteten – Zielfernrohr.

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Willkommen zu den Anfängen der ersten Intelligenten Waffen der Welt; hier in der nähe von Sonora, Texas. Photo: Derek Mead/MOTHERBOARD.

Die Technologie der ersten PGF ist so modern, dass sie sogar einem unerfahrenen Schützen, und vielleicht sogar jemandem, der noch nie eine Waffe abgefeuert hat, ermöglicht, ein Ziel auf eine Entfernung von 900 Metern nach nur wenigen Minuten zu treffen. Nicht nach lebenslangem oder jahrelangem Üben. Nach wenigen Minuten. Da diese Plattform nun für die Öffentlichkeit zugänglich ist—TrackingPoint liefert vor allem an Jäger und Sportschützen – ruft Peter Asaro noch einmal die „Turm-Tragödie von Austin" in Erinnerung. Als er zum ersten Mal von präzisionsgesteuerten Feuerwaffen hörte und erfuhr, wie TrackingPoint damit die sogenannte „Erfolgswahrscheinlichkeit beim ersten Schuss" erhöhen will, dachte Asaro, Theoretiker und Technologieethiker, sofort an Charles Whitman.

„Der weiteste Schuss, mit dem er jemanden tötete, wurde aus etwa 450 Metern abgefeuert," erinnert Asaro, der auch am rechtswissenschaftlichen Zentrum in Stanford unterrichtet und Gründungsmitglied des Internationalen Komitees zur Kontrolle von automatisierten Waffen ist. „Und TrackingPoint garantiert heute eine Treffgenauigkeit aus einer Entfernung von etwa 1100 Metern."

Um zu verstehen, wie TrackingPoint, in rein ballistischem Jargon gesprochen, die Feuerwaffenindustrie komplett verändern könnte, sollte man bedenken, dass das Startup-Unternehmen, das im letzten Jahr auf 100 Mitarbeiter gewachsen ist, kein Waffenhersteller im üblichen Sinne ist. Das Wort „Feuerwaffe" in „präzisionsgesteuerte Feuerwaffe" ist nur ein Teil eines äußert komplizierten Systems. Der CEO, Jason Schauble, sagte mir, dass TrackingPoint nichts Neues in Bezug auf die Waffe selbst entwickelt hätte.

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Die Technologie, die diese Art von Schussfolge ermöglicht, ist deshalb so revolutionär, weil in Feuerwaffen erstmalig „Mikroelektronik, Mikroprozessoren und Netzwerktechnologien in einem kleinen Waffensystem" integriert wurden. Das Zielfernrohr macht jedes Mal ein Video, wenn du die Zielmarkierung setzt, verfolgst und abdrückst. Dank W-Lan können Nutzer das Video ihrer Tötung unverzüglich vom Zielfernrohr direkt auf Social Media-Seiten hochladen. Töten zum „shared" -  Das ist Teil einer größeren Kampagne, die die Digital Natives erreichen will.

„Also wenn es von einer Sache genug gibt da draußen, dann sind es 12-Jährige, die im Internet rumsurfen," sagt Oren Schauble, Marketingleiter von TrackingPoint und gleichzeitig Jasons jüngerer Bruder.

Die PGF-Technologie und das Head-up-Display ist auch Teil einer einfachen Shooter-Spiele-App und bald möglicherweise auch ein komplettes Computerspiel über moderne Kriegsführung. Jason Schauble nennt das einen Paradigmenwechsel in der Art und Weise, wie wir Waffen herstellen, aber auch im Schießerlebnis.

Die PGF könnte selbst „zielen", aber ihr, die Nutzer, werdet es sein, die schließlich entscheiden, ob das Ding abgefeuert wird. Die Frage ist, ob PGF-Kritiker, mit dem vom Colbert Report abgeschriebenen Begriff „Töten ohne Kenntnisse" richtig liegen. Ist das Töten zu einfach geworden? Ist die PGF Schuld daran?

Motherboards Derek Mead feuert einen 900 Meter PGF Schuss in Llano, Texas. 

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Jonathan Moreno, Philosoph und Ethiker am Center for American Progress (Zentrum für Fortschritt in Amerika), sagt, dass diese Anwenderfreundlichkeit ernste Konsequenzen für Verhandlungen bei Geiselnahmen und in ausweglosen Situationen haben wird. Er befürchtet, dass die Verwendung einer PGF dazu führen wird, dass Behörden dann nicht mehr so viel Gewicht auf Verhandlungen mit dem berühmten Bösewicht legen werden.

Morena sagte: „Wenn ihnen ihre Intuition sagt, dass der Typ sich auf keine langen Diskussionen einlassen wird, würden sie sich dann wohler fühlen, diese Waffe einzusetzen? Wenn das zu einer Möglichkeit wird, Verhandlungen zu umgehen, dann würde mir das Sorgen bereiten."

Das Ganze ist Teil einer größeren Debatte darüber, was passiert wenn das Militär und Strafverfolgungsbehörden intelligente Waffen anschaffen, die Art von Instrumenten, mit der sich das amerikanische Militär, für ihr erst kürzlich neu belebtes Land Warrior Programm, ausrüstet. Das US-Außenministerium und ausgewählte Strafverfolgungs-Organisationen interessieren sich sicherlich für das Produkt von TrackingPoint. Das Problem ist, dass die Abläufe der Waffenbeschaffung der US Regierung, wie die in vielen anderen verbündeten Regierungen auf der ganzen Welt, unglaublich langsam sind. Es vergehen manchmal schon viele Monate nur damit ein Produkt für die Testphase mit kleinen Mengen freigegeben wird, ganz zu Schweigen von der Zeit die verstreicht bis die komplette Produktion und schließlich die Prüfung, Genehmigung und Einführung der Waffe über die Bühne geht.

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TrackingPoint will darauf nicht darauf. Jason Schauble drückt es so aus: Wir werden es besser und schneller herstellen und es dann schon an die Öffentlichkeit verkaufen.

Bleibt nur noch die große Frage der Regulierung. Alleine in der vergangenen Woche gab es zwei Amokläufe, bei denen keine intelligenten Waffen eingesetzt wurden: In der Marinewerft in Washington D.C. und bei einen Kampf zwischen Gangs in Chicago. Beide Ereignisse haben wenig mehr als ein Raunen im festgefahrenen Washington zur Folge, wo US-Abgeordnete nicht zu viel Staub aufwirbeln wollen. Häufig führt das letztlich zu einer Lockerung der Waffengesetze, erklärte uns NPR.

Asaro nutzt das Prisma der PGF um seine Einwände vorzubringen. Er sagt: „Ich denke wir sollten uns fragen, ob Polizisten und besonders auch Bürgern, der Zugang zu dieser Art von Technologie ermöglicht werden sollte. Und wenn ja, wie sollte sie reguliert und limitiert werden."

Asaro fragt: „Was werden wir dann für die Strafverfolgungsbehörden entwickeln, damit sie der nächsten Generation von Amokschützen einen Schritt voraus sind?" „Ich denke, es ist ein gefährliches Spiel, sich an dieser Art von Rüstungswettstreit zu beteiligen."

Wenn wir die Instrumente, die den Bösen zur Verfügung stehen, einschränken, heißt das dann aber auch, dass wir auch deren Absichten beseitigen können? Dass sie keinen anderen Weg finden werden, ihre Ziele umzusetzen?