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Anon stellt Facebook-Falle: Asylgegner beschimpfen sich als „strohdumme Nazis“

Smartphone-Gutscheine für jeden Flüchtling? Ein Anon hat auf Facebook auf die plumpen Reflexe besorgter Bürger gesetzt und sie in ihren eigenen Kreisen mit einem cleveren Trick diffamiert.
Bild: Facebook / Micha Gerlach

Ihr erinnert euch noch an die albernen, gefälschten Bordellfreikarten für Flüchtlinge, die auf Facebook kursierten?

Der Fake schien geradezu absurd offensichtlich—trotzdem gibt es in der Schwarmintelligenzia, die sich in Deutschlands sozialen Medien herumdrückt, immer noch genug Menschen, die auch gerne ein zweites oder drittes Mal auf derartigen Quatsch hereinfallen, um ihre eigenen Vorurteile bestätigt zu sehen.

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Diesmal allerdings blieb die selektive Wahrnehmung der Asylkritiker nicht ohne Konsequenzen. Schuld ist ein cleverer Facebook-Hack eines Anonymous-Mitglieds und eine Extraportion Leichtgläubigkeit vieler Flüchtlingsgegner im Netz.

Alles begann mit einem Facebook-Foto, das ein gewisser „Micha Gerlach" vergangene Woche verbreitete. Der Skandal: Das „Sozialamt Chemnitz (Abteilung Migration, Integration, Wohnen)" habe eine Freikarte für Asylberwerber ausgestellt: für ein Mobiltelefon inklusive SIM-Karte im Wert von bis zu 200 Euro bei Media Markt in Chemnitz. „Bekommen die denn vom Staat alles in den Arsch geschoben?", stand unter dem „Beweisfoto", das angeblich in einer Erstaufnahmeeinrichtung aufgenommen worden sei. „Das kann doch wirklich nicht sein!!!1!"

Wer auf den „einself"-Hinweis im Beitragstext noch nicht angesprungen war, konnte sich von einem riesigen Stempel auf dem Briefumschlag im Bild vom Fake überzeugen lassen: „Das Problem heißt Rassismus", stand da. Möchte man die Details des Bildes noch ein wenig tiefer ergründen, kann man den Barcode mit einer entsprechenden Scanner-App untersuchen. Mimikama hat das bereits am Samstag getan—das Ergebnis: Es handelt sich dabei um einen in Strichcode konvertierten Text, der da lautet: „IHR SEID DUMM".

Hübsch für Facebook drapiert wird daraus trotzdem ein Schuh, der auf plumpe Reflexe setzt. Dann fällt auch kaum mehr auf, dass die gelben Papp-Freikarten den Poststempel auf dem Umschlag verdecken und der hervorlugende Formbrief ein Musterberechnungsbogen der Bundesagentur für Arbeit ist.

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„Ich bin ein strohdummer Nazi. Ich verbreite Hetze über das Internet und teile sämtlichen Dreck ohne jede Überprüfung."

„Eine bodenlose Unverschämtheit gegenüber dem deutschen Volk!", plusterten sich Asylgegner auf. Dutzende Male wurde der Gutschein-Post über das Wochenende geteilt; unter anderem von einschlägig rechtsextremen Seiten wie „Deutschland wehrt sich". 24 Stunden lang ereiferten sich besorgte Bürger über den Beitrag und verbreiteten ihn fleißig als ein weiteres bombenfestes Indiz für die Illegitimität der Regierung und die schreiende Ungerechtigkeit, die die Deutschen im eigenen Land angeblich erlitten.

Dumm nur, dass der Anonymous-Ersteller am Samstag still und heimlich den von so vielen Wutbürgern geteilten Eintrag bearbeitete und den Inhalt veränderte. Statt dem empörenden Chemnitzer Smartphone-Gutschein wurde den besorgten Bürgern nun folgende entlarvende Texttafel in die Timeline gezaubert:

„Ich bin ein strohdummer Nazi. Ich verbreite Hetze über das Internet und teile sämtlichen Dreck ohne jede Überprüfung."

Bild: Facebook / Micha Gerlach

Der Auslöser für die Aktion sei #Clausnitz gewesen, ließ der Ersteller „Micha Gerlach" seine geneigte Leserschaft auf dem Profil wissen—und identifizierte sich dort auch als Anonymous-Mitglied. Heute existiert „Micha Gerlach" bereits nicht mehr. Sein Profil hat er am Freitag gelöscht; er hatte seinen Account nur angelegt, um die falsche Fährte zu legen. Das hat wie erwartet wunderbar funktioniert und die Asylgegner in ihren eigenen Kreisen blamiert.

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Ganz unstrittig ist die Aktion aber nicht. Wenn auch Schadenfreude angesichts des geglückten Tricks als Schlag gegen plumpe Propaganda überwiegen mag, ist dennoch fraglich, was der digitale Pranger mit seiner harschen Wortwahl eigentlich bezwecken soll.

Im besten Fall überdenken die so Bloßgestellten beim nächsten Mal ihren Facebook-Aktionismus, bevor sie auf das nächstbeste Flüchtlingsgerücht hereinfallen. Im schlimmsten Fall vertiefen sich die Gräben in der Diskussionskultur und die pauschal als Nazis Diffamierten polarisieren sich aus Trotz noch weiter („dann bin ich halt ein Nazi!").