"Das war hart für mich, ich war da selbst so tief drin"
Natalie Grams. Bild: Gudrun-Holde Ortner | Mit freundlicher Genehmigung

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"Das war hart für mich, ich war da selbst so tief drin"

Eine ehemalige Homöopathin über Lobbyarbeit in der Homöopathie, den Zauber der Zuckerküglechen und versöhnliche Kommunikation.

Wenn Natalie Grams sich äußert, dann hagelt es Kommentare. Vor wenigen Tagen gab sie der taz ein Interview, sofort brach eine epische Kommentarschlacht aus—auf Facebook (466 Shares, 1.300 Reaktionen) wie auf der Homepage, wo man die Kommentare gar nicht mehr zählen kann. Die erbitterte Diskussion geht unterdessen weiter.

Die Masse der Kommentare hat Frau Grams nicht überrascht. Sie kennt die Vehemenz und die Wut der Homöpathie-Verfechter—sie war nämlich selbst einer. Jahrelang hat sie eine homöopathische Praxis geleitet. Doch als sie 2012 ihrem Ärger gegen „Schulmediziner" Luft machen wollte, geschah etwas, das schließlich ihr Leben radikal änderte: Damals interviewten sie zwei Journalisten für ein Buch namens „Die Homöopathie-Lüge": „Ich war so wütend, was für einen Quatsch die über die Homöopathie schreiben, dass ich dachte, ich schreib denen jetzt zurück".

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Grams wollte die Kritikpunkte der Autoren zerpflücken und musste sich zwangsläufig selbst damit intensiv auseinandersetzen. Und erschrak: „Dann hab ich festgestellt: Oh Mann, die haben ja Recht! Das war hart für mich, ich war da so tief drin, ich hab ja auch meinen Kindern Globuli gegeben."

Sie schluckte und zog letztlich die einzig richtige Konsequenz: Schloss ihre Praxis, informierte sich weiter. Heute leitet sie das kritische „Informationsnetzwerk Homöopathie", das seit Anfang April mit einer eigenen Seite über die medizinischen Probleme der Alternativmedizin aufklären will. Die Patienten von Grams reagierten verständnisvoll, als sie ihnen mitteilte, dass sie ihnen „nichts mehr anbieten kann, wohinter ich selbst nicht stehe". Aber so denkt nicht jeder.

„Der fiese Ton erschreckt mich schon noch immer. In jedem dritten Satz wird man in die Nazi-Ecke gestellt und übelst beschimpft. Ich kriege nach jedem Interview einen riesigen Haufen böser Zuschriften mit Klarnamen. Wie voller Hass muss man sein?", wundert sich die frühere Homöopathin. Gerade deshalb setzt Grams auf eine behutsame und diplomatische Annäherung, die Menschen ernst nimmt, statt sie pauschal in die Ecke naiver Wissenschaftsleugner zu stellen: Es ist die vielleicht beste Strategie, um die seit Jahrzehnten extrem polarisierte Diskussion voranzubringen.

Der Name und die Website des Netzwerks ist bewusst neutral gehalten, um Menschen sanft zum Überdenken ihrer Positionen zu bewegen

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Die Debatte um Homöopathie scheint vergiftet. Zeit, sie etwas zu verdünnen, fand Natalie Grams. Eigentlich würde man denken, nach ihrer 180-Gradwende von der Homöopathin zur Leiterin eines kritischen Netzwerks zur Aufklärung über Homöopathie müsste sie richtig wütend sein. Aber das ist sie nicht: „Wenn es um Dinge geht, die mit Glauben zu tun haben, trifft Kritik nicht auf rationales Denken, sondern eben im Gefühl. Daher ist die Reaktion so emotional", so Grams. Der Name und die Website des Netzwerks ist bewusst neutral gehalten, um Menschen sanft zum Überdenken ihrer Positionen zu bewegen—oder überhaupt erstmal zum Nachdenken.

Deutschland kann getrost als das Mutterland der Homöopathie gelten—sie wurde hier erfunden, auch der Weltverband sitzt hier. Jeder zweite Deutsche hat schon homöopathische Mittel ausprobiert. Zwei Drittel aller Patienten wünschen sich, dass ihre Krankenkassen die Kosten übernimmt—und viele tun das bereits. Und das, obwohl es keinen sauberen wissenschaftlichen Beleg dafür gibt, dass Homöopathika wirken.

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Gerne fällt auch bei moderaten Kritikern das Argument, man könne die Leute doch einfach machen lassen—das schade ja alles nicht. Aber stimmt das überhaupt? Grams sieht die Homöopathie als eine Art Einstiegsdroge in ein gefährliches, antiwissenschaftliches Weltbild, das mit den Globuli geschluckt wird, „in dem normale Medizin als giftig gilt und Impfungen schaden". Gefahr besteht, dass man Globuli auch bei schweren Erkrankungen anwendet, statt sich auf wissenschaftlich fundierte Heilmethoden zu verlassen, so Grams, und in dem Homöopathie „besser" sei als bewährte Arzneimittel. Und in dem der gefühlige, anekdotische Einzelfall zum vermeintlichen Beleg wird. Deshalb will Grams aufklären, ohne andere zu vergrämen.

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„Wenn man Homöopathie googelt, kriegt man erstmal 20.000 positive Ergebnisse. Wir möchten mit unserem Informationsnetzwerk freundliche, sachliche Kritik üben, aber nicht sagen: Wer daran glaubt, der ist eh bescheuert. Da gibt es so viel Schärfe, soviel Zynismus, gerade unter Bloggern. Das führt zu gar nichts, davon brauchen wir nicht noch mehr. Und auf der anderen Seite kann ich das Argument entkräften, ich würde mich damit nicht auskennen. Ich war ja selber Anhängerin, ich verstehe das alles sehr gut."

Es war auch eine Online-Kommentarschlacht, die zur Gründung des Informationsnetzwerks führte, das sie heute leitet. Dort posteten ein paar Skeptiker in der Kommentarspalte die Idee, sich mal persönlich zu treffen. „Wir dachten, wir sind fünf Leute oder so. Dann kamen zum Gründungstreffen aber mehr als 30 Personen, unter anderem auch Wissenschaftsjournalisten und Forscher." Das Netzwerk koordiniert die sanfte Aufklärung von innen und betreibt die Homöopedia, ein wissenschaftliches Glossar über homöopathische Begriffe.

„Die Homöopathie hat eine Lobby, die es im Gegensatz zur Pharmalobby geschafft hat, so gut wie unsichtbar zu bleiben."

Denn paradoxerweise beruft sich eine Pseudowissenschaft wie Homöpathie besonders gern und dogmatisch auf Forschungsansätze, die in der wissenschaftlichen Community gerade intensiv diskutiert werden: Die vermeintliche Wirkung der bis zur Unkenntlichkeit verdünnten Mittel wird mal Nanopartikeln, mal Quantenverschränkung zugeschrieben. (Das funktioniert so gut, weil in diesen Disziplinen noch nicht alles erforscht und erklärbar ist.) „Aber dem liegt ein völlig falsches Verständnis von Wissenschaft zugrunde: Ein Stoff, der nicht mehr vorhanden ist, kann sich auch nicht verschränken, da brauchen wir kein weiteres Wissen anhäufen", erklärt Frau Grams geduldig.

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Die Homöopathie gilt wissenschaftlich längst als widerlegt. Wie schaffen es Globuli & Co, sich trotzdem quasi unverzichtbar einen Platz in der Medizin zu sichern und als gern bezuschusste Alternativtherapie zu gelten? „Die Homöopathie hat eine Lobby, die es im Gegensatz zur Pharmalobby geschafft hat, so gut wie unsichtbar zu bleiben", erklärt Grams. „Zum einen sind es Pharmafirmen, die an Globuli verdienen, einige haben eine Art Homöopathie-Zweig. Diese Firmen verdienen mit den Zuckerkugeln im zweistelligen Millionenbereich. Zum anderen müssen die Produzenten keinen Cent für aufwändige Studien wie bei einem Medikament ausgeben."

Denn auch bei der Homöopathie geht es natürlich um große Summen: Über 400 Millionen Euro beträgt der Gesamtumsatz der Branche mit Zuckerkugeln; die begleitenden Gespräche mit Homöopathen können ebenfalls sehr teuer werden. Dafür ist die Herstellung der Produkte günstig: In den Kugeln ist nichts Nachweisbares enthalten—wie auch, der Wirkstoff ist ja schließlich meist bis zur Unkenntlichkeit verdünnt.

Aus einer Anekdote kann man keinen Beweis ableiten.

Vielleicht ist das aber auch ganz gut so, denn ganz so sanft und pflanzlich wie mancher gern annimmt, sind viele Wirkstoffe nämlich nicht: „Bienengift, Skorpiongift, oder auch, dass man Wasser neben ein Röntgengerät stellt und glaubt, da würden irgendwelche Geisteigenschaften übertragen werden, sind gebräuchlich". Aber auch Plutonium, Elektrizität oder Tuberkel-Bazillen werden als Wirkstoff benutzt.

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Regelmäßig fragen sich deshalb Kritiker, wieso sie eigentlich für homöopathische Behandlungen mitzahlen müssen. Krankenkassen sind eigentlich dem wissenschaftlichen Prinzip verpflichtet, doch durch die Sonderstellung der Homöopathie im Arzneimittelgesetz machen sie nichts falsch: „Ein Nachweis über die Wirksamkeit muss nicht erbracht werden. Und zusätzlich zieht man mit der Ausrichtung, die „ganzheitlich" erscheint, neue Kunden in die Kasse.", so Grams. Dass die Kassen Hokuspokus erstatten hat also auch wirtschaftliche Gründe.

Warum aber schwören so viele Leute auf Homöopathie? Die Alternativmedizin „gibt ganz einfache Antworten auf total komplexe Fragen", die man somit nicht rational angehen muss, sondern einfach durch Fühlen. „Deswegen kommen wir rational argumentierenden Kritiker für Homöopathie-Anhänger auch immer so verbissen rüber", so Frau Grams.

Geduldig nimmt sie auseinander, wofür es keine Belege gibt. Ihr Vorteil: „Im Netzwerk haben wir heute das Wissen, um die Erfolge der Homöopathie erklären zu können". Denn die gibt es natürlich—diese spielen sich aber vor allem im psychologischen Bereich ab.

Was „wirkt", ist vor allem die Zuwendung durch den Homöopathen durch die langen, einfühlsamen Gespräche, die im medizinischen Alltag zu kurz kommen. Das überträgt sich sogar auf andere, wie das Argument „Aber meinem Hund geht es nach nur einer Behandlung großartig, der kann sich das ja nicht ausdenken!" beweist. Placebo by Proxy heißt dieser Effekt: „Dass sich die Besitzer oder die Eltern beruhigen, hat einen Effekt auf Tiere und Kinder.", so Grams. „Man möchte eben eine Handhabe gegenüber den Beschwerden haben und zieht nicht in Betracht, dass die Besserung am natürlichen Verlauf der Krankheit liegen kann. Aber aus Anekdoten kann man keinen Beweis ableiten."

Das Informationsnetzwerk Homöopathie versucht, solche Fehlschlüsse aus ganz unterschiedlichen wissenschaftlichen Perspektiven zu erklären. Denn was die Patienten eigentlich suchten, so Grams, sei häufig „eine Alternative zum medizinischen Betrieb— und gar nicht unbedingt zur Medizin".