Leben ohne Besitz: Ich habe eine Woche nur von der Sharing Economy überlebt
Die Autorin mit einer Mahlzeit aus abgeholten Sharing-Lebensmitteln. Alle Bilder (soweit nicht anders angegeben): Nina Kennedy

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Leben ohne Besitz: Ich habe eine Woche nur von der Sharing Economy überlebt

Von einer gemeinschaftlichen Win-Win-Situation und dem verantwortlicheren Umgang mit Konsumgütern.

Wer kennt sie nicht: Airbnb, Uber, Couchsurfing und Kleiderkreisel—die prominentesten Vertreter der Sharing Economy. Apps, die es uns ermöglichen, vorübergehend unseren Besitz mit anderen zu teilen und daraus im besten Falle noch einen Gewinn für alle Beteiligten zu schlagen.

Laut einer Studie von PWC nutzt mittlerweile fast jeder zweite Deutsche in irgendeiner Form die Sharing Economy: Ein Airbnb-Apartment statt eines Hotels oder Spotify, anstatt einzelne Alben im Internet zu kaufen. Auch die Marktchancen für neue Anwendungen der Sharing Economy scheinen im Moment vielversprechend, und so sprießen immer mehr Start-ups aus dem Boden, die sich Sharing zum Thema gemacht haben. Vom geteilten Versicherungsschaden bis zum verliehenen Hund ist inzwischen alles möglich.

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Für manche ist die Sharing Economy nicht nur Geschäftsmodell, sondern gleich Vorbote vom Ende des heutigen Kapitalismus.

Bei Uber und Airbnb wird die Sharing Economy zum Plattform-Kapitalismus. Statt selbst Eigentum anzubieten und zum Beispiel Hotelzimmer zu vermieten, ziehen sich die Firmen auf die Rolle des Vermittlers zurück. Der Rest wird den Nutzern überlassen, die ihren materiellen Besitz einbringen und ihn—mal mit und mal ohne Entgelt—temporär zum Gemeingut erheben. Aus PKWs werden Uber-Taxis, aus Wohnzimmern werden Gästezimmer.

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Bei Vorläufern wie Couchsurfing sieht das Ganze zwar weniger nach Hochglanz und mehr nach Hippie aus, ist aber dafür auch deutlich günstiger. Das Prinzip der Sharing Economy, in der Kunden und Anbieter zusammenrücken, um ihren Besitz zu teilen, kann viele Facetten haben—und wie ich in meinem einwöchigen Selbstversuch herausfinden sollte, ist der Übergang zwischen Schnorren und Sharen fließend.

Der Versuch, mir für eine Party ein Kostüm aus geteiltem Besitz zu besorgen, endete eher kläglich. Alle Bilder (soweit nicht anders angegeben): Nina Kennedy

Montag

Der frühe Vogel fängt den geteilten Brokkoli und so stehe ich schon um 6 Uhr auf, um die diversen Sharing Economy-Apps auf meinem Handy zu installieren und zu aktualisieren. Nachdem meine Anmeldungen bei Uber, Kleiderkreisel, Couchsurfing und Foodsharing auf dem neuesten Stand sind, lege ich mit dem wichtigsten los: Was gibt es zum Frühstück?

Ich checke Foodsharing und informiere mich über die Möglichkeiten, die die Seite bietet, um an Lebensmittel zu kommen, die andere User teilen. Wie die kommenden Tage zeigen sollten, lässt sich in einer Großstadt wie Berlin tatsächlich auch die Nahrungsaufnahme aus geteiltem Besitz bestreiten. Sie wird mir über eine Internet-Seite angeboten—es ist zwar anstrengend, aber es funktioniert.

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Eine gemeinschaftliche Win-Win-Situation, die den verantwortlicheren Umgang mit Konsumgütern unterstützt.

Ich habe hier die Wahl zwischen den sogenannten Fair-Teilern und der Abholung von Lebensmittelkörben bei Privatpersonen. Bei den Fair-Teilern handelt es sich um öffentlich zugängliche Kühlschranke, die von Privatpersonen befüllt werden. Jeder, der möchte, kann hier vorbeischauen und sich etwas aus dem Kühlschrank nehmen.

Die Abholung der Lebensmittelkörbe läuft etwas anders: Hier beschreibt der Spender die zu vergebenden Lebensmittel und postet diesen „Lebensmittelkorb" auf der Foodsharing-Seite. Diese können dann bei der Person zuhause abgeholt werden. Ich schaue mir zunächst erstmal die Lebensmittelkörbe an. Leider ist in meiner Umgebung nichts dabei. Wenn man nicht auf Salatköpfe und Frühlingszwiebeln zum Frühstück steht, gibt es hier jetzt erstmal nichts.

Die Anbieter verschenken ihre Lebensmittel aus ganz unterschiedlichen Gründen. Manche haben schlicht zuviel gekauft, andere stellen bewusst einen solidarischen Korb zusammen, für diejenigen, die nicht genug haben. Screenshot: Foodsharing.de

Ab zur Arbeit. Es wird Zeit, die Transportmöglichkeiten zu testen. Da muss jetzt Uber ran. Doch bei einem Blick auf die App stelle ich mit Schrecken fest, dass gar keine privaten Uber-Fahrer zur Verfügung stehen—weil das juristische Hin-und-Her die Taxi-Dienste von privaten Fahrern im eigenen Wagen in Deutschland momentan mal wieder verbietet.

Egal, ich habe jetzt keine Zeit, lange zu überlegen und bestelle statt dem echten Sharing-Angebot von Uber Pop das Uber-Taxi. Ich versuche den Taxifahrer ein bisschen auszuhorchen: Gibt es Unterschiede bei den Preisen? Gibt es für Ihn Unterschiede zur Bestellung über andere Taxi-Apps? Ist seine Bezahlung anders bei Fahrten über die Uber-Plattform? Nein, nein und nein. Leute mit Bargeld sind ihm die Liebsten. Aha.

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Ich fahre im Taxi zur Arbeit und werde von Kollegen kritisch beäugt. Jetzt fährt sie schon im Taxi vor. Soso. Abgesehen von den schiefen Blicken kostet mich die Taxifahrt mit Uber sogar noch 1,50€ mehr als die reguläre Bezahlung mit Bargeld. Das war schon mal eher kein Erfolg.

Screenshot: Uber

Für manche ist die Sharing Economy nicht nur Geschäftsmodell, sondern gleich Vorbote vom Ende des Kapitalismus, wie wir ihn kennen. Der US-Ökonom Jeremy Rifkin hat das Sharing-Prinzip zur Grundlage einer anderen Wirtschaftsordnung erklärt: Konsumenten werden dank Digitalisierung und Technologien wie 3D-Druck selbst zu Produzenten—und dabei soll nicht mehr Eigentum—von zum Beispiel Maschinen oder Investorengeld—der Motor der Produktion sein, sondern das, was Rifkin „collaborative commons" nennt—geteilte Gemeingüter, von denen alle etwas haben.

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Während Maker-Movement und Open-Source-Kultur das Prinzip der Kollaboration am konsequentesten durchziehen, sind es ausgewachsene Start-ups wie Airbnb, die das Sharing im großen Stil zu einer Ökonomie erheben. Sie funktionieren nicht mehr als Firmen, die Eigentum verkaufen und anbieten, sondern als Plattformen, die Nutzer verbinden. Die User sind es, die das Hab und Gut wie zum Beispiel ihre Wohnung oder ihren Privatwagen einbringen, um damit Geld zu verdienen.

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Das Sharing kostet Zeit und Arbeit—aber es verschafft mir auch neue Freunde.

Mittags ist zu viel los auf der Arbeit, daher wird es zu knapp, um extern auf Nahrungssuche zu gehen. Langsam habe ich ziemlichen Hunger. Glücklicherweise gibt es bei uns den Habitus des Geburtstagskuchens—ich weiß nicht, ob das Rifkins Definition von Sharing Economy entspricht, aber ich schlage zu. So verbringe ich meine Pause damit, Menschen zum Geburtstag zu gratulieren und vogelfreie Keksbestände zu überfallen. An meinem Geburtstag gibt's dann auch einen schönen Kuchen für alle! Versprochen, Leute!

Nach Feierabend fahre ich nach Kreuzberg zum Fair-Teiler und gucke mal, was man da so absahnen kann. Endlich ein Erfolg! Es gibt belegte Brötchen, süße Teilchen, Obst und Gemüse. Der Kühlschrank, in dem sich die Sachen befinden, ist etwas gewöhnungsbedürftig. Ich bin zunächst etwas skeptisch, nehme aber ein Teilchen und ein bisschen Obst und Gemüse mit. Zuhause muss ich mich dann schon ein wenig überwinden, Lebensmittel zu essen, deren Herkunft ich nicht kenne, aber die Sachen sind noch einigermaßen frisch und schmecken völlig in Ordnung.

  • Kontostand: -15,40€ (Ausgaben für Uber)
  • Genutzte Sharing-Plattformen: Uber (Versuch), Foodsharing
  • Eingebrachter Besitz: -
  • Fremder genutzter Besitz: Uber-Taxi, Lebensmittel anonymer Spender

Geteilte Lebensmittel: Man weiß nicht genau, wo sie herkommen, aber gratis schmeckt dennoch prächtig.

Dienstag

Da Uber ausfällt, suche ich nach einer neuen Möglichkeit, um mit der Sharing Economy zur Arbeit zu kommen— und finde Call a Bike. Optimal! Den Weg zur Arbeit schön ökonomisch und sportlich genutzt. Das Anmeldeprozedere ist einfach und dank der App lässt sich auch schnell der Standort des nächsten Fahrrads bestimmen.

Leider sind die nächsten freien Räder über zehn Minuten Fußmarsch entfernt, und dann müsste ich nochmal gute 25 Minuten zur Arbeit radeln. So viel Zeit habe ich jetzt nicht, aber ich behalte die Option für die Zukunft im Kopf. Dann nehme ich jetzt erstmal das meist geteilte Verkehrsmittel Berlins und fahre mit der U-Bahn.

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Mittags halte ich mich wieder mit geteilten Keksen und Kuchen über Wasser, da mein Ausflug zum Fair-Teiler nur ein Brötchen fürs Abendessen eingebracht hat. Ich merke schon jetzt, dass die Ernährung über Foodsharing mehr Planungsaufwand bedeutet—sich schnell noch irgendwas zu besorgen, kann auch in die Hose gehen.

Leider nur ein mageres Angebot in einem Fair-Teiler in Kreuzberg.

Zuhause fällt mir ein, dass ich noch ein Halloween-Kostüm für die anstehende Party am Wochenende brauche. Kaufen ist nicht drin, also versuche ich, mir ein Kostüm beim Kleiderkreisel zu ertauschen. Ich stelle ein paar Sachen ein und schreibe jede Menge Kostümbesitzer an. Ohne Erfolg. Entweder der Anbieter möchte nicht tauschen, möchte schon tauschen, aber findet nichts Passendes bei mir, oder hat die falsche Kleidergröße.

Langsam kommt die Verzweiflung hoch, und ich versuche, einfach nur noch IRGENDEIN Kostüm in meiner Größe aufzutreiben—egal ob Sailor Moon, sexy Marienkäfer oder selbstgebastelter Heiligenschein aus Alufolie mit geknickten Flügeln. Hauptsache, ich habe ein Kostüm, um der Strafe des kostümlosen Auftritts auf der Party zu entgehen (zehn Shots gleich nach Ankunft = tödlich).

Screenshot: Kleiderkreisel

Der einzige Lichtblick am Horizont ist, dass ich für eines meiner eingestellten Oberteile einen 1A-Pullover ertauschen kann. Ist zwar kein Kostüm, aber immerhin habe ich noch gute Beute für die Wintersaison gemacht—ganz ohne Geld auszugeben.

  • Kontostand: -3€ (Ausgaben für „Call a Bike"-Anmeldung)
  • Genutzte Sharing-Plattformen: Kleiderkreisel, Foodsharing
  • Eingebrachter Besitz: 1 Pullover
  • Fremder genutzter Besitz: Lebensmittel von anonymen Spendern

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Mittwoch

Nach dem dritten Hungerleider-Vormittag am Kekstisch organisiere ich mir über Foodsharing zwei Lebensmittelkörbe und mache mich nach Feierabend voller Vorfreude auf den Weg nach Kreuzberg, um die Spender abzuklappern. Zum Glück liegen die Wohnungen der beiden nicht zu weit voneinander entfernt und sind auch von der Arbeit gut zu erreichen. Die perfekte Strecke, um Call a Bike zu nutzen!

Abfahrt mit Call a Bike.

Mit der App finde ich schnell eine Abholstation und das Entleihen mit dem Smartphone funktioniert einwandfrei. Allerdings fällt mir unterwegs wieder ein, warum ich Fahrrad fahren so sehr hasse. Es nieselt, der Verkehr ist die Hölle, ich verfahre mich total und komme bei der ersten Adresse 20 Minuten zu spät.

Egal. Erstmal greife ich das Essen ab. Der ältere Herr, der den Lebensmittelkorb eingestellt hat, erzählt mir, dass er eigentlich immer seine übrig gebliebenen Lebensmittel über Foodsharing abgibt oder sie zu einem Fair-Teiler bringt. Er findet es fairer, wenn man nicht alles über die Website einstellt, weil viele arme Menschen kein Internet haben. Sympathischer Mann.

Eine Übersicht über die Essenskörbe in meiner Nähe. Screenshot: Foodsharing.

Ich fahre weiter zu einer WG, um dort das restliche angebotene Gemüse abzuholen. Auch hier gehört das Foodsharing zum Lifestyle. Die Bewohner geben regelmäßig Lebensmittel ab und holen auch Lebensmittelkörbe von anderen Foodsharern. Hier wird das Foodsharing auch als willkommene Sparmöglichkeit beim begrenzten Studentenbudget gesehen.

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  • Kontostand: 0€ Ausgaben
  • Sharing-Plattformen: Foodsharing, Call a Bike
  • Eingebrachter Besitz: --
  • Fremder genutzter Besitz: Lebensmittel von anonymen Spendern, DB Fahrrad

Donnerstag

Langsam wird es für mich Zeit, sich auf das Wochenende im Zeichen der Sharing Economy vorzubereiten. Zuhause recherchiere ich für meinen Ausflug nach Hamburg am Freitag. Für die Anfahrt bietet Blablacar die günstigsten Preise. Ich melde mich schnell an und klicke mich durch die Profile.

Für meine Anfragen suche ich mir die Fahrer/innen aus, die auf ihren Profilfotos am wenigsten dubios aussehen und gute Rezensionen haben. Man möchte ja schließlich nicht mit einem betrunkenen Raser oder einem Freund der Volksmusik drei Stunden im Auto verbringen. Der erste Kandidat meldet sich etwa eine halbe Stunde später mit seiner Zusage. Das war einfach! So kann es gerne weitergehen.

Screenshot: Couchsurfing

Für die Unterkunft melde ich mich bei Couchsurfing an, doch leider ist der Anmeldeprozess hier nicht so einfach. Kurze Antworten sind hier nicht gern gesehen—am besten solle man alle Fragen in Essayform ausfüllen. Herzlich willkommen im Vorstellungsgespräch für einen Platz auf meiner Couch.

Aber gut, man möchte ja auch ein bisschen was über den Gastgeber erfahren und sich nicht mit irgendeinem Verrückten die Wohnung teilen. Vorm Schlafengehen schicke ich erstmal Anfragen an die Gastgeber raus, deren Profilinformationen nett klingen und die positive Referenzen haben. Von meinen über 20 Anfragen meldet sich nur ein Gastgeber mit positivem Feedback. Ich bin gespannt!

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Freitag

Nach Feierabend fahre ich mit meinem gepackten Köfferlein zum ZOB, um dort meine Mitfahrgelegenheit zu treffen. Der Fahrer versteht sich in der hohen Kunst des Chauffierens (von der Temperaturanpassung bis zur Pipi-Pause alles kein Problem) und Volksmusik hört er auch nicht—das riecht nach einer traumhaften Bewertung. Er erzählt mir, dass er Student ist und ein unbezahltes Praktikum in Berlin macht.

Mit den Mitfahrern hole er seine Benzinkosten wieder rein, aber die große Kohle mache er damit nicht. Wenn alle Plätze im Auto bei einer Fahrt belegt seien, käme er ungefähr bei Null raus, aber wenigstens sei er so flexibel und müsse für seine Fahrten kein zusätzliches Geld ausgeben. Durch die nette Unterhaltung mit dem Fahrer und den beiden Mitfahrerinnen vergeht die Zeit wie im Fluge und wir sind ruckzuck in Hamburg.

Mit meiner Mitfahrgelegenheit bin ich entspannt nach Hamburg unterwegs.

Jetzt wird es spannend! Ich fahre zu meinem Couchsurfing-Gastgeber und habe keine Ahnung, was da jetzt auf mich zukommt. Ein Messi? Ein verrückter Puppensammler? Ein Axtmörder? Wer weiß.

Das nette Online-Profil kann auch lügen—tut es aber nicht. Ich werde erstmal von Hund Wolfie empfangen und bin direkt ein bisschen verliebt. Also, wenn ich meine Couch schon teilen, muss dann nur mit ihm.

In geseliger Runde mit den Freunden meines Gastgebers auf der Couch. Rechts unten: Hund Wolfie

Der Gastgeber hat ein paar Freunde zu Besuch serviert Sushi und Gin Tonic. Ob ich was möchte? Na, klar! Bevor ich mich mit meinen Freunden treffe, komme ich noch kurz mit auf einen Drink auf den Hamburger Berg. Die Jungs und Mädels haben mich gleich adoptiert, und wir verstehen uns großartig.

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Gentrifizierungskritik am neuen Couchsurfing-Konkurrenten: So hängt Airbnb mit steigenden Berliner Mieten zusammen

Auf meinem Weg nach Hause am nächsten Morgen schreibe ich dem Gastgeber nochmal, um mich zu bedanken, und wir einigen uns darauf, uns das nächste Mal wieder zu treffen, wenn ich in HH bin oder er in Berlin—schließlich habe ich ja auch eine Couch.

  • Kontostand: -14€ (Ausgaben für BlablaCar)
  • Sharing-Plattformen: BlablaCar, Couchsurfing
  • Eingebrachter Besitz: Meine Couch zum eventuellen Tausch
  • Fremder genutzter Besitz: Fremde Couch, fremdes Auto

Samstag

Nach dem Aufstehen checke ich nochmal die Situation bei Kleiderkreisel, aber genauso wie in den letzten Tagen tut sich nichts an der Kostümfront. Um ehrlich zu sein, bin ich auch ganz froh, da ich mir jetzt nicht die Blöße geben und mit einem ertauschten Marienkäferkostüm bei der Party aufkreuzen muss. Stattdessen heißt es, kreativ werden und aus dem eigenen Fundus etwas basteln. Ich habe noch ein altes Bettlaken und das muss jetzt für mein Superhelden-Kostüm herhalten. Basteln war schon im Montessori-Kindergarten nicht so mein Forte und dementsprechend sieht mein „Ghost-Girl"-Kostüm auch aus. Da muss ich jetzt durch—aber Kostüm ist Kostüm.

Partys stellen die Essenz der Sharing-Veranstaltungen dar, und aus diesem Grund kann ich natürlich auch nicht mit leeren Händen ankommen. Zum Glück habe ich noch Überbleibsel meiner Geburtstagsparty und die bringe ich auch mit. Ich bin fest der Überzeugung, dass eine halbe Flasche Pfeffi, eine Flasche Klarer und ein Six-Pack Bier mich dazu legitimieren, am Party-Buffet so richtig zuzuschlagen. Endlich mal wieder was Geiles zu essen und anständige Drinks! Yesss. Am Ende der Party darf ich mir sogar noch ein paar Sachen mitnehmen—besser so, als die Lebensmittel morgen wegzuwerfen.

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Zu schade zum Wegwerfen.

Sogar auf der Rückfahrt wird geteilt und zwar die Taxifahrt. So komme ich sogar noch mit geteiltem finanziellem Einsatz wieder bis vor meine Haustür.

  • Kontostand: -10€ (Ausgaben für private Mitfahrgelegenheit); -5€ (Taxi-Beteiligung)
  • Sharing-Plattformen: Kleiderkreisel
  • Eingebrachter Besitz: Halbe Flasche Pfeffi, 1 Flasche Klarer, 6 Bier
  • Fremder genutzter Besitz: Fremdes Auto, Essen & Getränke von Freunden

Sonntag

Der Sonntag verläuft ganz ruhig. Ich lebe den Großteil des Tages von den Resten der Party und schaue Netflix.

Am Abend durchsuche ich meine Küche und finde noch ein paar Lebensmittel, die ich so gut wie nie verwende und bringe diese zum Fair-Teiler—man kann ja nicht nur nehmen.

  • Kontostand: 0€ Ausgaben
  • Sharing-Plattformen: Netflix, Foodsharing
  • Eingebrachter Besitz: Verschiedene Lebensmittel
  • Fremder genutzter Besitz: Essen von Freunden

Einer der schönsten Momente meiner Sharing-Economy-Woche: Mit dem Hund eines Freundes des Couchsurfing-Hosts auf dem Sofa sitzen.

Nach fast einer ganzen Woche mit der Sharing Economy kann ich sagen, dass man sicherlich einige Aspekte des alltäglichen Lebens mit diesem Konzept bestreiten kann. Allerdings ist bei der Umsetzbarkeit ein Faktor entscheidend—die Zeit. Bei den meisten vorgestellten Apps bzw. Seiten hing der Erfolg extrem davon ab, wie viel Zeit ich investierte, um das gewünschte Ziel zu erreichen. Sei es Foodsharing, Couchsurfing oder Kleiderkreisel: Man muss konstant seine Apps checken, Nachrichten beantworten und seinen Alltag dementsprechend organisieren—für jemanden mit einem regulären Job ein anstrengendes, wenn nicht sogar unmögliches Unterfangen.

Überraschend fand ich, dass die Sharing Economy definitiv nicht nur für große Unternehmen, sondern tatsächlich auch für das Individuum einen Mehrwert bietet. Vielen Nutzern ermöglichen Sharing-Economy-Plattformen durch das permanente oder temporäre Teilen von Besitz einen finanziellen Vorteil—seien es getauschte Kleidungsstücke, Benzingeld, Lebensmittel oder einen Schlafplatz. Man macht auf diese Weise sicherlich kein Vermögen, aber man generiert eine gemeinschaftliche Win-Win-Situation, die auch einen verantwortlicheren Umgang mit Konsumgütern unterstützt.

Nach einer Woche mit viel Gemüse, trockenen Brötchen und Organisationsaufwand lege ich jetzt die Füße hoch und bestelle eine Pizza—für mich ganz allein.