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Mit App und Self-Tracking zum erfolgreichen Buddhisten

Die Gamifizierung der Spiritualität—Das neue EEG-Gadget MUSE macht Silicon-Valley-Buddhismus zum Spiel und möchte deinem Gehirn den Stress abtrainieren.
Bild: Muse

Im 21. Jahrhundert beginnt mehr oder weniger jede vernünftige Maßnahme zur Verbesserung deines Lebens mit einer pompösen Produktpräsentation und einer App. Das neue Gehirnfitness-Tool MUSE stellt da keine Ausnahme dar: Das High-Tech-Stirnband lässt dich mit deinen eigenen EEG-Daten spielen und soll dir so deinen Stress abtrainieren. Als ich vom anstehenden Produkt-Launch des Brain-Computer-Interfaces erfuhr, habe ich mich selbstverständlich sofort angemeldet, um das Meditations-Gadget 2.0 selbst ausprobieren zu können.

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‚Achtsamkeit' und technisch unterstütztes Konzentrationstraining sind schon länger ein  Silicon Valley Hype. Mit MUSE möchte die kanadische Firma InteraXon nun Kapital daraus schlagen und verbindet ihr Meditationstool mit den Prinzipien der Quantified-Self-Bewegung. Es ist quasi ein Nike Fuelband für tech-affine Buddhisten.

Das auf Brain-Computer-Interfaces spezialisierte Unternehmen brachte Anfang des Jahres schon einen  Bierhahn auf den Markt, der durch Gedanken gesteuert werden konnte. Sowohl im Hinblick auf Genialität als auch Irrelevanz ein kaum zu schlagender Apparat.

Der Produktlaunch fand vor zwei Wochen im geschlossenen Rahmen auf einer protzigen Dachterrasse statt. Es fehlte weder an attraktiven Hostessen auf High Heels, noch einer offenen Bar mit verschiedenen Ginseng-Säften, die einen Hauch von postmodernem Buddhismus verbreiteten.

Eine der Hostessen begleitete mich durch einen schweren grauen Vorhang zum Teststuhl. Sie reichte mir ein Tablet und erklärte mir die nächsten Minuten meines Lebens: Muse werde mich beruhigen und mir dabei helfen meinen Geist zu aktivieren. Mit Hilfe von Elektroenzephalografie (EEG) misst das Stirnband meine Gehirnaktivität und über Bluetooth werden die Daten an das iPad geschickt. Irgendeine komplizierte Technologie wertet die Daten dann in der dazugehörigen App namens Calm aus.

Vorsichtig legte sie mir das 220 Euro teure Stirnband auf den Kopf und passte es an. Es funktionierte nicht. „Du hast keine Gehirnaktivität", scherzte sie und hatte wohl unbewusst eine Vorahnung, wie die nächste halbe Stunde ablaufen würde. Schnell brachte jedoch eine weitere Mitarbeiterin auf High Heels ein neues funktionierendes Techno-Stirnband. Die Hostesse atmete erleichtert auf und der erste Stressabbau war bereits erfolgreich.

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Dann legte ich mir das Stirnband auf den Kopf, steckte mir die Kopfhörer in die Ohren, nahm das aufgeladene Tablet in die Hand und lud die Calm-App, während mich zwei Fremde übereifrig und erwartungsvoll ansahen—endlich konnte ich mich entspannen.

Die Autorin, bereit mit Muse in den Entspannungszustand überzugehen.

Damit die App lernt meine Gehirnaktivität richtig zu lesen, sollte ich kurz über verschiedene Themen nachdenken: Gewässer, Kleidungsstücke usw. Dann gab mir Calm Kommandos für meine Meditation: Befreie dich von allen Gedanken und konzentriere dich auf deinen Atem. (Sollte sich das als schwierig erweisen, schlug die App vor, dass ich jeden zweiten Atemzug zähle.)

Meine folgende drei-minütige Meditations-Session war vor allem ziemlich laut. Ständig hörte ich „beruhigende" Klänge: Wind symbolisiert Denken (schlecht) und zwitschernde Vögel bedeuteten, dass ich keine Gedanken hatte (gut). Sobald ich zuviel dachte, wurde das Wind-Geräusch lauter. Und wenn das Vogelgezwitscher anschwoll, dann ging ich in eine gedankenlose Phase über.

Diese kompliziert klingende absichtsvolle Gedankenlosigkeit kommt dir vermutlich bekannt vor: Buddhismus und Yoga sind natürlich zwei entscheidende Inspirationsquellen für MUSE. Wie so viele andere Achtsamkeits-Produkte auf dem Markt wird unübersehbar versucht, sich mit der liebsten Entspannungsphilosophie gestresster Großstadtbewohner in Verbindung zu bringen.

Die Technologie von MUSE hat, zumindest oberflächlich betrachtet, Ähnlichkeiten mit den buddhistischen Meditationsformen Shamatha (ruhiges Verweilen) and Vipassana (Einsicht). In der Tradition des Theravada, der ältesten Form des Buddhismus, bezeichnet Shamatha die Gemütsruhe und wird oft als Vorbereitung auf Vipassana angesehen. In der Vipassana-Meditation liegt das Augenmerk auf dem Atem, der Platz für unsere Gedanken schaffen soll.

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Diese Parallele bestätigte mir Ariel Garten, Gründerin und CEO von InteraXon, nach meinem Testlauf mit Muse. Garten schreibt die Inspiration Michael Apollo, Leiter der Applied Mind Sciences bei InteraXon, zu. Apollo hat scheinbar Erfahrung mit Theravada und tibetischem Buddhismus und ist außerdem Experte für indonesische Hindu-Buddhismus-Philosophie, emotionale Intelligenz-Trainings und Yoga.

Jemand, der so gebildet ist wie Apollo, sollte jedoch begreifen, dass Meditation nichts mit computersimulierten Vögeln, quantifizierten Ergebnissen oder einem Stirnband, das aussieht, wie das von Gaia aus Captain Planet, zu tun hat. Meditation ist viel simpler. Obwohl verschiedene Buddhismusrichtungen jeweils anders argumentieren, wird grundsätzlich mit dem Ziel meditiert, ein gutes metta (liebevolle Güte) zu erreichen, das unsere Reinkarnation positiv beeinflusst. Das ultimative Ziel der Meditation ist eigentlich Nirvana, nicht die Stressreduzierung.

Doch damit nicht genug der verzweifelten Buddhismus-Referenzen.

„Die Vogelgeräusche sind eigentlich eine Lehrstunde im buddhistischen Prinzip der Nicht-Bindung", erklärte mir Garten. Wenn du dich über die Vögel freust, sagt sie, erkennt das Stirnband deine Gedanken und die Vögel verschwinden.

Das ist ein all zu vereinfachtes Beispiel für Nicht-Bindung. Es klingt eher wie ein neurologisches, seltsames Katz-und-Maus-Spiel, aber nicht nach einer Einführung in die Prinzipien des Buddhismus. Nicht-Bindung bedeutet, ein Objekt im Moment bewusst wahrzunehmen, sich aber im selben Moment über dessen Vergänglichkeit bewusst zu sein. Es geht nicht darum, das Vögelchen hören zu wollen—es geht darum, die Präsenz des Vogels wahrzunehmen und sich über dessen Vergänglichkeit bewusst zu sein. Die Lektion liegt im Bewusstsein, dass das Vögelchen verschwindet—und nicht darin von der App bei deinen Gehirnaktivitäten erwischt und ermahnt zu werden.

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Muse/Calm ist nicht die erste Meditations-App, die vom Buddhismus inspiriert wurde. Apps wie Headspace, Rewire oder buddhify geben alle Buddhismus als Inspirationsquelle an, wenn auch nur flüchtig. Für mich sind diese Apps eine Steigerung der Moderne des Buddhismus und sie sind ein Zeichen für die Deinstitutionalisierung, Entmythologisierung und Psychologisierung des Buddhismus.

Die religiöse Institution, Hierarchie, Mythologie und aufwendigen Rituale werden verbannt—während der der Teilaspekt der Meditation in eine beschauliche Tätigkeit verwandelt wird. Meditation zu digitalisieren, gibt dem Ganzen noch eine ganz andere Dimension: Die Gamifizierung von Spiritualität.

Als meine Session vorbei war, zeigte die Calm-App ein komplexes Dashboard an, welches mit auf fragwürdige Weise errechneten und unnötigen Statistiken vollgepackt war. Aus dem Tortendiagramm konnte ich herauslesen, dass ich 29 Sekunden lang „gelassen" war. Ein Balkendiagramm stellte meinen „neutralen" Zustand dar und ein Punktesystem bewertete meine „Performance". Was? Nur 219 Punkte? Das kann ich besser. Ich trete gegen mich selbst an, im Kampf um mehr Gelassenheit.

Muse versucht mit antrainierter Gelassenheit das gleiche, was Nike+ mit dem Laufen vorgemacht hat: Mit dem Prinzip der Selbstoptimierung durch Datensammlung deine Leistung bei einer einfachen, ja banalen individuellen Aufgabe zu steigern. Die Menschheit hat es tausende Jahre geschafft, ohne eine technologische Hilfe zu laufen und zu meditieren. Anders als viele andere Alltags-Apps haben Achtsamkeits-Apps einen religiösen Kern. Allerdings fließt nur ein kleiner spezifischer Teil der Spiritualität in das Programm. Und was ist mit dem Rest des Buddhismus? Die Jahrtausende alte Geschichte, die Rituale, Gemeinschaft und Glaubenslehre?

Diese anti-institutionalisierte Herangehensweise spiegelt die jüngsten Erkenntnisse über Religiosität wieder. Interaktive Achtsamkeitstechnologie spricht uns von unserem Kommunikationsbedürfnis und unserer Bedürfnis nach Zustimmung von traditionellen Offline-Autoritäten frei. Von allen anderen Religionen außer dem Judentum und dem Christentum wird das mit offenen Armen empfangen, weil oft große Distanzen zwischen den Gemeinschaften liegen und sie überall verstreut sind, so dass direkte Kommunikation manchmal schwierig ist, auch wenn du wolltest. Die App wird zu unserer personalisierten Autorität: Siri für unsere Psyche.

Wenn InteraXon für's „ruhig sitzen und gedankenlos sein", was viele Amerikaner eigentlich so schon ganz gut können, nun 220 Euro verlangt, befeuert das Unternehmen damit die Idee, dass Achtsamkeit nur etwas für die Reichsten ein Prozent ist. Vielleicht könnten sie in ihrem Ansatz ein bisschen achtsamer sein.

Joanna Piacenza schreibt über Religion, digitale Medien und Buddhismus. Sie hat einen Masterabschluss in Religionswissenschaften von der University of Colorado-Boulder, wo sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Center for Media, Religion and Culture arbeitet. Piacenza's Masterarbeit erforschte die Auswirkungen und den Gebrauch von Meditationsapps. Folge ihr auf Twitter.