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Neue Studie: 88% Billig-Putenfleisch mit antibiotikaresistenten Keimen belastet

Eine heute veröffentlichte Stichproben-Untersuchung des BUND zeigt die Konsequenzen der massiven Verbreitung von Antibiotika in unserem System der industriellen Massentierhaltung.
Massentierhaltung von Puten. Bild: ​Wikimedia, Scott Bauer | ​Gemeinfrei

​In Deutschland sterben nach Schätzungen der deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene jährlich rund 40.000 Menschen an Krankenhauskeimen, weil Antibiotika bei ihnen nicht mehr wirken. Diese Resistenzen sind nicht immer nur intensivem vorangegangenen Medikamentenkonsum geschuldet, auch persönliche Essgewohnheiten können eine gesundheitsgefährdende Rolle spielen—billige Filets, Würstchen und Schnitzel aus dem Discounter. Das aktuelle Ausmaß dieses Problems zeigt eine heute vom ​BUND vorgestellte Studie, in der die Organisation Putenfleisch aus den Supermärkten Aldi, Lidl, Real, Netto und Penny auf Krankenhauskeime und ihre medizinischen Implikationen überprüfte.

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Die Studie basiert auf Testkäufen frisch abgepackten Putenfleisches bei den fünf Discountsupermärkten in zwölf verschiedenen Städten. Insgesamt wurden deutschlandweit 57 Stichproben untersucht. Die Ergebnisse sind erschreckend, jedoch auf Grund der Zustände in der auf reinen Profit ausgelegten Massentierhaltung auch kaum anders zu erwarten.

Wenn ein Tierarzt unter 30.000 Tieren auch nur ein Krankes entdeckt, werden oft alle mit Antibiotika behandelt.

Das System unserer industriellen Nahrungsmittelproduktion lässt sich inzwischen nicht anders am Laufen halten als, dass 90 Prozent der Puten in den überfüllten Ställen während der Mast regelmäßig Antibiotika verabreicht bekommen. „Rund neun von zehn Putenfleisch-Proben aus deutschen Discountern sind unseren Tests zufolge mit antibiotikaresistenten Keimen belastet", fasst der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger die Situation in der aktuellen ​Pressemitteilung zusammen.

Die Produktion von Billigfleisch ist nur möglich, wenn eine extrem hohe Anzahl von Nutztieren auf viel zu geringem Platz bis zum Schlachttermin am Leben gehalten wird, was ohne den Einsatz von Medikamenten nicht möglich wäre. Findet ein Tierarzt nur ein einziges krankes Tier unter 30.000 Küken, werden oft alle Tiere vorsorglich mit Antibiotika behandelt, wird Rupert Ebner, ehemaliger Vizepräsident der bayerischen Landestierärtzekammer, in der ​Süddeutschen Zeitung zitiert.

Diese Behandlung der Tiere begünstigt die Bildung antibiotikaresistenter Keime, welche über das Fleisch in unseren Ernährungskreislauf gelangen. Dies birgt das Risiko der Übertragung der Keime auf den Menschen und im Falle von Infektionen die Gefahr, dass Antibiotika zunehmend wirkungslos werden. Dabei können insbesondere  ​ESBL-produzierende Darmkeime (Extended Spectrum Beta-Lactamase) eine Behandlung mit Antibiotika erschweren, ​MRSA-Keime können sogar direkt schwere Infektionen auslösen.

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In der Studie bilanzieren die Autoren:

  • Von der Gesamtzahl der Proben waren lediglich zwölf Prozent bzw. sieben Putenfleischproben negativ, das bedeutet, ohne einen MRSA- oder ESBL-Befund.
  • Auf insgesamt 50 Putenfleischproben wurden entweder ESBL, MRSA oder beide Keime nachgewiesen, das entspricht (bei insgesamt 57 Proben) einem Anteil von 88 Prozent der Proben, die mit antibiotikaresistenten Keimen belastet sind.
  • Im Einzelnen wurden 42 Proben positiv auf MRSA getestet, 30 Proben wiesen ESBL-Rückstände auf. 
  • Die vier Proben aus jeweils hofeigener Schlachtung wiesen keine Belastungen auf.

Die BUND-Agrarexpertin Reinhild Benning erklärte, dass kein einziger der Putenfleisch-Lieferanten in der Lage gewesen sei, vollständig unbelastete Ware anzubieten. „Sämtliche Schlachthofkonzerne und Zerlegebetriebe, die das von uns getestete Putenfleisch an die Discounter geliefert haben, gehören dem von der Agrar- und Lebensmittelwirtschaft eingerichteten Qualitätssicherungssystem QS an. Und trotzdem ist das Fleisch massiv mit antibiotikaresistenten Keimen belastet. Das zeigt, dass Änderungen im Tierschutz- und im Arzneimittelrecht notwendig sind, um die Schwächen dieses so genannten Qualitätssicherungssystems abzustellen", so Benning.

Zwar sind Antibiotika als Wachstumsbeschleuniger für Masttiere seit 2006 verboten und dürfen nur in Ställen mit kranken Tieren eingesetzt werden, doch Tierärzte legen die Verordnung oft großzügig aus. Und so werden Antibiotika scheinbar trotzdem nahezu flächendeckend eingesetzt, wie die neue BUND-Studie noch einmal zeigt.

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Das  ​Bundesamt für Verbrauchersch​utz und Lebensmittelsicherheit belegt mit seinen aktuellen Zahlen, dass besonders die Verabreichung kritischer Wirkstoffe aus dem humanmedizinischen Kampf gegen resistente Keime—wie zum Beispiel die Reserveantibiotika Flourchinolone—im Jahr 2013 signifikant angestiegen ist. Doch genau diese tiermedizinische Verwendung, der für den Menschen in der Behandlung oft überlebenswichtigen Medikamente, stellt ein massives Problem dar.

In den Niederlanden, Dänemark und Frankreich ist diese Medikamentengruppe in der Massentierhaltung bereits weitgehend verschwunden. Bei uns in Deutschland wäre zur Eindämmung ein neues Arzneimittelgesetz und dessen permanente Einhaltungskontrolle vonnöten.

Damit sich dieser Denkansatz ändert, brauchen wir gleichermaßen einen reflektierteren Ansatz der Konsumenten, als auch eine Änderung der rechtlichen Vorschriften für Tierärzte. Benning erklärt das Dilemma folgendermaßen: „Rund 80 Prozent der in der Tierhaltung eingesetzten Antibiotika werden von nur fünf Prozent der Tierarztpraxen verkauft, die bei Großeinkäufen für Riesenställe lukrative Rabatte erhalten. Ein geändertes Arzneimittelgesetz muss diese Praxis beenden und dem Schutz der menschlichen Gesundheit wieder Geltung verschaffen."

Am 17. Januar wollen der BUND und andere Organisationen in Berlin gegen TTIP, Massentierhaltung und Gentechnik ​demonstrieren.