Oberösterreicher in Wien

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Österreich

Oberösterreicher in Wien

Wir Oberösterreicher sind überall. Nicht umsonst hat Josef Pühringer einmal gesagt, Wien sei die zweitgrößte Stadt Oberösterreichs.

Foto: Manolo Gómez | flickrCC BY 2.0

Seitdem ich vor sechs Jahren aus Braunau nach Wien gezogen bin, habe ich wahrscheinlich mehr Oberösterreicher kennengelernt als Wiener und andere Bundesländer-Exilanten gemeinsam. Vielleicht liegt es daran, dass sonst niemand meinen Dialekt versteht und das alles nur einriesengroßer Teufelskreis ist. Vielleicht gibt es aber auch einfach nur ziemlich viele Oberösterreicher in Wien. Oberösterreicher sind sie die zweitgrößte Gruppe an Zugezogenen aus den Bundesländern: Von den insgesamt 324.000 stammen 45.294 aus dem besten aller Bundesländer. Josef Pühringer hat Wien immerhin nicht umsonst einmal als die zweitgrößte Stadt Oberösterreichs bezeichnet.

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Es gibt ziemlich viele gute Gründe, den warmen Schoß der oberösterreichischen Heimat zu verlassen und in die große Hauptstadt zu ziehen. Ja, auch wenn man der Oma bei jedem Heimatbesuch aufs Neue erklären muss, dass in Wien keine Chicago-ähnlichen Zustände herrschen und es nicht so schwer ist, sich selbst eine warme Mahlzeit zu besorgen. Wirklich, Oma! In Oberösterreich gibt es nämlich nicht viel außer Granit, Zirbenschnaps und schlechte Hitlerwitze (die man übrigens auch hier in Wien viel zu oft zu hören bekommt, wenn man jemandem gesteht, dass man aus Oberösterreich kommt).

Manche haben vielleicht sogar ein bisschen das Gefühl, dass die Oberösterreicher einen geheimen Plan zur Übernahme Österreichs verfolgen. Geeignet wären wir—zumindest unseres Erachtens nach. Denn wie sagt man so schön: Es gibt Kellner und Oberkellner. Und es gibt Österreicher und Oberösterreicher. Ihr dürft später lachen.

Und auch, wenn die Oberösterreicher wahrscheinlich ohnehin zu rauschig für die Weltherrschaft und zu beschäftigt damit sind, irgendjemandem ihren Dialekt zu erklären und sich dafür zu rechtfertigen, dass sie zu Vorraum "Vorhaus" sagen, gibt es einige Fragen zu klären. Wer sind die Oberösterreicher, die in Wien leben? Warum sind sie hier und wo rotten sie sich zusammen? Und warum finden sie es erstrebenswert, in die Hauptstadt zu ziehen, nur um dann wieder unter sich zu sein?

"Leute, die nach dem siebten Trichter in der Dusche schlafen und eskalierende Heimpartys, bei denen Polizisten unter Applaus begrüßt werden und dann ein Stückchen Kuchen mit uns essen."

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Der erste große und wichtige Anlaufpunkt für Oberösterreicher ist wohl das Haus Oberösterreich im siebten Bezirk, das zwischen 1963 und 1965 gebaut, aber erst später als Studentenheim genutzt wurde. Hier wohnen oberösterreichische Studenten (und auch andere) zu Spottpreisen und können ungeniert über Bunki, Fliangtuscher und Bamaranschen reden, ohne ausgelacht zu werden. Im Haus Oberösterreich leben bis zu 222 Studierende in 110 Einzelzimmern und 112 Doppelzimmerplätzen auf vier Stockwerken. Auf der Website des Studentenheims heißt es: "Es gibt vermutlich keinen einfacheren Weg, nette Leute in einer fremden Stadt kennenzulernen."

Ich selbst war auch schon das ein oder andere Mal im Haus Oberösterreich zu Besuch bei Freunden. Dort gewinnt man schnell den Eindruck, dass alle dort wie eine große Familie sind—ob das an der gemeinsamen Herkunft liegt oder einfach nur daran, dass nette Menschen in diesem Heim wohnen, sei dahingestellt. Man versteht sich mit so ziemlich allen auf Anhieb und hat sofort was zu reden. Man holt sich gegenseitig Bier aus dem Bierautomaten im Keller, neben dem einmal eine Zeit lang ein Obdachloser geschlafen hat—und den die Bewohner auch dort schlafen ließen.

Auch, dass es hier mal einen Heim-eigenen Dieb gab, der neben einigen (genau genommen sieben) Mikrowellen aus den Gemeinschaftsküchen auch benützte Sportsocken und Schuhe brauchen konnte, ist eine Geschichte, die man sich gerne erzählt. Dass hier jeder permanent Jogginghose und Fake-Adiletten trägt, stört niemanden. Man verabredet sich zum Kaffee, bei dem man den nächsten Vorglüh-Exzess im zehn Quadratmeter großen Zimmer plant und man fühlt sich sofort wie in einer viel zu riesigen, aber verdammt coolen WG voll von Leuten, die man auch schon ewig kennen könnte.

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Teil dieser Oberösterreich-Familie zu sein, scheint die kleinen Zimmer und die Gemeinschaftsklos am Gang wert zu sein.

Moritz Hoflacher, Studentenheimvertreter des Öberösterreicherheimes, ist Tiroler. Auf Nachfrage von VICE meint er, dass es für viele sicher für einen Einzug ins Haus Oberösterreich spreche, dass man vielleicht schon Leute im Heim kenne und so einfach von Beginn an einen Bezugspunkt in der neuen Heimat findet.

Das bestätigen mir auch meine Freunde, die dort wohnen. Sie erzählen mir, dass sie vor allem aufgrund des Preis-Leistungsverhältnisses, der Lage und anderer Leute, die sie aus dem Heim schon kannten, hier eingezogen sind. Auf die Frage, ob sie sich keine Sorgen gemacht hätten, in Wien wieder nur Oberösterreicher kennen zu lernen und so nie aus ihrer Heimat-Blase zu kommen, erzählen sie mir: "Beim Studium lernt man sowieso viele Leute aus allen verschiedensten Regionen kennen. Es sind außerdem viele Erasmus-Studenten und Leute aus anderen Bundesländern bei uns im Heim."

Auch für die legendären Heimpartys und Hoffeste ist das Haus Oberösterreich berüchtigt: "Leute, die nach dem siebten Trichter in der Dusche schlafen, eskalierende Heimpartys, bei denen Polizisten unter Applaus begrüßt werden und dann ein Stückchen Kuchen mit uns essen—das sind ein paar unserer Lieblingsgeschichten. Die wirklich harten Anekdoten können wir natürlich nicht erzählen." Fast könnte man bei diesen Erzählungen ein bisschen wehmütig werden.

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Teil dieser Oberösterreich-Familie zu sein, scheint die kleinen Zimmer und die Gemeinschaftsklos am Gang wert zu sein. "Die Community im Heim ist sehr offen und freundlich. Super ist zum Beispiel, dass sich am Gang alle grüßen," erzählen meine Freunde, die mittlerweile seit über fünf Jahren dort wohnen.

Wir Oberösterreicher sind gar nicht so schlimm. Immerhin haben wir euch den Leberkas-Pepi nach Wien gebracht.

Dann gibt es da noch den Ball der Oberösterreicher in Wien, der jährlich vom Verein der Oberösterreicher in Wien veranstaltet wird. Der Verein wurde 1885 gegründet und soll ein Stück "Heimat" für all diejenigen bewahren, die "dahoam in Wean" sind. Der Ball findet in Wien statt und als ich mich in meinem Freundeskreis umhöre, finde ich schnell jemanden, der schon einmal auf dem Ball der Oberösterreicher war: "Alle tragen Tracht, die Frauen tragen lange Dirndlkleider. In Wahrheit ist das Ganze wie ein Schulball. Man geht von Bar zu Bar, trinkt, es gibt Reden und eine Mitternachtseinlage. Und du triffst halt das Who is Who der konservativen jungen Menschen." Der Verein der Oberösterreicher in Wien organisiert auch einen monatlichen Stammtisch, der neu Zugereisten Anschluss bieten soll.

Aber wir Oberösterreicher sind nicht nur nach Wien gekommen, um auf Bälle zu gehen, in Studentenheimen zu saufen und euch mit unserem Dialekt in den Wahnsinn zu treiben. OK, ein bisschen vielleicht. Aber ihr müsst schon zugeben, dass wir eigentlich gar nicht so übel sind. Immerhin haben wir endlich den Leberkas-Pepi nach Wien gebracht. Und Hitler war nur sehr kurz bei uns. Und Haider auch. (Für Ersteren müssen sich praktischerweise die Deutschen rechtfertigen, für Zweiteren die Kärntner.)

Als ich mich umhöre, was die Oberösterreicher eigentlich ausmacht, ernte ich nicht viel mehr als fragende Blicke. OK, wir haben vielleicht nicht so viel zu bieten außer die Voest, ein paar Seen und die Geschichte von Hans Staininger, dem ehemaligen und viel zu selten erwähnten Stadthauptmann von Braunau, der auf seinen Bart getreten ist, den er eigentlich immer in seiner Brusttasche aufbewahrt hatte, und schließlich eine Treppe hinunter fiel und starb. Aber viel wichtiger ist sowieso die Tatsache, dass wir einfach ziemlich bodenständige und liebenswürdige Bauern sind.

Verena auf Twitter: @verenabgnr

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