Welcher deutsche Politiker hat die meisten Bots und Fake-Follower?
Grafik: Motherboard / Sara Schmitt. Alle Bilder: CC BY-SA 3.0

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Welcher deutsche Politiker hat die meisten Bots und Fake-Follower?

Eine Daten-Analyse von Motherboard zeigt, dass Bots scheinbar lieber linke als rechte Politiker stalken. Die Untersuchung offenbart auch, welch gigantisches Ausmaß das Problem von Roboter-Accounts auf Twitter inzwischen erreicht hat.

Grafik: Motherboard | Sara Schmitt. Alle Bilder: CC BY-SA 3.0

Soziale Medien sind zu einem der zentralen Orte geworden, an dem sich Menschen ihre Meinung bilden. Während die Häufigkeit viraler Falschmeldungen in diesen Netzwerken stetig zunimmt, steigt gleichzeitig die Anzahl sogenannter Social Bots, die diese Fake-News multiplizieren.

Doch nicht nur das Auseinanderhalten von echten und falschen Informationen gestaltet sich immer schwieriger; durch die konstante technische Weiterentwicklung der Bots sind auch diese oft kaum noch von menschlichen Usern zu unterscheiden. Das stellt nicht nur die Nutzer, sondern vor allem auch die Betreiber sozialer Netzwerke vor große Herausforderungen.

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Twitter beispielsweise gab bereits 2013 offen zu, dass rund 5 Prozent aller Twitter-Profile Fake-User sind; andere Schätzungen halten einen Anteil von bis zu 20 Prozent für realistischer. Welchen Effekt die Mikroblogging-Plattform mit all ihren Bots und Fake-Followern dabei auf die öffentliche Meinungsbildung hat, zeigte sich zuletzt auf drastische Weise während der US-Präsidentschaftswahl: Eine regelrechte Armee an Twitter-Bots versendete knapp vier Millionen automatisierte Tweets, die bei politischen Diskussion auf Twitter für Donald Trump statt Hillary Clinton Partei ergriffen. Als Meinungsroboter verfälschten sie in wichtigen Wahlkampfmomenten das tatsächliche Stimmungsbild der Nutzer. Außerdem manipulierten sie durch automatisierte Abstimmungen Umfrageergebnisse, die neurechte US-Medien und Trump selbst nicht nur aufgriffen, sondern auch als vermeintlichen Beweis für die falsche Berichterstattung anderer Medien anführten.

Während bei den US-Wahlen nicht nur Bots aus dem Trump-Lager, sondern auch jede Menge automatisierte Pro-Clinton-Bots auf Twitter aktiv waren, haben in Deutschland alle großen Parteien ungewohnt einstimmig erklärt, dass sie bei der Bundestagswahl 2017 auf den Einsatz von Social Bots verzichten werden. Lediglich die AfD gab offen zu, sie einsetzen zu wollen, wie der Spiegel berichtete—eine Meldung, die die AfD später wieder dementierte.

Eine Datenanalyse von Motherboard Deutschland zeigt allerdings, wie groß schon heute die Masse an Social Bots und Fake-Accounts ist, die sich unter den Followern deutscher Spitzenpolitiker tummeln. Mit Hilfe des Tools Twitonomy haben wir uns die jeweils 15.000 neuesten Follower von insgesamt 18 Spitzenpolitikern der sieben größten Parteien, die in Landtagen vertreten sind, angesehen. Nachdem wir zunächst überrascht waren, dass von 16 Bundesministern nur fünf einen eigenen Twitter-Account besitzen, förderte die Analyse noch jede Menge weiterer interessante Ergebnisse zutage: So finden sich an der Spitze unseres Rankings zwei Mitglieder der Grünen, während die AfD-Politikerinnen Frauke Petry und Beatrix von Storch auf den unteren Rängen Platz finden. Die Datenerhebung ist dabei ausschließlich quantitativ vergleichender Art und stellt keine qualitative Bewertung der analysierten Twitter-Profile dar.

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1. Christian Ströbele

Der Kreuzberger Grünen-Politiker hat sich den Sieg zwar nur knapp gesichert, aber der Anteil an offensichtlichen nicht-menschlichen Followern ist eindrucksvoll: Knapp 60 Prozent der 15.000 neuesten Follower von Christian Ströble zeigen Anzeichen dafür, dass es sich bei den entsprechenden Twitter-Konten um Fake-Profile oder Bots handelt.

Auffällig ist vor allem, dass Ströbeles Profil an einzelnen Tagen große Schübe an Followern zu verzeichnen hatte. Während seit der Registrierung seines Kontos am 24. Mai 2011 durchschnittlich 1.986 neue Follower pro Monat eingesammelt wurden, verzeichnete der Account allein am 3. August 2016 10.575 neue Follower und am 15. September 3.618 neue Follower innerhalb von 24 Stunden—klare Indizien, die für Bots sprechen.

2. Katrin Göring-Eckardt

Derartige Wellenbewegungen fallen bei einem genaueren Blick auf das Profil der Zweitplatzierten schwächer aus als bei Ströbele. Die Ausreißer in der Followerkurve sind weniger drastisch. Allerdings ist es wahrscheinlich, dass nicht wenige derselben Bots, die sich bei Ströbele eingenistet haben, auch bei Eckardt zu finden sind: Wie eine Analyse mit Sysomos MAP ergab, haben beide Politiker 21.959 gemeinsame Follower.

Dass sich auf den ersten beiden Plätzen zwei Grünen-Politiker befinden und die vorderen Rängen fast alle an linke Politiker gehen, mag dabei nur auf den ersten Blick überraschen: Ströbele, Göring-Eckardt & Co könnten zur Zielscheibe von Bots aus dem neurechten Lager geworden sein, das sich schon bei der US-Wahl wesentlich stärker hervorgetan hat als der politische Gegner: Auf einen Clinton-Bot kamen sieben Trump-Bots. Letztendlich bleibt die konkrete Herkunft von Bots aber kaum zu ermitteln. Auch darüber, ob ein politisches Lager dem anderen Social Bots oder Fake-Follower unterjubelt, kann bisher ebenfalls nur spekuliert werden.

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3. Peter Tauber

Als einer der deutschen Politiker, die am längsten auf Twitter dabei sind (seit dem 28. Februar 2009) und am meisten Follower zählen (111.635) tweetet Peter Tauber rund 4,7 Mal pro Tag. Auch er teilt sich über 30 Prozent seiner Follower mit den beiden Erstplatzierten.

Bei Tauber ist vor allem die schiere Menge an Bots erstaunlich: Eine Hochrechnung unserer Erhebung ergab, dass sich unter Taubers Followern über 63.000 Accounts befinden, die klare Anzeichen von Bots oder Fake-Followern haben.

Grafik: Motherboard/Martin Petersen

Wie wir das Ranking erstellt haben

Um die oben stehenden Daten zu ermitteln, haben wir am 15. November mit Hilfe des Tools Twitonomy für jedes Twitter-Konto der 18 Politiker jeweils eine Liste der 15.000 aktuellsten Follower-Accounts heruntergeladen (Wir haben uns entschieden, dieses Sample linear auf den kompletten Account hochzurechnen. Möglicherweise ist die Bot-Quote bei älteren Followern geringer, weil hier bereits Anti-Spam-Bemühungen von Twitter gegriffen haben und Bots früher in geringerem Maße eingesetzt wurden als heute. Andererseits erhöht Twitter kontinuierlich die Sicherheitsvorkehrungen, um Bots bereits bei der Anmeldung zu sperren. Es ist heute also schwerer denn je, einen Bot auf Twitter anzumelden.)

Diese Followerschaften haben wir anschließend insbesondere in Bezug auf die sogenannte followers-to-friends ratio analysiert. Diese gilt laut einer Vielzahl renommierter wissenschaftlicher Studien als ein zentrales Merkmal von Fake-Accounts auf Twitter und wird auch von Fake-Analyse-Tools wie Twitteraudit oder Status People herangezogen. Es handelt sich dabei um das Verhältnis der Followeranzahl eines Accounts zu der Anzahl an Accounts, die diesem Account selbst folgen. Hat ein Konto also nur einen einzigen Follower, folgt aber 30 anderen Accounts, liegt die followers-to-friends ratio dieses Kontos bei 30.

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In einer der bisher umfangreichsten Studien zum Thema werteten Computerwissenschaftler der New Yorker Clarkson University insgesamt 62 Millionen Twitter-Accounts aus. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass die durchschnittliche followers-to-friends ratio von Fake-Profilen bei 30 liegt, während sie bei denjenigen Nutzern, die sie als „ground truth users" bezeichneten, bei 1 lag (gemeint sind Accounts, die sich eindeutig wie Menschen verhalten). Um die Twitterprofile der Politiker in Bezug auf mögliche Fake-Profile miteinander zu vergleichen, haben wir also Follower mit einer followers-to-friends ratio von mindestens 30 als Fake-Follower gewertet.

Bei unsere Methode ist zwar nicht auszuschließen, dass auch vereinzelt menschliche Nutzer, die sehr vielen Konten folgen, aber selbst keine bzw. kaum Follower haben (so wie es bei Bots die Regel ist), als Fake-Follower bewertet werden. Allerdings ergaben Stichproben, dass sich auch unter den Profilen mit einer geringeren followers-to-friends ratio als 30 eine große Anzahl an offensichtlichen Fake-Profilen befindet. Die von uns ermittelten Prozentzahlen stellen demnach also eine eher konservative Schätzung dar.

Zusätzlich haben wir uns außerdem die Aktivität der ausgewerteten Follower angesehen und festgestellt, dass ein Großteil der Follower als inaktiv gelten muss. Die von uns ermittelten Prozentzahlen geben an, wie viele der Follower eines Accounts entweder noch nie oder seit über einem Jahr nicht mehr getweetet haben:

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Grafik: Motherboard/Martin Petersen

Welche Art von Fake-Followern und Social Bots gibt es?

Unter den von uns ermittelten Fake-Profilen befinden sich indes alle bekannten Arten von Fake-Followern und Social Bots: Die klassischen Linkschleudern, die Twitter ausschließlich dazu benutzen, Menschen auf andere Websites zu locken; Bots, die nichts anderes tun, als bestimmte Inhalte zu retweeten; gekaufte Accounts, die lediglich die Followerzahl eines Profils in die Höhe treiben sollen; und Bots, die bestimmte politische Inhalte und Meinungen unters Volk bringen, wie dieser Pro-Trump-Bot, der sich unter Christian Ströbles Twitter-Followerschaft niedergelassen hat.

Außerdem fiel uns bei unsere Analyse eine ganz besondere Art von Fake-Profil auf. Fast alle Politiker haben unter ihren Followern eine Gruppe von Accounts, deren followers-to-friends ratio eine gerade Zahl ist, die bisher noch nichts getweetet haben und Politikern aus allen politischen Lagern sowie einer Vielzahl großer deutscher Medien folgen (Hier ein Beispiel-Account). Sie fallen damit in keine der bisher genannten Kategorien an Fake-Followern und Bots.

Der Hamburger Politikberater und Blogger Martin Fuchs glaubt, dass es sich bei diesen Accounts, um Bot-Netzwerke handelt, die wahrscheinlich für einen späteren Einsatz vorbereitet werden: „Genau diese Profile tauchen meist mit Schüben neuer Twitter-Follower auf, wie wir sie bei mehreren deutschen Politiker zum Beispiel nach dem Amoklauf von München beobachtet haben", erklärt Fuchs gegenüber Motherboard. „Sie sehen sehr stark nach einer Bot-Armee aus, die sich jetzt erstmal nur mit den großen Accounts wichtiger Politiker und Parteien vernetzt, damit sie später, sobald sie Reputation aufgebaut haben, mit inhaltlichen Postings und dem Beeinflussen von Trends [auf Twitter] loslegen könne."

Es sieht also so aus, als müssten wir uns auf eine lange Koexistenz menschlicher und nicht-menschlicher Nutzer auf Twitter einstellen. Social Bots werden wohl auch in Deutschland weit über die Bundestagswahl 2017 hinaus eine der größten Herausforderungen sein, die wir neben Fake-News und Hass im Netz meistern müssen.