Zwei Tage im deutschen Polizeistaat: Der G7 aus Sicht der Anwohner

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Zwei Tage im deutschen Polizeistaat: Der G7 aus Sicht der Anwohner

Von den Garmischern haben wir den einzigen Weg erfahren, wie man den ständigen Polizeikontrollen beim G7 ausweichen konnte: In Tracht.

Wer schon immer mal wissen wollte, wie sich das Leben in einem echten Polizeistaat anfühlen würde, der konnte das am Wochenende im idyllischen Garmisch-Patenkirchen nach Herzenslust ausprobieren. Der G7-Gipfel bot vor allem zahlreiche Möglichkeiten, sich ein eindrückliches Bild von der aktuellsten Polizeitechnik- und Ausrüstung zu machen. Besonders stolz schien die bayerische Polizei auf ihre schwarzen Darth-Vader Ganzkörperanzüge zu sein, die trotz 31 Grad Celsius und Luftfeuchte wie in den Tropen zur Schau getragen wurden. Über 20.000 PolizistInnen waren nach Garmisch gekommen, um auf 10.000 Demonstranten und jede Menge Journalisten aufzupassen.

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Alle Fotos: Flo Smith

Bereits seit Monaten ist im bayrischen Touristen-Mekka Garmisch nichts mehr normal. Uniformen und Streifenwagen wohin man blickt, Zivilpolizei und private Sicherheitsdienste patrouillieren permanent die Stadt. Als Touristen verkleidete Zivilpolizisten drücken sich mit Angehörigen der US-Armee die Klinken in die Hand. Während des G7-Gipfels dürfen die GIs keine Uniform tragen und nicht auf offener Straße salutieren. Man möchte nicht unnötig provozieren, heißt es seitens der Behörden.

Die unzähligen Militärhelikopter, die seit Wochen über die Stadt donnern, lassen im Alpenidyll feinstes Irak-Flair aufkommen. Generell sind die Sicherheitsvorkehrungen und Präventionsmaßnahmen in und um Garmisch extrem: Versiegelte Kanaldeckel, gesonderte Öffnungszeiten der Geschäfte, Parkverbote, improvisierte Hubschrauberlandeplätze, Straßensperren, Sondereinheiten, die auf den Dächern und den umliegenden Bergen sitzend die Stadt observieren. Wäre das noch nicht genug, so wurde selbst die Straßenführung kurzerhand abgeändert.

Inmitten dieser eindrucksvollen Polizei-PR-Veranstaltung haben wir uns mit ein paar Locals getroffen. Mit ihnen sind wir zwei Tage durch die Stadt gezogen und haben auch die Demonstrationen besucht.

„Ich habe echt noch nie so viele Bullen auf einem Haufen gesehen wie hier in Garmisch", sagt Patrick und schüttelt den Kopf. Zur Hauptkundgebung der G7-Demonstranten hat sich der 38-Jährige Garmischer eine kleine Brotzeit von Zuhause mitgebracht. Am Versammlungsplatz, im Schatten eines Baumes sitzend, beobachtet er zusammen mit seinen Freunden die Szenerie.

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Auch Patrick geht auf die Straße, um zu demonstrieren. „Rein aus Solidarität", sagt er und wischt sich mit dem Handrücken den Mund ab. In Garmisch hat Patrick seit mehreren Jahren ein kleines Tattoo-Studio. Während der Demos bleibt auch sein Laden geschlossen. Nicht aus Angst vor möglichen Ausschreitungen, sondern weil er sich selbst ein Bild vom G-7 Spektakel machen will. In Garmisch haben zahlreiche Bürger aus Furcht vor Krawallen ihre Geschäfte verbarrikadiert.

Auch sein neben ihm sitzender Buddy Philipp, der in Garmisch eine Grafikagentur hat, findet den Polizeiaufmarsch ziemlich affig. „Es wäre mal interessant zu wissen, was in den Köpfen der Polizisten so vorgeht. Ich glaube nicht, dass die so Bock auf die Demo hier haben. Schau dir die Visagen doch nur mal an", amüsiert er sich und deutet auf einen komplett durchgeschwitzten USK-Beamten.

Auch der von überall her angereiste Medienzirkus ist beeindruckend. Manche Journalisten sind aufgerödelt wie in einem Krisengebiet. Patrick muss lachen, als er einen Reporter in Militärhose, Funktionsweste und Schutzhelm sieht. Die massive Polizeipräsenz und die erdrückende Schwere der ununterbrochenen Beobachtung gehen aber auch ihm ziemlich auf die Nerven. „Ich bekomme inzwischen Anrufe von Freunden und die fragen mich, ob alles in Ordnung sei—weil die Medien von ,bürgerkriegsähnlichen Zuständen' sprechen. Und ich lieg im Garten in der Sonne und trinke Bier. Echt Lächerlich!"

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Auch die 25-Jährige Ozzy findet die gesamte Situation in ihrem Heimatort albern. „Ich bin schon seit Stunden auf der Suche nach einem Bankomaten der noch Geld ausspuckt. Die Geldkassetten wurden am Freitag geleert. Wenn ich mir am Abend einen Snack holen will, muss ich mit Karte zahlen", empört sie sich. Ozzy ist hochschwanger und erwartet jeden Tag ihr Kind. Zur Demo lässt sie sich ihren Babybauch von Patrick bunt anmalen.

„Es geht um Nachhaltigkeit und Liebe. Mein Bauch ist wohl die friedlichste Werbefläche, die es geben kann", sagt die Garmischerin. Als Aktivistin sieht sie sich trotzdem nicht. „Es geht mir ums Prinzip. Demokratie bedeutet, dass das Volk die Stimme hat. Ich habe aber nicht den Eindruck, dass ich noch sonderlich viel zu melden habe. Dieses Recht will ich mir wieder zurückholen."

Um kurz vor 15 Uhr setzt sich der Demonstrationszug aus knapp 8.000 Demonstranten in Bewegung. Mit den üblichen Parolen wie „A-Anti-Anticapitalista!", „Kampf dem Kapitalismus" und „Fuck TTIP" marschiert der Zug durch die Garmischer City.

Auf den Balkonen und in den Vorgärten der Wohnhäuser haben sich zahlreiche Schaulustige versammelt. Es herrscht die reinste Volksfeststimmung—vielleicht, weil endlich mal was los ist in der Stadt. Die Knüppelbrigade des USK eskortiert den Demo-Zug auf beiden Seiten. Immer brav im Gänsemarsch. Auf einen Demonstranten kommen ungefähr drei Polizisten. Paranoid beschreibt das Aufgebot der Staatsdiener wohl am besten. „Für die Polizei ist das hier doch eine Win-Win Situation: Wenn nichts passiert, dann heißt es im Nachhinein, dass das an der massiven Präsenz der Polizei gelegen hat. Wenn es tatsächlich zu Ausschreitungen kommen sollte, dann wird das Großaufgebot auch wieder legitimisiert", raunzt Patrick.

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Ursprünglich hatte er vor, mit seiner Hardcore-Punk Band NoOpinion ein paar Spontan-Gigs in der Stadt zu veranstalten. „Noch besser wäre es aber, im feinsten Trachtler-Zwirn zu demonstrieren. So richtig mit Janker und Gamsbart. DAS wäre wirklich Punk", witzelt er. Patricks Kumpels müssen lachen und nicken bestätigend. Obwohl sie Einheimische sind, werden auch sie auf Schritt und Tritt von der Polizei beobachtet. Besonders beliebt sind Ausweiskontrollen.

„Mit Tracht hat man hier echt einen Freifahrtschein. Da wirst auch nicht kontrolliert. Da kannst du dir in die Hosen schiffen und auf den Gehsteig kotzen und dann heißt es nur: Mei, des is hoid so bei uns. Sowas ist dann Brauchtum. Aber die Demonstranten im Protestcamp sind per se alle Grattler. Da wird dann alles über einen Kamm geschoren," sagt Patrick und zündet sich eine Zigarette an.

Gegen 16 Uhr liefert sich der vordere Teil des Demo-Zugs eine kleine Rangelei mit der Polizei. Die schwarze Garde aus Bayern zeigt sich von ihrer besten Seite und unterbindet mit Pfefferspray jede weitere Provokation. Große Empörung bei den Demonstranten. Ein Aktivist, der in seiner Leinenkleidung und seiner Rastafrisur irgendwie jedes Klischee über einen Demonstranten bestätigt, verkündet über ein Megaphon, dass er „das jetzt nicht ok findet."

Gegen 18 Uhr löst sich die Demonstration ohne großes Tra-Ra auf. Auch Patrick, Philipp und Ozzy machen sich auf den Heimweg. Am Abend wollen sie sich noch zusammen das Champions-League Spiel ansehen.

Die Großdemo, vor der besonders die Polizei wahnsinnige Angst zu haben schien, ist vorbei. Keine brennenden Autos, keine Schwerverletzten, dafür Ferienlager-Stimmung, Totalüberwachung und Helikopter-Wahnsinn. Am frühen Abend fängt es an zu regnen. Während ein Großteil der Polizisten im Regen ausharren muss, flüchtet sich ein Teil der Demonstranten in den nahe gelegenen Burger King. Bei heißem Kaffee und Veggie-Burger macht der Kampf gegen den Kapitalismus ausnahmsweise mal Pause.

Patrick, Philipp und Ozzy schlendern durch die plötzlich leergefegte Stadt. Auf die nächste Großveranstaltung freuen sie sich schon jetzt: Die alljährlichen Garmischer Festwochen, die dieses Jahr Ende Juli stattfinden werden. Und mit breitem Grinsen fügt Patrick hinzu. „Ich bin mal gespannt, ob es dann auch wieder so friedlich bleiben wird."