Menschen

Ich habe eine Jacke gebaut, die Menschen von mir fernhält

Aber macht sie mein Leben und meinen Weg zur Arbeit wirklich besser? Ein Selbstversuch.
Simon Doherty
London, GB
Der Autor in seiner Abstandsjacke
Alle Fotos: Josh Eustace

Im Januar stellte eine britische Hotelkette einen "Personal Space Optimiser" vor. Eine aufblasbare Jacke, die London-Touristen in Menschenmengen ausreichend Platz verschaffen soll. Natürlich war das nur eine PR-Aktion, um für Hotelzimmer zu werben. Dennoch erschien mir die Jacke mit ihrer knapp 50 Zentimeter dicken "Schutzzone" wie ein nützliches Gadget. Ob ich damit wirklich dafür sorgen kann, dass mir die Leute in der Öffentlichkeit nicht mehr unnötig auf die Pelle rücken?

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Leider wollte mir die PR-Agentur die Jacke nicht ausleihen. Also mache ich mich selbst ans Werk und baue mir einfach ein Outfit mit der gleichen Funktion. Meine Materialien: Holz, Kabelbinder und längliches Isoliermaterial für Rohre.

Als ich mit meinem neuen Outfit zum ersten Mal in die U-Bahn steige, erkläre ich allen Leuten in meinem Waggon ganz laut das Konzept meiner Jacke. Einige schauen, andere kichern, den meisten ist es vollkommen egal. Ein paar Fotos von mir werden trotzdem gemacht.

Der Autor mit seiner Abstandsjacke in der U-Bahn

Nur drei Frauen sprechen mich direkt an. Sie erzählen mir, dass auch ihnen schon mal jemand viel zu nahe gekommen sei. Dann fragen sie aber auch: "Läufst du mit dieser Jacke nicht ebenfalls Gefahr, anderen Menschen zu bedrängen?" Mir fällt kein überzeugendes Gegenargument ein.

Als ich an der nächste U-Bahn-Station aussteige, sagt mir eine Frau, dass meine Jacke der Wahnsinn sei. Selbst tragen würde sie sie trotzdem nicht. Vollkommen verständlich, das Teil sieht ja auch ziemlich dumm aus.

Der Autor mit seiner Abstandsjacke auf der Carnaby Street

Mein nächster Halt ist die belebte Einkaufsstraße Carnaby Street, wo ich dank meines Outfits viel Aufmerksamkeit erhalte – und, wie die Damen aus der U-Bahn bereits vermutet haben, anderen Menschen viel zu nahe komme.

Entlang der Straße hat sich eine lange Warteschlange gebildet, die sich aber plötzlich in einen Tumult verwandelt. Und ich bin mittendrin. Irgendein Mensch, der sehr berühmt sein muss, läuft unter dem ohrenbetäubendem Geschrei seiner Fans durch die Menge.

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Der Autor mit seiner Abstandsjacke in einer Menschenmenge

"Wer ist denn der Typ?", fragt jemand, während das Geschrei einen Höhepunkt erreicht. Daraufhin bittet mich ein breitgebauter Security-Mitarbeiter höflich, aber bestimmt, zu gehen. Vielleicht macht ihm mein Avantgarde-Look Angst?

Später erfahre ich, dass der Grund für den Tumult eine Vloggerin namens Gabi DeMartino war. Nachdem 3.000 Menschen zu einem Meet and Greet in einem nahegelegenen Kosmetikladen erschienen waren, lief sie die gesamte Warteschlange entlang, damit alle Anwesenden sie zumindest mal von Nahem sehen konnten.

"Ich liebe und schätze alle Menschen, die heute gekommen sind", schreibt Gabi später bei Instagram. Wie schön, dass sich die Vloggerin über meine Anwesenheit gefreut hat.

Der Autor wird von Securitys weggeschickt

Obwohl ich die Idee für meine Jacke direkt von einer PR-Firma geklaut habe, will ich damit ein bisschen Geld machen und sie für zukünftige Kollektionen an eine beliebte Fashion-Marke verkaufen. Leider habe ich schon vor meinem Ausflug etwas voreilig "SUPREME" auf die Jacke geschrieben.

Vor dem Londoner Supreme-Laden wollen mich die Türsteher dann aber nicht an der langen Schlange vorbeilassen. Es scheint ihnen völlig egal zu sein, dass ihre Chefs meine Jacke sehen und sie dann abmahnen könnten, weil sie eine derart grandiose Innovation, die sich bestimmt gut verkaufen würde, ignoriert haben. Na ja, selbst schuld.

Der Autor spricht in seiner Abstandsjacke mit Polizisten

Unbeirrt ziehe ich weiter nach Chinatown, wo das chinesische Neujahrsfest gerade in vollem Gange ist. Ich gerate ins Blickfeld einer Gruppe Polizisten. "Was soll das?", fragt mich einer der Beamten. Ich erkläre den Sinn meines Outfits und schlage vor, dass die Londoner Polizei auch solche Jacken tragen könnte, um die Einsätze bequemer und sicherer zu machen.

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"Ihr werdet bestimmt häufig von Betrunkenen angepöbelt", sage ich. Eine Polizistin bestätigt das, zweifelt aber auch daran, dass ihr Chef meine Abstandsjacke bewilligen würde.

Inzwischen hat sich eine richtige Menschentraube um mich gebildet, so als sei ich ein Laib Brot, den man Hunderten Tauben vor die Schnäbel geworfen hat. Weil so viele Leute mich mit ihren Smartphones fotografieren und dabei laut jubeln, kann ich kaum mehr klar denken. In diesem Moment weiß ich, wie sich Gabi DeMartino in der Öffentlichkeit fühlen muss.

Der Autor läuft in seiner Abstandsjacke zur London

Alles in allem hat die Jacke ihren Zweck erfüllt: Während meines Ausflugs ist mir niemand zu nahe gekommen, weil das nicht möglich gewesen wäre, ohne sich die Augen mit Rohr-Isoliermaterial auszustechen. Leider hat mir mein Outfit auch viel unerwünschte Aufmerksamkeit eingebracht. Und ich bin damit ständig in den persönlichen Bereich anderer Leute eingedrungen.

Ist die Welt nun bereit für meine Abstandsjacke? Und macht sie das Leben der Tragenden und der Menschen um sie herum besser? Diese beiden abschließenden Fragen kann ich definitiv beantworten: Nein, das tut sie nicht.

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