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So werden Turbokühe für die deutsche Billigmilchproduktion hochgezüchtet

Eine Dokumentation zeigt in drastischen Bildern, welch unnatürliche Blüte die hocheffizienten Verfahren der deutschen Zuchtindustrie treiben können.
Der mächtige Euter einer geplagten Kuh. Bild: SWR/Verheyen (S2) (Alle Bilder mit freundlicher Genehmigung)

Dieser Beitrag enthält drastische Bilder von Tierleichen.

Industrielle Fleisch- und Milchproduktion bedeutet in den seltensten Fällen saftige Weiden und glückliche Tiere, wie es uns die Verpackungen von Steaks bis Frischkäse zu vermitteln versuchen. Die bittere Realität besteht meist aus überlasteten Ställen wie dem Schweinehochhaus bei Halle, in denen das Mastvieh seinem traurigen Ende entgegen sieht.

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Gestern Abend zeigte die ARD im Report Mainz eine Dokumentation über das Leben und Sterben der deutschen Turbokühe, die mit drastischen Bildern die extremen Nebenerscheinungen der industriellen Massenproduktion zeigt. Die Reporter recherchierten in Ställen, Schlachthöfen und auf Schauen und stellten nun die Antworten auf ihre Frage nach dem „Preis für die billige Milch" in einem knapp halbstündigen Video vor.

Die Dokumentation zeigt dabei Bilder, die Konsumenten von Milch selten zu Gesicht bekommen, und die nur schwer zu verdauen sind. Ohne den in Deutschland weit verbreiteten Durst nach billiger Milch und billigen Lebensmitteln, wäre aber der Druck auf eine effiziente Produktion, die auch zu solchen Ausfällen führt, deutlich geringer.

Deutschland ist bekannt für seine prächtigen Almwiesen, die Allgäuer Kühle mit den Glocken um den Hals und die schwarzbunt Gefleckten aus dem Norden. Auf Schauen werden die Stars unter ihnen präsentiert und prämiert. Sie sind hochgelobt und hochgezüchtet. Wie hier auf der Holstein-Schau sind es leistungsstarke Kühe mit mächtigen Eutern—und die Schönste von ihnen wird im Rahmen der Veranstaltung zur Miss Germany gekürt:

10.000 Liter Milch produziert eine dieser Superkühe im Jahr, aufgepäppelt mit Kraftfutter und züchterisch so verändert, dass die Menge ihrer Milch in den letzten Jahren permanent gestiegen ist. Die gesamte Dokumentation geht dabei auch der Frage nach, wie der Alltag deutscher Milchkühe jenseits dieser besonders gesunden Prachtexemplare aussieht. Das Schicksal des Viehs, das nicht auf Schauen im Hochglanz vorgeführt werden, sieht nämlich noch einmal anders aus.

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Seit 1960 hat sich die produzierte Milchmenge mehr als verdoppelt, doch gleichzeitig treten zunehmend Erkrankungen der Tiere auf. Bauern ziehen immer wieder tote Tiere aus den Ställen, Tierärzte sprechen von „Qualzucht".

Die Tiere werden nur durchschnittlich nur noch 5,5 Jahre alt und überleben gerade einmal zwei Geburten. Dabei kommt es durchaus nicht selten vor, dass selbst trächtige Tiere beim Schlachter landen.

Nachdem man die Kühe mit einem Bolzenschussgerät betäubt, werden sie durch Ausbluten getötet. Dabei ersticken die Kälber in der Gebärmutter des Muttertiers—ein Prozess, der bis zu 20 Minuten dauern kann.

Die toten Kälber werden erst beim Aufschneiden der Gebärmutter entdeckt. Bild: SWR, Report Mainz

Laut den Journalisten sterben auf diese Weise tagtäglich ungeborene Kälber in den Schlachthöfen. Oft werden die Mutterkühe auch deswegen zum Schlachter geführt, weil es sich nicht lohnt, für eine schwer kranke, trächtige Kuh extra den Tierarzt herbeizurufen. Die Politik weiß darüber Bescheid. Das Verfahren ist nicht illegal, aber ethisch ist es genauso wenig .

Tieraktivisten veröffentlichen heimlich gedrehte Aufnahmen aus dem Schweinehochhaus

Nachdem die ARD-Reporter den Bundeslandwirtschaftsminister, Christian Schmidt von der CDU, mit diesem Thema konfrontierten, formulierte er das klare Ziel, diese Zustände zu unterbinden. Auf die Frage, mit welcher Zeitspanne wohl zu rechnen sei, antwortete er mit einem interpretationswürdigen „so schnell wie möglich."

Mit den Firmen, die die Milch produzieren, haben die Journalisten für ihre Dokumentation nicht gesprochen. Klar ist allerdings, dass der enorme Preisdruck auf dem Lebensmittelmarkt die Produzenten dazu zwingt, ihre Zucht und Tierhaltung streng nach Kriterien der Effizienz zu organisieren.

Nachdem die Ställe und Tiere an ihre Belastungsgrenzen stoßen, scheint sich nun langsam etwas zu regen. Hoffentlich bleibt es nicht bei hilflosen Landwirten und schlichten Versprechungen von Politikern.

Die ganze Dokumentation könnt ihr in der Mediathek der ARD anschauen.