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Der Tod von oben

Die Video-Dokumentation ‚Wounds of Waziristan‘ zeigt den Drohnenkrieg in Pakistan aus der Sicht derjenigen, die unter ihm leben müssen.

Eine Motherboard Premiere: Eine Dokumentation von Madiha Tahir

Der Drohnenkrieg ist undurchsichtig. Von einem geheimen Ort im amerikanischen Westen aus werden die Predator und Reaper Drohnen gesteuert. Aus ihren Sesseln lassen die Piloten die Drohnen über Afghanistan, dem Jemen und Pakistan in unsichtbaren Höhen fliegen, damit sie von dort mit lasergezielter ‚chirurgischer‘ Genauigkeit die Befehle des CIAs zum Ausschalten sogenannter  „wertvoller Ziele“ erledigen. Aber wegen der unbekannten Landepunkte der höllischen Geschosse und weil das Programm geheim durchgeführt wird, ist es schwierig die Genauigkeit und die anhaltenden Effizienz tatsächlich nachzuprüfen.

Jahrelang haben offizielle US Beamte die Anzahl der getöteten Zivilisten runtergespielt, sogar nachdem unabhängige Berichte grobe Schätzungen lieferten. Der letzte beunruhigende Bericht kam von den Vereinten Nationen und Amnesty International: 58 tote Zivilisten im Jemen und bis zu 900 in Pakistan. In einer Rede im Mai brach Präsident Obama endlich das Schweigen über die Drohnen und erkannte an, dass Zivilisten getötet wurden - er sagte nicht wie viele - und versprach insgesamt mehr Transparenz im Drohnen-Programm. „Diese Tötungen,“ berichtete Obama aus der Sicht eine Politikers, „werden uns den Rest unseres Lebens verfolgen.“

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Für die Journalisten Madiha Tahir sind diese Nummern wichtig, aber sie sind nicht die ganze Geschichte. Ihre Dokumentation „Wounds of Waziristan," zeigt Interviews mit Menschen, die im südlichen Teil der an Afghanistan grenzenden Stammesgebiete unter pakistinischer Bundesverwaltung (Federally Administered Tribal Areas), unter den Augen der Drohnen und mit den Folge ihre Zerstörung leben müssen.

Der Film argumentiert gegen das typische Kalkül, dass die Drohnen-Debatte in den USA sonst antreibt. Tahir, die zwischen Pakistan und den USA aufwuchs, erklärt, dass es bei Drohnenangriffen nicht nur um die Anzahl der Toten geht, und auch nicht nur um die ethischen Streitigkeiten, die aus dem Konzept eines „gerechten Krieges“  hervorgehen. Die Effekte, die der Drohnenkrieg auslöst, haben genauso viel damit zu tun, wie diese menschlichen Verluste die Gemeinschaften auseinander reißen, und die Lebenden verfolgen.

„Weil Drohnen in einer sicheren Distanz sind, gibt ein ein Gefühl von Ungewissheit, ein Gefühl, dass es nicht zu kontrollieren ist,“ so beschreibt Tahir den Standpunkt der Menschen, die in Waziristan leben. Verfolgt vom Vermächtnis der britischem Kolonisation und dessen Gesetze, die es hinterlassen hat, wird dieser Teil der Stammesgebiete nun mit der brutalen Hand des pakistanischen Militärs und allerlei aufständischen Gruppen regiert. Das Schwirren der Drohnen, manchmal sieben oder acht Mal am Tag, signalisiert eine andere Art einer unbestimmten Macht. „Ob es wahr ist oder nicht, bei Militanten haben die Menschen das Gefühl eines gewissen Grades an Kotolle. Man kann verhandeln. Es gibt Ursachen und Effekte. Aber das gibt es nicht mit Drohnen. Es ist ein intensives Trauma, dass nicht auf den eigentlichen Angriff begrenzt ist.“

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Für die Betreiber der Drohnenprogramme, die mehr als 300 Angriffe in Pakistan seit 2008 in Gang gesetzt haben, hat das politische Vakuum der Stammesgebiete ein spezielles Kalkül im „War on Terror“ angespornt. Wie die New York Times letztes Jahr berichtete, hat die US-Regierung alle durch Drohnen getöteten Männer im Militäralter als ‚Militante‘ gezählt, welches am Ende natürlich ein verdrehtes Bild über die Fakten zu den Toten gibt.

Die Obama Administrationen übt bevorzugt sogenannte ‚Signatur Angriffe‘ aus; das sind Drohnenangriffe, die aufgrund der Analyse der Lebensweise ausgeführt werden, denn auffälliges Verhalten ist genug Rechtfertigung für einen Angriff. Und das sogenannte Doppelklick Manöver, ein zweiter Anschlag, der dem ersten folgt, soll dann die töten, die rauskommen und die anderen Körper zu retten.

„Wenn ein Angriff ausgeführt wird, behaupten die Medien genau zu wissen, wie viele Militante getötet wurden,“ sagte Noor Behram, ein Journalist in den Stammesgebieten, der die Verluste von Drohnenangriffe seit Jahren fotografiert. „Bei solchen Szenarien kann man nur Körperteile finden, also kann man nicht genau sagen, wie viele starben.“

In einem Interview spricht Tahir mit einem Mann aus Süd Waziristan, Karim Khan, dessen Bruder und Sohn bei einem Drohnenangriff ums Leben kamen. „Was ist die Definition von Terrorismus?“ fragen sich beide ratlos. Seine müden Augen leuchten auf.
„Ich denke, dass es keinen größeren Terroristen als Obama oder Bush gibt,“ sagt er. „Die, die unter all ihren Waffen auch Drohnen haben, die uns bombardieren, während wir in unserem zu Hause sind. Es gibt keine keine größeren Terroristen als diese Menschen.“

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Trotz der Geheimhaltung haben die unabhängigen Berichte von Human Rights Watch und Amnesty International inzwischen einiges an Licht auf die geheimen Programme geworfen. Auch die in der Washington Post veröffentlichten ‚geleakten' Diplomaten-Kabeln, in denen die Geschäfte zwischen Islamabad und der US-Regierung detailliert besprochen werden, haben etwas zur Aufklärung beigetragen.

Heute wird eine im Amnesty International Bericht genannte Familie, die von einem Angriff getroffen und verletzt wurde, vor dem Kongress sprechen. Ihrem Anwalt, Shahzad Akbar, der auch im Film auftaucht, wurde allerdings kein Visa gegeben.

In einem separatem Bericht der UN, hat der Berichterstatter zu Menschenrechten und Terrorismusbekämpfung Ben Emmerson, die USA dazu aufgerufen das Programm zu deklassifizieren. Seiner Meinung nach könnte das Drohnenprogramm eventuell ein Verstoß gegen das Internationalen Gesetzes sein könnte - eine Behauptung, der sich viele Beamte und Rechtsgruppen anschließen. Die USA, welche die Rate von Drohnenangriffen verringert hat (inzwischen ist sie auf dem geringsten Stand in fünf Jahren), beharrt aber darauf, dass die Operationen „notwendig, legal und rechtens sind.“

Emmerson schreibt weiter: „Dadurch dass die USA sich hinter geheimen Argumenten verstecken und es ausnutzen, dass es schwierig ist, an Detailinformationen zu bestimmten Angriffen zu kommen, die in einem gesetzlosen, entfernten und unsicheren Stammesgebieten Pakistans stattfinden, tragen die USA zu der Litanei von Gewalt und Missbrauch bei, die von einer Bevölkerung ausgehalten werden muss, die schon von ihrem eigenen Staat vernachlässigt und angegriffen wurden und von al-Qaida, der Taliban und anderen bewaffneten Gruppen schikaniert wurden.“

Berichte, wie jener von der UN können dabei helfen, die Drohnenangriffe greifbarer zu machen, sagt Tahir. Aber tiefe, hartnäckige Wunden bleiben. Es sind Wunden, die schwieriger zu berechnen sind. „Es muss Wege geben über Drohnen zu sprechen, die über das Rechtliche hinausgehen,“ sagt sie. „Was wären das für Wege, die uns einfallen zu realisieren, was es heißt ein Leben unter Drohnenangriffen zu leben? Wie können wir wirklich begreifen, was es bedeutet ‚verfolgt‘ zu sein – wie Präsident Obama es ausdrückt –, von den fatalen Verlusten des Drohnenkrieges?“