Zu Besuch im gallischen Anti-AKW-Dorf im Süden Japans
Alle Bilder: Thomas Damm

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Zu Besuch im gallischen Anti-AKW-Dorf im Süden Japans

Eine kleine Insel wehrt sich seit dreißig Jahren erfolgreich gegen die Atomkraft—obwohl die Pro-AKW-Stimmung in Japan auch fünf Jahre nach Fukushima noch immer ungebrochen ist.

Auf den Tag genau vor fünf Jahren ereignete sich die größte Nuklearkatastrophe der letzten 30 Jahre. Ein verheerendes Erdbeben und ein Tsunami treffen den Nordosten von Honshu, der Hauptinsel Japans, und kosten über 18.000 Menschen das Leben. Es ist der Auftakt für eine weitere Katastrophe: Die Stromversorgung für die Kühlelemente im japanischen Kraftwerk Fukushima bricht zusammen, es kommt zu mehreren Explosionen und in den folgenden Wochen werden ganze Landstriche evakuiert, die noch immer als unbewohnbar gelten.

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Die Folgen der Katastrophe sind bis heute sowohl in der Region als auch weltweit zu spüren. Der Name Fukushima steht seitdem wie auch Tschernobyl als fester Begriff für das bedrohliche Risiko der Atomenergie. In direkter Folge des Nuklearunfalls beschließt die Bundesregierung den beschleunigten Atomausstieg für Deutschland.

Deutlich anders sieht die Situation jedoch in Japan selbst aus, wo der Gedanke an Fortschritt und Technik—und damit auch Atomkraft als Energiequelle—in weiten Teilen des Landes ungebrochen ist. Selbst nach der Kernschmelze von Fukushima formiert sich nur eine vergleichsweise kleine und weitgehend wirkungslose Protestbewegung. Premierminister Shinzō Abe gilt als Atomkraftbefürworter; der erste Reaktor ist im vergangenen Sommer bereits wieder ans Netz gegangen.

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Im Süden Japans jedoch liegt eine kleine Insel, auf der sich seit über drei Jahrzehnten reger Protest gegen die atomare Bedrohung formiert hat: Iwaishima ist ein rund acht Quadratkilometer großes Eiland in der japanischen Seto-See. Nur einige Kilometer vom Festland entfernt, leben die Einwohner hier seit jeher nahezu autonom, vorwiegend vom Fischfang und Reisanbau.

Alle Bilder: Thomas Damm

Die Küste von Iwaishima ist noch heute von Umweltzerstörungen vergleichsweise unberührt und doch hatten die kargen Zukunftsaussichten in den letzten Jahrzehnten dafür gesorgt, dass die junge Bevölkerung zur Arbeit aufs Festland abwanderte. Nur wenige wollten in die Fußstapfen der Eltern treten und mit ihrer Arbeit kaum mehr erwirtschaften, als zum Überleben nötig ist. Zurück blieb eine überalterte Gesellschaft aus Fischern, Bauern und traditionellen Handwerkern, die versuchten, das Leben auf der Insel in Gang zu halten.

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Doch seit 1982 stehen die auf der Insel Verbliebenen vor einer weiteren Bedrohung: Der Stromkonzern Chugoku Electric plant seitdem ein Atomkraftwerk in direkter Nähe. Für Flora und Fauna würden vor allem die notwendigen Landaufschüttungen zu massiven Veränderungen führen. Für den Fischfang in der Region wäre das der Todesstoß. Seitdem kämpfen die Bewohner Iwaishimas für ihre Insel. Und die Unterstützung für ihren Protest aus allen Teilen des Landes scheint die Entwicklung der kleinen Gemeinschaft nachhaltig zu verändern.

Seit über dreißig Jahren versammelt sich die Inselgemeinde jeden Montag an ihrem kleinen Hafen und hat mit teils militantem Protest bis heute nicht nur den Bau des Atomkraftwerks verhindert, sondern auch in anderer Weise neues Leben auf die Insel gebracht. Seit einigen Jahren zieht es Aussteiger aus allen Teilen des Landes nach Iwaishima, um dort fernab der japanischen Großstädte im Einklang mit der Natur zu leben. Inzwischen haben einige Aussteiger bereits Familien fernab des hektischen japanischen Großstadtalltags gegründet.

Die Protestbewegung ist somit nicht nur ein politisches Zeichen, sondern auch eine Lösung gegen die Überalterung der Inselbevölkerung und indirekt eine unerlässliche Stütze, das gesellschaftliche Leben auf Iwaishima in Gang zu halten.

Das Leben auf dem kleine Eiland Iwaishima ist von einem engen sozialen Miteinander geprägt, viele Geschäfte werden per Tauschhandel geregelt, die Insel gilt als weitgehend selbstversorgend.

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Während die autarke Entwicklung und die Anti-AKW-Stimmung auf Iwaishima weiterhin ungebrochen ist, ist auch der Plan von Chugoku Electric noch nicht vollständig abgewendet. Zwar wurden die ersten Bauvorbereitungen der Anlage in unmittelbarer Reaktion auf Fukushima erst einmal gestoppt, ganz vom Tisch ist das Projekt jedoch längst nicht. Und so lange werden auch die Insulaner weiter protestieren. An jedem Montag an ihrem kleinen Hafen.

Thomas Damm hat Iwaishima in den vergangenen Jahren mehrfach besucht. Zusammen mit Aiko Kempen möchte er nun zurückkehren und das Leben und die Proteste auf der Insel in einem Foto- und Buchprojekt dokumentieren. Aktuell versuchen sie, per Crowdfunding die vollständige Finanzierung für ihr Projekt zu organisieren.