Bilder entlarven: Nordkorea photoshoppt Kim Jong-uns Ohren kleiner und schöner
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Bilder entlarven: Nordkorea photoshoppt Kim Jong-uns Ohren kleiner und schöner

Dank moderner Forensik-Tools konnten Forscher dem Regime einen eigenartigen Photoshop-Fetisch nachweisen. Doch was hat der Diktator überhaupt zu verbergen?

Photoshop ist ein wichtiges Instrument in Nordkoreas wohl geöltem Propaganda-Apparat. Schließlich liebt es die totalitäre Diktatur unter der Führung von Kim Jong-un die Welt viele Dinge glauben zu machen, die einfach nicht wahr sind. Dass Nordkorea Raketen-U-Boote besitzt zum Beispiel. Oder einen Haufen Hovercrafts. Auch der ein oder andere glückliche, wohlgenährte Untertan, den uns die nordkoreanischen Staatsmedien auf Fotos präsentieren, ist wohl eher das Produkt einer grottigen Fotoretusche.

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Doch das merkwürdigste Photoshop-Projekt Nordkoreas ist zweifelsohne die fortlaufende digitale Bildbearbeitung von Kim Jong-uns Ohren. Die Lauscher des Diktators rückten kürzlich sogar in den Fokus von Wissenschaftlern, die sich eigentlich mit der Begrenzung von Massenvernichtungswaffen beschäftigen.

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Alles begann mit einem Foto: Dave Schmerler vom James Martin Center for Nonproliferation Studies tweetete kürzlich ein Bild von Kims linken Ohr. Auf dieser Aufnahme kann man eine deutliche Hervorhebung auf Kims Ohrläppchen erkennen, die wir später noch genauer analysieren werden.

Sofort antwortete sein Kollege Jeffrey Lewis, Leiter des East Asia Nonproliferation Program am Middlebury Institute of International Studies in Monterey. Nordkorea habe es sich offenbar zur Gewohnheit gemacht, am Ohr seines Anführers herumzudoktern. Nun waren auch wir neugierig, was es mit den Photoshop-Lauschern von Kim auf sich hat.

Darum baten wir Schmerler und Lewis, uns mehr über Kims retuschierte Ohren zu verraten. Haben sie noch weitere Beispielbilder? Woran kann man erkennen, dass die Bilder manipuliert wurden? Und was möchte Nordkorea damit bezwecken?

So erkennen die Forscher, ob die Bilder bearbeitet wurden

Die Manipulationen an den Bildern aus Nordkorea stellen die Forscher mit Hilfe einer forensischen Software namens Tungstène fest – anhand "mathematischer Spuren in der Bilddatei", wie Lewis es nennt. Tungstène setzt eine Reihe von Filtern ein, die diverse Anomalien in den scheinbar jungfräulichen Bildern zum Vorschein bringen. Einer dieser Filter zeigt z.B. das sogenannte Chrominanzrauschen, auch Farbrauschen genannt, das Anhaltspunkte dafür geben kann, ob ein Bild manipuliert wurde. Mit anderen Filtern können die Forscher geklonte Pixel, Komprimierungen oder die Bildschärfe erkennen. In einigen Fällen können die Experten sogar sehen, ob die Bilder in Photoshop geöffnet und gespeichert wurden.

Auch im Fall von Kims Ohren gibt das Chrominanzrauschen Aufschlüsse: Rund um das Gesicht des Diktators sind "viele rote Farbtöne" zu sehen, die nicht zum Rest seines Körpers passen. Kims Sitznachbar auf dem Foto gibt im Vergleich dazu viel weniger Farbrauschen ab und wurde wahrscheinlich nicht retuschiert.

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Bild: KNS/AFP/Getty Images

Das Bild mit angewandten Tungstène-Filtern. Bild: Dave Schmerler/Jeffrey Lewis

Die nachfolgenden Bilder sind Beispiele von Schmerler und Lewis, die zeigen, wie Kims gesamtes Aussehen oft digital verändert wird.

Bild: STR/AFP/Getty Image

Das Bild mit angewandten Tungstène-Filtern. Bild: Dave Schmerler/Jeffrey Lewis

Bild: STR/AFP/Getty Images

Das Bild mit angewandten Tungstène-Filtern. Bild: Dave Schmerler/Jeffrey Lewis

"Es ist schwer, Ohren zu analysieren, da sie anatomisch so komplex sind", warnt Lewis.

Lewis betont außerdem, dass die Tungstène-Filter als Komplettpaket konzipiert sind, man sich also nicht zu sehr auf einzelne Aspekte fokussieren sollte. Darüberhinaus könnten glänzende Elemente in einem Foto, wie beispielsweise Brillen, ein stärkeres Farbrauschen verursachen. Das müsse man bei der Bildauswertung bedenken.

Die sicherste Methode wäre es, "die Bilder mit allen verfügbaren Filtern zu durchleuchten (…) und nach Übereinstimmungen zu suchen. Wir bezeichnen das als 'Filterkonvergenz'; man sollte sein abschließendes Urteil nicht auf einen einzelnen Filter stützen, sondern nach einer Übereinstimmung in den Ergebnissen suchen", erklärt uns der Entwickler Roger Cozien, der Tungstène 2009 für das französische Verteidigungsministerium entwickelt hat.

Doch auch ohne hochentwickelte forensische Software kann jeder die Pfuscherei an Kims Ohren deutlich erkennen. In einem besonders schlampig retuschierten Foto (siehe unten) ist der Umriss von Kims echtem Ohr noch deutlich zu erkennen. Das Ohr wurde offensichtlich verschlankt und neu geformt – konzentriert euch auf die Hutkrempe des Mannes, der rechts hinter Kim steht.

Bild: KCNA/AFP/Getty Images

Was hat es mit der Beule auf Kims Ohr auf sich?

In Lewis' Tweet ist deutlich zu erkennen, dass sich auf Kims Ohr eine Beule befindet, die ansonsten retuschiert wird. Für ein untrainiertes Auge sieht diese Hervorhebung auf dem Diktator-Ohr so aus wie ein Pickel, auf dem zu viel herumgedrückt wurde. Doch was sagen Dermatologen dazu?

Der Dermatologie-Professor Adam Friedman meint: "Es könnte sich um ein Molluscum contagiosum handeln, auch wenn der Ort dafür ungewöhnlich wäre. Das ist eine Virusinfektion auf der Haut, die hoch ansteckend, aber nicht gefährlich ist."

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Rany Jazayerli, ein Hautarzt aus Chicago, hat sogar gleich zwei mögliche Erklärungen parat: "Ich halte es für wahrscheinlich, dass es sich entweder um eine angeborene Unterminierung oder aber um eine Zyste handelt, die bis tief unter die Haut reicht. Beide Diagnosen würden erklären, warum Kims Beule nicht einfach entfernt wurde. Denn in beiden Fällen würde ein Eingriff wahrscheinlich eine sichtbare Narbe hinterlassen. Möglicherweise zieht er eine kleine Erhebung auf der Haut einer längeren, aber dünnen und flachen Narbe vor."

Beide Mediziner sind sich einig, dass alle möglichen Ursachen für die Beule behandelbar wären. Obwohl Nordkoreas Gesundheitssystem überholt ist und oft auf Sachspenden aus Russland oder China angewiesen ist, verfügt Kim wahrscheinlich über eigene, hochqualifizierte Leibärzte.

Warum möchte Nordkorea nicht, dass jemand Kim Jong-uns Ohren sieht?

Wahrscheinlich wird Kims Ohr auch weiterhin Grund zu Spekulationen geben. Schließlich hat es in Nordkorea längst Tradition, die Krankheiten der eigenen Anführer in der Öffentlichkeit zu zensieren. So hat fast nie jemand das tennisballgroße Geschwulst an Kim Il-sungs Nacken gesehen. Auch nach physischen Anzeichen für Kim Jong-ils Schlaganfall mussten Forscher lange suchen.

Lewis vermutet jedoch, dass ein viel banalerer Grund hinter der Fotoretusche steckt: Eitelkeit. "In den letzten Jahren konnten wir beobachten, dass Kim Jong-uns Ohren anscheinend oft verändert wurden, so wie auch andere Erscheinungsmerkmale. Wir nehmen an, dass es sich lediglich um kosmetische Korrekturen handelt – durch die Veränderungen soll Kim etwas attraktiver aussehen, als er es in Wirklichkeit ist; so wie das auch ein Hochzeitsfotograf machen würde", erklärt Lewis gegenüber Motherboard per E-Mail. "Er mag seine Ohren wohl einfach nicht. So wirkt es zumindest."