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Popkultur

'2018 – Das Quiz' ist das beste Argument gegen die Erhöhung des Rundfunkbeitrags

Deutschlands "erfolgreichster Jahresrückblick" verbindet die schlimmsten Teile von 'Wetten, dass..?' mit langweiligen Internetvideos. Und raubt den teilnehmenden Stars das letzte bisschen Würde.
​Schauspieler Elyas M'Barek balanciert ein Ei
Schauspieler Elyas M'Barek balanciert ein Ei || Foto: NDR | Max Kohr

Donnerstagabend. Deutschland hat sich entweder freigenommen oder blickt dem letzten Arbeitstag des Jahres entgegen, in jedem Fall aber ist 2018 in den Köpfen vieler schon durch. Man kuschelt sich noch ein bisschen tiefer in die Couchdecke, die Oma einem zu Weihnachten geschenkt hat, und ist bereit, die vergangenen zwölf Monate Revue passieren zu lassen. Was waren die großen Aufreger? Wo haben wir mitgefiebert, wo mitgeweint, was hat uns Angst gemacht? Und vielleicht sogar: Welche Themen werden uns auch 2019 noch beschäftigen? Die ARD hat sich diesem Wunsch angenommen – und mit 2018 – Das Quiz einen weiteren Tiefpunkt der öffentlich-rechtlichen Abendunterhaltung geschaffen.

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Wobei "geschaffen" das falsche Wort ist, schließlich impliziert es, dass es sich um einen einmaligen Ausrutscher handeln könnte. Tatsächlich gibt es das Format bereits seit 2008, laut ARD zählt es "längst zur jährlichen Fernseh-Tradition in vielen Familien". Das klingt nach einer ziemlich offensichtlichen Lüge, andererseits wären das Jahr für Jahr fast dreieinhalb Stunden, in denen man sich mit der Verwandtschaft nicht über Politik streiten muss.

Sei es wie es wolle, vier Prominente sollen in klassischen Fragerunden und zunehmend absurder werdenden Wettbewerben unter Beweis stellen, wie gut sie das Weltgeschehen in den letzten zwölf Monaten verfolgt haben. Dieses Jahr sind das Barbara Schöneberger, Günther Jauch, Elyas M’Barek und Jan Josef Liefers. Was die Promi-Gäste eint: Sie alle gehören der Riege von Personen des öffentlichen Lebens an, die niemand so richtig, richtig hasst – etwas, was man über Frank Plasberg, der abseits des Quiz-Formats eine bislang rassistisch und sexistisch geframte Talkshow moderiert, nicht sagen kann.


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Den inhaltlichen Fokus des "erfolgreichsten Jahresrückblicks im deutschen Fernsehen" (O-Ton ARD) hätte aber auch jemand nicht retten können, dessen Sympathielevel sich nicht im Minusbereich befindet. Die großen Ereignisse des Jahres, über die man wirklich ganz unbedingt nochmal reden muss, bestehen für das Erste Deutsche Fernsehen offenkundig primär aus vermeintlich inspirierenden Personality-Storys (Schüler bewirbt sich als Lehrer), irgendwann viral gegangenen Tiervideos (Waschbär klettert Hochhaus hoch) und auf Slapstick-Momente heruntergebrochene Weltpolitik (Trump malt die US-Flagge falsch aus, jemand baut in ein Video vom Treffen zwischen Nord- und Südkorea eine Falltür ein. Haha!). Und das über einen Zeitraum von fast dreieinhalb Stunden.

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2018 oder doch 1958? Egal, das Publikum klatscht Sexismus begeistert weg

Damit das alles nicht zu jugendlich wird, startet die Promirunde direkt zu Beginn mit einem gendertheoretischen Ausflug in die Vergangenheit. Jan Josef Liefers kann es nicht fassen, dass es Männer geben soll, die stricken. Frank Plasberg zeigt sich irritiert davon, dass Barbara Schöneberger die Tatsache anspricht, die einzige Frau in der Runde zu sein. Sorgen machen um die Stimmung im Studio muss er sich allerdings nicht, das Publikum klatscht und lacht jeglichen Sexismus begeistert weg. 2018 oder 1958? Eine Frage, die man sich bei den Öffentlich-Rechtlichen zugegebenermaßen häufiger stellen muss. Wie auch die Frage danach, wieso die wirklich großen Themen des Jahres ganz bewusst ausgespart oder verharmlost werden.

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Jeder Gesichtsausdruck ein eigenes Symbolbild || Foto: NDR | Max Kohr

Klimawandel, politischer Rechtsruck in Deutschland und überhaupt so gut wie überall, Menschenrechtsverletzungen? Scheißt mal drauf. Im Öffentlich-Rechtlichen fliegt man lieber einen Kim Jong-un Doppelgänger aus Melbourne ein und fragt ihn, ob das nicht wahnsinnig schwierig sei, beim stetigen Gewichtszuwachs des nordkoreanischen Diktators mitzuhalten. Was eben so das öffentlich-rechtliche Stammpublikum bewegt, das nur dann noch etwas fühlt, wenn es um Helene Fischer geht. Was uns dann auch direkt zum absurdesten Teil von 2018 – Das Quiz bringt: die "spektakulären Spielrunden".

Die absurden Wettbewerbe zeigen: Menschenwürde ist auch in der ARD eine Illusion

In einer Art Hommage an Wetten, dass..? müssen die Promis nämlich nicht nur Fragen beantworten, sie müssen auch krude Szenarien über sich ergehen lassen, gegen die Tierhoden ausschlürfen im Dschungelcamp plötzlich nicht mehr ganz so entwürdigend wirkt. In engen, grellbunten, bewusst unvorteilhaften Ganzkörperanzügen fahren Schöneberger, M’Barek, Jauch und Liefers gegeneinander Schlitten und versuchen sich an Eiskunstlauf (Stargast: Eiskunstlauf-Olympiasiegerin Katarina Witt). Ein Kinderchor (elementarer Bestandteil jeder öffentlich-rechtlichen Unterhaltungsshow) singt die "Hits des Jahres", zu der die Stars anschließend die passende CD (Willkommen in den 90ern!) raussuchen müssen – wobei es sich schon deswegen nicht um die Hits des Jahres handeln kann, weil weder Bausa noch Bonez MC und RAF Camora dabei sind.

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Ohne jeden Grund werden mehrere Runden Glücksrad gespielt, was weder visuell noch inhaltlich interessant ist. Schauspieler Mario Adorf liest "Märchen" über drei Studiogäste aus einem sehr dicken Buch vor, von denen die Promis anschließend erraten müssen, ob sie den Personen wirklich passiert sind. Was darin gipfelt, dass eine unsicher wirkende Kraftfahrerin von Plasberg dazu genötigt wird, ihren Lieblingssong von Helene Fischer vorzutragen.

Anschließend dürfen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer unter dem kritischen Blick von Topmodel Toni Garrn auch noch mit einem Löffel im Mund ein rohes Ei über einen wackeligen Wasser-Laufsteg balancieren, der aus einer der ersten Staffeln von Germany’s Next Topmodel geklaut ist. Was das mit dem Jahr 2018 zu tun hat? Vielleicht soll die Challenge uns an die generelle Unerträglichkeit des Seins erinnern. Life is pain, nichts bedeutet irgendwas, Menschenwürde ist eine Illusion. Nicht nur in politischen Krisengebieten, auch im Ersten Deutschen Fernsehen.

Ist das noch meta oder schon masochistisch?

Für das finale Spiel müssen die Stars gelbe Regenmäntel anziehen und sich in eine Art Kuckucksuhr mit Thermometer begeben. Wer zu beinahe sadistisch ausgewählt wirkender Volksmusik nach vorne gefahren wird, muss eine Frage beantworten. Ist die Antwort falsch, bekommt er oder sie einen Eimer Wasser über den Kopf gekippt. Wer dreimal falsch liegt, ist raus. Der einzige Lichtblick bleibt selbst in den abstrusesten Situationen Barbara Schöneberger, die sich strahlend in der Tatsache suhlt, ganz genau zu wissen, was sie da gerade für eine Scheiße über sich ergehen lässt.

Ist das noch meta oder schon masochistisch?

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Am Schluss gewinnt Schauspieler Elyas M’Barek, dessen Transformation vom ständig amüsiert wirkenden Charmebolzen zur innerlich toten Randfigur recht gut widerspiegelt, wie man sich als Person vor dem Fernseher während der letzten drei Stunden gefühlt hat.

Da scheint es fast absurd, dass sich ZDF-Intendant Thomas Bellut ausgerechnet diese Woche für eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags stark gemacht hat. "Ohne eine Beitragsanpassung ist das Qualitätsniveau auf keinen Fall zu halten", erklärte er.

Wenn öffentlich-rechtliche Qualität so aussieht wie 2018 – Das Quiz, klingt der Wunsch nach Abschaffung der "Zwangsgebühren" plötzlich gar nicht mehr nach vermeintlich rechter Stammtischparole. Unabhängiger Journalismus, der die Relevanz von Themen nicht an Aufrufzahlen und Vermarktbarkeit festmacht, ist wichtig. Überlange, peinliche Unterhaltungsshows, für die wir außerhalb Deutschlands vollkommen zurecht ausgelacht werden, sind es nicht.

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