FYI.

This story is over 5 years old.

Tech

Neun private Dinge, die Amazon über dich weiß – und mit denen du nicht gerechnet hättest

Über ein paar Dinge aus deinem Leben weiß Amazon wohl besser Bescheid als dein bester Freund. Wir erklären genau, welche Daten der Konzern beim Online-Shopping sammeln darf und was daran gefährlich sein kann.
Amazon-Bote
Bild: Imago | STPP

Sag mal, wo hast du schon überall gewohnt? Wie liberal bist du wirklich? Was für Sexspielzeuge gefallen dir? Und wie reich bist du? Wer über solche Dinge gerne öffentlich spricht, kann auf Amazon bedenkenlos weitershoppen. Alle anderen sollten sich zumindest überlegen, was sie dem Online-Händler beiläufig alles preisgeben.

Denn Amazon kennt dich besser, als du denkst. Selbstverständlich verrätst du Amazon Postadresse und Kreditkartennummer, schließlich kaufst du dort ein und lässt dir Pakete nach Hause schicken. Doch der Konzern kennt nicht nur Daten, die du aktiv preisgibst. Amazons Wissen über dich geht weit über das hinaus, was du einmal direkt dort eingetippt hast. Den meisten wird wohl nicht klar sein, was der Konzern alles über sie weiß.

Anzeige

Natürlich muss Amazon fürs Datensammeln Gründe benennen und die Nutzer informieren – und tut das im legalen Rahmen. Doch für die meisten dürften schon die Formulierungen in der ausführlichen Datenschutzerklärung ein Problem sein. Dass besonders viele den Text durchlesen, ist unwahrscheinlich. Oft verrät der Konzern auch nicht, was genau er mit den Informationen anfängt – daher lässt sich in einigen Fällen nur sagen, was Amazon theoretisch über dich wissen kann.

Um besser zu verstehen, was Amazon nebenbei über dich sammelt, haben wir uns durch Amazons ausführliche Datenschutzerklärung gewühlt – und einen Daten-Experten gefragt, was das Ganze bedeutet und wie gefährlich das sein könnte.

1. Dein Browser-Fingerabdruck

Sobald du die Amazon-Seite in deinem Browser öffnest, verrätst du dem Konzern mit hoher Wahrscheinlichkeit, wer du bist. Auch wenn du dich noch gar nicht mit deinem Amazon-Account eingeloggt oder deinen Namen eingetippt hast; auch wenn du mit dem Handy surfst statt mit dem PC und mit einer anderen IP-Adresse online gehst, auch wenn du ständig deine Cookies löschst. Dein Browser hinterlässt nämlich einen technischen Fingerabdruck, der aus zahlreichen Merkmalen besteht, etwa Browserversion, Betriebssystem, installierte Plugins, eingestellte Zeitzone und so weiter.

Die Anzahl dieser technischen Merkmale ist häufig so hoch, dass du beim Browsen einen einzigartigen Fingerabdruck hinterlässt. Das heißt, selbst wenn du deinen Namen nicht verrätst, kann Amazon dich wiedererkennen. Das Unternehmen schreibt in der Datenschutzerklärung, dass es diese Informationen durchaus sammelt und analysiert. Das ist in etwa so, als würdest du dir in der Stadt zwar eine Kapuze übers Gesicht ziehen, aber dein Pulli hätte ein unverwechselbares, aufgedrucktes Muster.

Anzeige

2. Deine komplette Suchhistorie

Dieses Amazon-Angebot zeigt eine Dinosauerierpuppe für 15.000 Euro.

Auch wenn du diesen riesigen Gartendinosaurier für knapp 15.000 Euro niemals kaufst, darf sich Amazon merken, dass du ihn dir angeschaut hast | Bild: Screenshot | Amazon

Amazon weiß nicht nur, was du dir über die Jahre alles gekauft hast – sondern auch, was du dir nicht gekauft hast: Alle Produkte und Seiten, die du dir jemals angeschaut hast, darf der Konzern speichern und analysieren. Inklusive aller Dinge, die dir dann doch zu teuer oder zu peinlich waren, um auf "Kaufen" zu drücken.

Informatik-Professor Steffen Staab forscht an der Universität Koblenz zu Datenbanken und Informationssystemen. Im Gespräch mit Motherboard vergleicht er Amazon mit einem permanenten Beobachter beim Shoppen: "Will ich, dass jemand Unbekanntes mir ständig über die Schulter schaut, während ich einkaufe? Bei manchen Produkten ist mir das vielleicht egal. Bei anderen Produkte finde ich das nicht so gut, zum Beispiel bei Produkten, die mit meinem Sexleben zu tun haben."

Natürlich kann auch der Mitarbeiter im Sexshop auf der Straße sehen, was du zur Kasse bringst. Er kann aber nicht sehen, wo was du dir alles angeschaut hast, als du durch den Shop spaziert bist. Er macht sich keine Notizen darüber. Er weiß auch nicht, welche anderen Filialen du schon besucht hast oder was du bei einem seiner Kollegen schon mal zur Kasse gebracht hast.

3. Alle Telefonnummern, mit denen du Amazon je angerufen hast

Du musst deine Telefonnummer nicht aktiv in deinem Amazon-Account eintippen, damit der Konzern sie kennt – ein Anruf bei der Hotline genügt. Zu den Dingen, die Amazon speichert und analysiert, gehören nämlich auch: "Telefonnummern, die Sie genutzt haben, um den Kundenservice anzurufen." Du hast den Kundenservice schon mal von der Arbeit aus angerufen? Jetzt kennt Amazon wohl auch diese Nummer.

4. Die Stationen deines Lebens

Aufgewachsen in einem kleinen Dorf, ein Jahr im Ausland, fünf Jahre in einer Universitätsstadt, dann an einem anderen Ort kleben geblieben – das klingt nach einer typischen Biografie zwischen Schulabschluss und Beruf. Und Amazon kann das sehen.

Denn der Konzern speichert offenbar nicht nur die aktuelle Lieferadresse von Kunden, sondern auch die vorangegangenen. "Wenn Sie Informationen aktualisieren, behalten wir gewöhnlich eine Kopie Ihrer ursprünglichen Angaben in unseren Unterlagen", heißt es in der Datenschutzerklärung.

Anzeige

Wer häufig Produkte bei Amazon bestellt, hält den Konzern demnach kontinuierlich auf dem Laufenden über das eigene Leben. Ein Ferienhaus, das du nur im Sommer besuchst? Ein Umzug in ein schickeres Viertel? Amazon kann das theoretisch mitbekommen.

5. Deine Familie und Freunde

Wenn du etwas bei Amazon bestellst, kannst du das Paket auch an eine andere Person schicken, zum Beispiel als Geschenk. Amazon merkt sich, wer die Glücklichen sind, denn der Konzern speichert nach eigenen Angaben Informationen über "Personen, an die Einkäufe versendet wurden".

"Mit diesen Daten lässt sich viel genauer als mit den Cambridge-Analytica-Daten ableiten, was die Vorlieben des Benutzers sind"

Das sagt natürlich noch nichts darüber aus, ob und wie diese Informationen verwendet werden. Klar ist aber, aus diesen Daten lässt sich theoretisch schließen, welche Menschen dir im Leben viel wert sind. Der Konzern dürfte aber wohl kein Interessen daran haben, solche Details über einzelne Nutzer herauszufinden.

6. Dein Persönlichkeitsprofil: Krankheiten, Werte, Vorlieben

Klar, wer auf Amazon nichts weiter tut, als hin und wieder eine neue Zahnbürste zu kaufen, gibt nicht sonderlich viel von sich preis. Wenn du über Amazon aber deine Bücher, Filme, Musik, Geschenke und sonstige Dinge beziehst, lieferst du genug Daten für ein detailliertes Persönlichkeitsprofil. Amazon darf deine "Bestell- und Inhaltsnutzungshistorie" sammeln und analysieren.

"Mit diesen Daten lässt sich viel genauer als mit den Cambridge-Analytica-Daten ableiten, was die Vorlieben des Benutzers sind", sagt Datenexperte Steffen Staab im Gespräch mit Motherboard. Der Skandal um Cambridge Analytica hatte den Facebook-Konzern nach der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten in eine riesige PR-Krise gestürzt.

Anzeige

In den Cambridge-Analytica-Daten stand etwa, wofür Leute ein Facebook-Like hinterlassen haben. Auf dieser Grundlage wurden im US-Wahlkampf politische Werbekampagnen ausgespielt. Amazon kennt zwar nicht deine Likes, weiß aber, wofür du Geld ausgibst und was du besitzt. Das kann durchaus aussagekräftiger sein.

Hörst du lieber Schlager oder Trap, suchst du nach Bierhelmen oder Krawattennadeln, verschenkst du Dildos oder Stützstrümpfe, liest du einen Babyratgeber oder ein Buch über Burnout? Auf Grundlage des Kaufverhaltens lassen sich auf Wahrscheinlichkeiten beruhende Schlüsse ziehen, ob du politisch eher liberal oder konservativ bist, welche Krankheiten oder sexuellen Vorlieben du hast, womit du dich im Leben gerade beschäftigst. Mit Amazon Fresh steigt der Konzern sogar gerade in den Lebensmittelhandel ein – damit ließe sich sogar analysieren, wie gesund du dich ernährst.

7. Wie reich du bist

Amazon hat ein großes Interesse daran, herauszufinden, wie viel Geld du besitzt und wann du bereit bist, das auch auszugeben. Dinge zu verkaufen ist schließlich das Hauptgeschäft von Amazon. Außerdem will der Konzern Betrüger erkennen, die ihre Einkäufe nicht bezahlen wollen. Je nachdem wie zuverlässig du bezahlst, kann dir Amazon auch andere Zahlungsmethoden anbieten.

Der Konzern merkt sich aber nicht nur, wie viel Geld du bereits durch deine Einkäufe verbraten hast und wie schnell du deine Rechnungen begleichst. Amazon fragt auch Kreditauskunfteien nach deiner Finanzkraft – die bekannteste Auskunftei ist beispielsweise die Schufa. Außerdem behält sich der Konzern vor, eigene Scoring-Verfahren einzusetzen. Ein Score ist so etwas wie eine geheime Schulnote, die verrät, wie flüssig du bist.

Anzeige

Auf Anfrage von Motherboard möchte Amazon nicht näher verraten, welche Informationen der Konzern aus welchen Kreditauskunfteien erhält. Auch nicht, wie dieser Amazon-Score funktioniert und wie viele deutsche Kunden einen solchen Score haben.

8. Jede deiner Mausbewegungen

Wenn du beim Shoppen gerne wild herum scrollst, bekommt Amazon das mit. Oder wenn du mit dem Mauszeiger gelangweilt von Schaltfläche zu Schaltfläche kreist. Der Konzern sammelt und analysiert nämlich jeden Klick und jede Interaktion auf seinen Seiten.

Es ist zwar eher unwahrscheinlich, dass Amazon durch deine Mausbewegungen etwas Verblüffendes über dich als Person erfährt. Der Konzern möchte dadurch wohl vor allem herausfinden, wo du deine Aufmerksamkeit hinlenkst und ob Werbeanzeigen, Produktempfehlungen und so weiter gut auf der Seite platziert sind. Mit diesen und anderen Daten kann Amazon seine Websites perfektionieren, um mehr zu verkaufen.

9. Welche Handys, Tablets und Laptops du noch besitzt

Amazon weiß, welche Geräte du dir geleistet hast – es genügt, wenn du einmal mit ihnen bei Amazon geshoppt hast. Du hast zwei Handys, ein Tablet und drei Computer zuhause und verwendest sie alle? Okay! Amazon darf sammeln und analysieren, mit welchen Geräten du wann und wie lange auf der Plattform unterwegs bist.

"Amazon kann die Bevölkerung erforschen, ohne eine Befragung zu machen"

Allein das für Amazon automatisch erkennbare Betriebssystem verrät schon viel darüber, um welches Gerät es sich handelt: hinter iOS 11 steckt wohl ein teures iPhone, Android 4.4 klingt nach einem eher günstigen, alten Handy; Linux läuft vermutlich auf einem Nerd-PC.

Anzeige

Was macht Amazon mit all den Daten?

"Es gehört nicht zu unserem Geschäft, die persönlichen Informationen unserer Kunden zu verkaufen", das macht Amazon in seiner Datenschutzerklärung deutlich. Stattdessen empfiehlt der Konzern "Produkte, Dienstleistungen und Werbeangebote". Der Wunsch dahinter ist wohl, dir Produkte zu empfehlen, bei denen du denkst: "Nice, das kaufe ich mir".

Klar ist: Amazon hat wohl kein Interesse daran, dich als Person auszuspähen oder gar bloßzustellen. Im Allgemeinen geht es darum, Betrugsversuche zu erkennen und dir maßgeschneiderte Produkte zu präsentieren, um mehr Geld zu verdienen. Klar ist aber auch, je mehr Daten der Konzern sammelt, desto besser kann er Produkte vorschlagen und verkaufen, desto mehr festigt er sein Monopol.

Für datenbasierte, politische Kampagnen wie beim Cambridge-Analytica-Skandal ist Amazon deutlich schlechter geeignet als Facebook. Bei Facebook teilen Nutzer aktuelle Nachrichten, äußern ihre Meinung, diskutieren und streiten. Bei Amazon gibt es dafür keine Plattform.

Screenshots aus der Datenschutzerklärung von Amazon

Hier schreibt Amazon, dass sich die Datenschutzerklärung "ständig" ändere. Vielleicht werden bei einer dieser "ständigen" Änderungen auch die zwei Tippfehler im Satz korrigiert | Foto: Screenshot | amazon.de

Eine Hintertür lässt sich der Konzern aber offen, versteckt in der Datenschutzerklärung: "Unser Geschäft ändert sich ständig und genauso ändert sich diese Datenschutzerklärung. Wir empfehlen, regelmäßig unsere Website besuchen und Änderungen zur Kenntnis nehmen."

Wie gefährlich ist das Wissen von Amazon?

Das Problem beim Datenschutz ist: Man kann extrem schwer vorhersagen, ob und wie Daten in der Zukunft missbraucht werden könnten. Eines jedenfalls steht fest: Auf den Servern der großen Tech-Konzerne wächst ein Datenschatz mit detaillierten Persönlichkeitsprofilen von einem großen Teil der Menschheit.

Das bestätigt auch Datenexperte Steffen Staab im Gespräch mit Motherboard: "Persönlichkeitsstrukturen sind relativ stabil über eine sehr lange Lebensdauer." Es sei relativ selten, dass eine sehr liberale Person erzkonservativ werde oder umgekehrt. Demnach könnten selbst Daten, die heute gesammelt werden, auch in zehn Jahren noch aussagekräftig sein. "Amazon kann die Bevölkerung erforschen, ohne eine Befragung zu machen", so Staab.

Anzeige

Dabei ist es zunächst nicht so wichtig, ob ein Datensammler sich in bestimmten Einzelfällen irrt und dich beispielsweise für einen 60-jährigen Mann hält, obwohl du eigentlich eine 20-jährige Frau bist. Entscheidend ist, dass der Konzern für Tausende oder Millionen von Menschen Aussagen treffen kann, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zutreffen. Der Amazon-Konzern weiß also nicht alles über dich, aber er kann mit seinem Wissen viele Aussagen treffen, von denen viele wahrscheinlich auf dich persönlich zutreffen.

Es gibt keine Garantie, dass Tech-Riesen wie Facebook, Amazon, Google oder Tencent wirklich niemals ihre Datenschätze zusammenführen und dadurch ihr Wissen potenzieren – auch wenn das derzeit sehr unrealistisch wäre und gegen bestehende Datenschutzgesetze verstieße. Technisch möglich ist es aber. Es gibt auch keine Garantie, dass Daten in der Zukunft nicht systematisch missbraucht werden, beispielsweise um gezielt politische Propaganda zu verbreiten – oder um Menschen zu überwachen und zu kontrollieren.


Ebenfalls auf Motherboard: Totalüberwachung für 150 Euro


So entsteht gerade in China ein staatliches System, das Bürgerinnen und Bürger nach ihrer Online-Aktivität bewerten soll: je höher der individuelle Score, desto besser. Sobald Menschen mit einem niedrigen Score sozial benachteiligt werden, könnten ganz neue Formen der Diskriminierung und Überwachung entstehen.

Solche Szenarien sind derzeit aber noch sehr spekulativ, und das alltägliche Datensammeln von Amazon ist wohl eher dreist als bedrohlich. Letztlich macht Amazon den Einkauf durch das Datensammeln tatsächlich persönlicher und angenehmer – das Tracking gehört demnach zum Service-Angebot von Amazon. Es muss jeder selbst entscheiden, ob sich das lohnt und wie viel Tracking er oder sie in Kauf nimmt, um bequem auf Amazon zu shoppen.

Folgt_ Sebastian auf Twitter und Motherboard auf Facebook , Instagram und Snapchat_