Film

'Pokémon: Meisterdetektiv Pikachu' ist der perfekte Film für Oldschool-Fans

Wären da nicht diese nervigen Menschen.
Screenshot_Meisterdetektiv Pikachu
Still aus dem neuen Pokémon-Film: Imago Images l Prod.DB

Es ist Anfang der 2000er, mein Vater nimmt mich mit zu einem Eishockeyspiel der Kölner Haie. Die Stimmung im Stadion kocht, Fans jubeln ihren Helden zu. Aber mich interessieren weder die breitschultrigen Männer auf dem Eis noch der Puck, dem sie hinterherjagen. Meine ganze Aufmerksamkeit gehört einem anderen Spiel und meinen ganz eigenen Helden. Ich habe meinen Gameboy dabei und zocke die rote Edition von Pokémon. Mein Vater schmunzelt und wundert sich. Aber ich fange und trainiere lieber Pokémon in der Welt von Kanto, damit ich mich mit den besten Arenaleitern der Insel messen und Pokéchamp werden kann. Viel mehr will ich als Kind nicht.

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Knapp 15 Jahre später. Ich sitze in einem Kinosessel in Berlin und dieses Mal hat das Event meine volle Aufmerksamkeit: Pokémon: Meisterdetektiv Pikachu. Ich kann den ersten Dialogen kaum folgen, denn ich komm immer noch nicht darauf klar, dass ich das Logo meines Lieblings-Franchise auf einer Leinwand sehe. Das gab es schon oft. Aber dieses Mal in einem Blockbuster, mit echten Schauspielern, in 3-D!

Der erste Trailer sorgte schon für einen großen Hype in der Pokémon-Community. Vorfreude mischt sich mit Zweifeln an der finalen Umsetzung. Niemand geringeres als Ryan Reynolds spricht die Stimme von Pikachu. Seine Synchronkünste wurden schon bei den Deadpool-Filmen abgefeiert. Sofort kamen die ersten Spekulationen und Witze, dass Deadpool im nächsten Marvel-Film "Pika!" sagt oder sich Pikachu als Deadpool ausgibt. Ein erster Hinweis darauf, dass sich Meisterdetektiv Pikachu nicht nur an Kinder richtet, sondern auch ein erwachsenes Publikum ansprechen soll. Erwachsene, die wie ich auch mal Kinder waren.

Als ich zum ersten Mal den Star des Filmes sehe, muss ich breit grinsen. In diesem Moment will ich nichts anderes, als den flauschigen Bauch von Pikachu zu streicheln. Wer beim Anblick dieser süßen Pokémon-Maus nicht dahin schmilzt, muss ein Herz aus Eis haben. Auch die Umsetzungen von meinen anderen Lieblingen, wie Pummeluff und Evoli, entlocken mir mehr als einmal ein verliebtes "Awwww". Aber der Film lebt ganz klar von seinem größten Maskottchen: Detektiv Pikachu ist mir so sympathisch, dass ich mir gut vorstellen kann, immerzu mit ihm rumzuhängen. Ich stelle mir vor, es auf meiner Schulter zu tragen, während ich durch die Straßen schlendere. Oder wie ich mit ihm zusammen auf der Couch liege und Serien gucke. Ich bin fast ein wenig neidisch auf den Protagonisten Tim, der das Glück hat, ein Pikachu als Freund zu haben.

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Es sind die witzigen Sprüche von Pikachu, die mich und den Rest des Publikums zum Lachen bringen. Ein wenig flach ist der Humor schon. Aber er ist entspannt und unkompliziert, und deshalb unterhält er mich, auch weil ich nicht über Pointen nachdenken muss. Vielmehr ist der Film auch nicht: Meisterdetektiv Pickachu ist ein unterhaltsamer, kurzweiliger und schnelllebiger Blockbuster, vollgestopft mit der Liebe für Pokémon.


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Und darum geht es: Tim, 21, hat seinen Kindheitstraum Meistertrainer zu werden aufgegeben. Dafür hat er jetzt einen Job bei einer Versicherung, lebt ein eintöniges Büroleben und redet sich ein, dass er das mag. Durch meine 3-D-Brille sehe ich einen durchschnittlichen Jungen von nebenan. Doch dann wird sein Leben vom Schicksal durchschnitten: Sein Vater, Top-Detektiv Harry Goodman, soll bei einem Autounfall gestorben sein.

Tim setzt sich in den Zug und fährt in die Metropole Ryme City, um die Wohnung seines Vaters leer zu räumen. Dort erwartet ihn der ehemalige Partner seines Vaters: ein kaffeesüchtiges Pikachu, das seine Erinnerung verloren hat. Es trägt die Detektiv-Mütze von Tims Vater und haut im Minutentakt kecke Sprüche raus. Auf mystische Weise können die beiden miteinander reden. Komisch, denken sie: Menschen und Pokémon können normalerweise nicht miteinander sprechen. Aber was soll's, für Logik ist in diesem Film nicht viel Platz, es muss weitergehen, also finden sie einen Hinweis, den Tims Vater auf seinem Schreibtisch zurückgelassen hat: eine kleine Glasampulle, gefüllt mit lilafarbenem Nebel: das Gas "R". Alle Pokémon, die R einatmen, verlieren den Verstand und werden extrem aggressiv, fast wie tollwütige Tiere. Hier beginnt das Abenteuer. Auf der Suche nach Tims Vater, der vielleicht doch nicht tot ist, erspüren die beiden gemeinsam mit der Reporterin Lucy und ihrem Pokémon Enton immer weitere Hinweise auf eine Verschwörung, die das gesamte Pokémon-Universum bedroht. Und wer verantwortet die Intrige? Scheinbar steckt das mächtige Pokémon Mewtu dahinter.

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Alles wirkt so, als wär es das Normalste überhaupt, dass Menschen und Pokémon Seite an Seite leben und sogar arbeiten – wie in den Gameboy-Spielen, die ich so geliebt habe.

In diesem Film leben Menschen und Pokémon zusammen in Ryme City, einer fiktiven Großstadt. Vor dem Film hatte ich meine Zweifel, ob und wie das funktionieren soll. Meisterdetektiv Pikachu zeigt es mir. Jedes gezeigte Pokémon wird nach ihren ganz individuellen Eigenschaften in glaubhaften Umgebungen dargestellt. Mir kommt es nicht fremd vor, wie das vierarmige Pokémon Machomei ganz selbstverständlich den Verkehr regelt, als wär es ein echter Polizist. Oder wie eine ganze Gruppe an Schiggys, mein Lieblingswasserpokémon, der Feuerwehr dabei hilft, ein Feuer zu löschen. Es wirkt so, als wär es das Normalste überhaupt, dass Menschen und Pokémon Seite an Seite leben und sogar arbeiten – wie in den Gameboy-Spielen, die ich so geliebt habe.

Oft sichern sich Produktionsfirmen nur Lizenzen, packen das Logo der Marke drauf und ab dafür. Denn sie sind sich sicher: Der Fan schluckt es eh. Diese arrogante Auftragsarbeit fühle ich bei Meisterdetektiv Pikachu nicht, die Filmemachenden wollten den Fans nicht nur eine leere Hülle mit einem Pikachu-Gesicht bieten.

Es gibt einige Referenzen, über die mich als Oldschool-Pokémon Fan besonders freue. Zum Beispiel die Anspielungen auf die Songs, die den Soundtrack meiner kindlichen Poké-Liebe gebildet haben. Pikachu singt den Text des originalen Anime-Intros, als es traurig alleine über eine Brücke stapft, um sich selbst aufzumuntern. Doch nicht nur musikalisch zwinkert der Film mir zu. Karpador, das für Fans bekanntermaßen harmloseste Pokémon von allen, fällt aus seinem Aquarium und atmet in einem Club das R-Gas ein. Trotzdem macht der dumm drein blickende Fisch nichts anderes als den einzigen Move, den es drauf hat. Platscher, die schwächste Attacke, bei der im Grunde gar nichts passiert. Das verzeiht man ihm erst, wenn es sich zu Garados weiterentwickelt, dem bedrohlichen Wasser-Drachen, vor dem selbst ein feuerspeiendes Glurak winselnd den Kopf einzieht.

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Im Grunde ist der Plot nur dazu da, zusammenzuhalten, was man eigentlich sehen will: Ich will coolen, süßen Pokémon dabei zuschauen, wie sie cool und süß sind.

Doch so gut die Pokémon auch umgesetzt sind, so sehr nervt mich der Großteil der menschlichen Charaktere. Tim ist am Anfang des Films einfach eine weinerliche Heulsuse und der Film viel zu melodramatisch. Klar, er musste krasse Schicksalsschläge verarbeiten, aber ich will in einem Pokémon Film vor allem eins haben: Spaß. Den bringen mir nun mal die Pokémon und nicht die Menschen. Ich will nicht traurig darüber sein müssen, dass Tims Mutter gestorben ist und sein Vater ihn anschließend vernachlässigt hat. Ja, es macht ihn nahbarer, er ist der gebrochene Held. Aber im Grunde ist der Plot doch nur dazu da, zusammenzuhalten, was man eigentlich sehen will: Ich will coolen, süßen Pokémon dabei zuschauen, wie sie cool und süß sind.

Ein bisschen mehr Laufzeit hätte dem Film sicher gut getan. Nicht für den Plot, sondern für die Videospielreferenzen. Das war es, was mich als Kind jeden Tag motiviert hat, meinen Gameboy in die Hand zu nehmen und nur widerwillig wieder wegzulegen: das Fangen und Trainieren von Pokémon, um unsere gemeinsamen Kräfte anschließend gegen andere Trainer zu messen. Für den nächsten Film mit echten Schauspielern wünsche ich mir, dass ich mehr davon zu sehen bekomme. Ein einsames Tragosso am Anfang, das ist das einzige Pokémon im gesamten Film, das Tim zu fangen versucht. Normalerweise heißt es doch: "Gotta catch ‘em all!". Bei Meisterdetektiv Pikachu gilt der bekannte Slogan leider nicht. Die Kämpfe kommen zu kurz.

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Außerdem denke ich mir mittlerweile, dass es ein Fehler war, nicht die englische Originalfassung zu sehen. Zwar kommt der Humor in der deutschen Synchronisation zum Großteil durch, aber manchmal wirken die lockeren Sprüche, die Pikachu aus seinen kleinen tapsigen Fingerguns schießt, einfach komisch. In der englische Fassung wird er von Ryan Reynolds gesprochen, im Deutschen von dessen Synchronsprecher Dennis Schmidt-Foß. Mit Ausnahme der ikonischen "Pika, Pikachu!"-Rufe natürlich – die kiekst die originale Stimme der japanischen Synchronsprecherin Ikue Otani.

Einen Nachfolger wird es sicherlich geben, denn mit Meisterdetektiv Pikachu haben die Produzenten die Türen für viele weitere Real-life-action-Verfilmungen geöffnet. Sie haben die Mischung von Pokémon und echten Schauspielern weich an uns Zuschauer herangeführt. Und der Erfolg an den Kinokassen wird ihnen auch sicher sein. Am ersten Wochenende spielte der Film weltweit bereits 161 Millionen US-Dollar ein. Der Hype um Pokémon ist spätestens seit Pokémon Go wieder so groß wie um die Jahrtausendwende. Wenn nicht sogar größer.

Und als der Film vorbei ist, kommt im Abspann das Beste: Pixel-Pokémon im ganz alten Stil und klassisch gezeichnete Animes, genau so, wie ich sie in Pokémon Rot und in der Serie kennengelernt habe. Die Blicke des Publikums kleben an der Leinwand. Keiner steht auf. Und ich merke: Als Anime hätte der Film wohl genauso gut funktioniert. Vielleicht sogar besser.

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