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Rechte Anonymous-Seite instrumentalisiert Bild-Kampagne gegen G20-Straftäter

Viele Medien veröffentlichen gerade Fotos mutmaßlicher Gewalttäter vom G20. Diese falsche Anonymous-Seite geht noch einen Schritt weiter. Doch wer steckt hinter dem Aufruf?
Überschrift und Titelbild auf Anonymousnews.ru | Screenshot Motherboard

"Wer kennt diese Linksterroristen? Anonymous setzt 8.000 Euro Kopfgeld aus." Allein auf Facebook wird dieser Post seit gestern über 15.000 mal geteilt. Hinter der Überschrift steckt ein Beitrag des rechten Blogs Anonymousnews.ru. Darin: 16 Fotos, die mutmaßliche Straftäter während der Ausschreitungen rund um den G20 zeigen sollen. Manche sind vermummt, andere sind klar zu erkennen.

Das Eigenartige an der Sache: Alle Bilder und Bildunterschriften sind bis auf eine Ausnahme direkt von einem Artikel der Bild-Zeitung geklaut – ein Medium, das auf diesem Blog in anderen Artikeln pauschal als zu verachtendes Instrument der sogenannten "Systempresse" verunglimpft wird. Neu ist allerdings das Blog-Versprechen, Geld für die Ergreifung der polizeilich gesuchten Personen zu zahlen.

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Mit der eigentlichen Anonymous-Bewegung, die hier angeblich ein Kopfgeld auslobt, hat die Website Anonymousnews.ru nicht viel zu tun: In den Beiträgen geht es kaum um die für Anonymous typischen Themen wie Netzpolitik oder Kritik an Scientology. Stattdessen liefert der Blog rechte Hetze gegen deutsche Politiker, die als Teil des "BRD-Regimes" diffamiert werden und gegen Migranten, die als Invasoren oder Kriminelle bezeichnet werden. Zumindest zeitweise bewarb Anonymousnews.ru auch den illegalen Waffenshop "Migrantenschreck.net", der potentiell tödliche Schreckschusswaffen an hunderte deutsche Kunden lieferte. Die Ausrichtung wird in anderen aktuellen Schlagzeilen der Seite klar deutlich: "Die Flutung geht weiter: Merkel-Regime verteilt 300.000 Visa für Invasionsnachzug", oder auch "Während Hamburg brennt: Heiko Maas besäuft sich auf Schwulenparty".

Was sind das also für Menschen, die ein "Kopfgeld" auf andere Menschen aussetzen? Ein Impressum hat die Seite, die monatlich mehrere hunderttausend Aufrufe verzeichnet, nicht. Nur eine E-Mail-Adresse, um Werbebanner zu schalten, findet sich auf der Page. Allerdings könnte die Vorgeschichte der Seite Rückschlüsse auf die oder den Betreiber liefern: Denn zum Start des Blogs im Mai 2016 bezeichnete man sich selbst als offiziellen Nachfolger der offline-gegangenen Facebook-Seite Anonymous.Kollektiv, die zuletzt knapp zwei Millionen Fans zählte und damit ein großes Publikum mit ähnlichen Themen zwischen Hetze, Verschwörung und neurechter Ideologie erreichen konnte. Diese wiederum wurde zumindest zeitweise von einem User mit dem Namen Mario Rönsch betrieben, wie ein der SZ und Motherboard vorliegender Screenshot zeigt.

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Der Name "Mario Rönsch" tauchte laut Motherboard-Informationen zumindest vorläufig in einem internen Kundenbereich auf, über den der Blog Anonymousnews.ru bei einem großen russischen Webhosting-Anbieter betrieben wurde. Wir haben Mario Rönsch unter zwei verschiedenen E-Mail-Adressen und einer Telefonnummer kontaktiert, die ihm zumindest in der Vergangenheit zugerechnet wurden. Auf unsere Anfragen haben wir bis zur Veröffentlichung keine Antwort bekommen. Außerdem haben wir die allgemeine Kontaktadresse des Blogs Anonymousnews.ru angeschrieben, um nach der Betreiberschaft der Seite zu fragen. Auch hier: Bisher keine Reaktion.

Der Name Mario Rönsch taucht auch im Zusammenhang mit dem rechten Waffenshop "Migrantenschreck" auf

Auch auf dem russischen Netzwerk VKontakte postet Anonymousnews.ru die Nachricht vom Kopfgeld: "Bitte teilt diesen Beitrag und verbreitet diesen in sozialen Netzwerken größtmöglich weiter. Vielen Dank!", heißt es dort. Schnell schlägt die Stimmung in den Kommentaren in Gewaltaufrufe um: "Finden und erschlagen …spart Geld !!! Ende !!!", findet zum Beispiel ein User. Sein Post klingt nicht nur bedrohlich, sondern wie ein Aufruf zu Straftaten. Das wiederum ist in Deutschland illegal und kann zu Geldstrafen oder sogar mehrjähriger Haft führen.

Ein Artikel der Bildzeitung vom 10.7.2017. Screenshot: Motherboard

Der BILD-Artikel vom 10.7.2017 bei dem sich Anonymousnews.ru bedient hat. Screenshot: Motherboard

Natürlich ist keineswegs gesagt, ob Anonymousnews.ru überhaupt irgendwelches Geld zu vergeben hat oder sich mit dem Artikelklau nur prominent und aufmerksamkeitswirksam an der Stimmungsmache in den Nachwehen der G20-Ausschreitungen beteiligen will. Doch der Fall des angeblichen Anonymous-Kopfgelds zeigt auch, welche radikalen Stimmen für die Art von öffentlichem Fahndungsaufruf empfänglich sind, wie sie die Bild-Zeitung gestern unter dem Titel "Wer kennt diese G20-Verbrecher?" veröffentlichte.

Auf Facebook ging schon am Sonntag ein Video auf Facebook viral, das einen angeblichen Straftäter vom G20-Gipfel zeigen sollte. Das Problem an dem Video: Der abgebildete Mann war gar nicht tatverdächtig. Auch hier mit dabei: Die Bild-Zeitung, die den Gerüchten mit einem missverständlichen Artikel noch einmal zusätzliche Reichweite verschaffte.