FYI.

This story is over 5 years old.

Popkultur

Wenn dein Ehemann pädophil ist

Nach 20 Jahren Ehe erfuhr Kate, dass ihr Mann sich im Internet Bilder von Kindesmissbrauch angeschaut hatte.
Sinead Keenan als Kate in 'Married to a Paedophile' | Alle Standbilder mit freundlicher Genehmigung von 'Channel 4'

Als es um 7 Uhr morgens an der Haustür klopfte, bekam Kate eine Ahnung davon, dass dieser Tag anders werden würde. Wie immer um diese Zeit war sie gerade dabei, sich für die Arbeit fertigzumachen. Sie lebte alleine mit ihrem Mann Alex, ihre beiden Töchter waren bereits ausgezogen, die konnten es also nicht sein. Und auch sonst erwartete sie so früh am Morgen keinen Besuch.

"Ich weiß nur noch, dass im nächsten Moment das Haus voller Polizei war", sagt Kate am Telefon. "Die sind sofort ins Schlafzimmer gekommen, während ich mich schminkte. Sie wollten alle meine elektronischen Geräte haben." Kates Handy lag auf dem Bett, ein iPad und ein Laptop waren woanders im Haus verteilt. "Ich hatte keine Ahnung, was los war."

Anzeige

Ein Beamter bat Kate darum, sich im Wohnzimmer hinzusetzen. Davor rief sie noch im Büro an, um zu sagen, dass sie wahrscheinlich zu spät kommen würde. Kate war so aufgeregt, dass sie vergaß, wieder aufzulegen. In der Voicemail-Nachricht an ihre Chefin konnte man später auch die folgenden Ereignisse nachhören.


Auch von VICE: Von den Slums ins reiche Elternhaus: der Babyschmuggel in Bulgarien und Griechenland


"Alex saß im Schaukelstuhl", so Kate. Als er endlich etwas sagte, geriet ihre ganze Welt ins Wanken.

"'Ich bin kein Pädophiler, ich bin kein Pädophiler', sagte er immer wieder zu sich selbst. Wieder und wieder und wieder. Die Beamten ließen uns keinen Moment zu zweit. Ich konnte mich nicht bei Alex vergewissern, dass er wirklich nichts getan hatte, und er wiederholte einfach ständig wieder diesen einen Satz."

Da sie außer den Worten ihres Mannes nichts hatte, glaube Kate Alex' Beteuerungen. 20 Jahre waren sie verheiratet. Vielleicht war alles nur eine bösartige Anschuldigung ohne jegliche Grundlage.

Zwölf Stunden später kam Kate auf die Polizeiwache, in die sie ihren Mann gebracht hatten. Sie setzte sich mit ihm in einen Raum und er beichtete ihr, dass er sich über Jahre im Internet Bilder von Kindesmissbrauch angeschaut hatte.

Ein Mann schaut ernst und gedankenverloren, im Hintergrund sitzt eine junge Frau, den Blick gesenkt

Eine Szene mit Vater und Tochter in 'Married to a Paedophile'.

"Dieses Geständnis veränderte alles", sagt Kate. "Ich hatte ihn bis dahin verteidigt, war sogar schroff zu der Polizei gewesen. Ich hatte für ihn gekämpft, aber plötzlich erkannte ich, dass ich die ganze Zeit auf der falschen Seite gestanden hatte. Als mir klar geworden war, dass er mich angelogen hatte, wusste ich, dass es keine Hoffnung mehr für uns gab. Ich wusste, dass wir diese Sache nicht überstehen würden."

Anzeige

Kate erinnert sich noch, wie sie schreiend und weinend in der Polizeiwache stand. Sie wollte nur noch weg, egal wohin. Zwei Jahre sind seit dem Tag vergangen, der Kates Leben für immer verändert hat. Um diesen Einschnitt zu verarbeiten, hat sie auch an einer Dokumentation für den britischen Sender Channel 4 mitgearbeitet: Married to a Paedophile.

Wir sprechen am Telefon miteinander, um ihre Identität zu schützen. Kate heißt nicht Kate. Und auch wenn die ganzen O-Töne in der Dokumentation tatsächlich von Aufnahmen von Kate und anderen stammen, wurden sie von Schauspielerinnen und Schauspielern nachgesprochen. Das Team hinter dem Film verbrachte Monate mit Kate und einer anderen Frau, die eine ähnliche Erfahrung durchlebt hatte. Sie wollten dokumentieren, wie diese Familien durch unbekanntes Territorium navigieren und mit einer ungewissen Zukunft umgehen.

Wenn wir über Kindesmissbrauch sprechen, liegt der Fokus eigentlich immer auf den Tätern oder Täterinnen und ihren Opfern. Kate jedoch hat sich gegenüber der Regisseurin und Produzentin Colette Camden geöffnet, in der Hoffnung, dass die Dokumentation ein Bewusstsein für die Menschen schafft, die bei diesen Fällen allzu oft vergessen werden: die Angehörigen der Täter.

"Die Opfer von Sexualdelikten und Missbrauchsabbildungen bekommen eine Menge Aufmerksamkeit – und das ist auch gut so", fährt Kate fort und sammelt sich kurz. "Das sollte auch das Hauptanliegen sein. Die Menschen, die solche Taten begehen, bekommen ebenfalls etwas Aufmerksamkeit geschenkt. Es wird darüber geredet, wie man mit ihnen umgehen sollte. Warum haben sie diese Taten begangen? Wie lässt sich das in Zukunft verhindern? Aber niemand denkt an diese dritte Gruppe. Unser Leben wird plötzlich aus den Fugen gerissen, es ist verheerend."

Anzeige

Kate erinnert sich noch daran, wie sie den Beamten anrief, der ihren Mann festgenommen hatte. Man hatte sie alleingelassen und sie hatte keine Ahnung, was sie als Nächstes tun sollte, an welche Stelle sie sich für Unterstützung und Rat wenden sollte. Der Polizist empfahl ihr eine Opferhilfe, aber sagte gleichzeitig, dass sie ja eigentlich kein Opfer sei. "Er meinte, wir seien ein Kollateralschaden", sagt Kate, die Frustration über diesen Satz merkt man ihr noch immer an. "An mich oder meine Mädchen hat niemand gedacht."

Nachdem Alex aus der Untersuchungshaft entlassen worden war, fuhr Kate ihn nach Hause. Während der Fahrt sprachen sie kein Wort. Zu Hause angekommen zwang sie ihn als erstes, seine Mutter anzurufen. Kate war den ganzen Tag über mit ihr in Kontakt gewesen und Alex sollte ihr mit eigenen Worten sagen, was er getan hatte. "Ich wollte ihn auch einfach ein bisschen bestrafen", sagt sie. "Dann habe ich mit meiner Schwester gesprochen – die konnte damit gar nicht umgehen. Meine Schwester meinte, dass ich unbedingt aus dem Haus müsse, dass ich dort nicht bleiben könne." In dieser Nacht schlief Kate im Schlafzimmer, Alex unten auf der Couch. "Ich versuchte, mit ihm zu reden, aber es fiel mir unfassbar schwer. Dann organisierte ich mir eine Übernachtung bei meiner Schwester, sie holte mich am nächsten Morgen ab. Als ich ein paar Wochen später zum Haus zurückkehrte, hatte Alex seine Sachen gepackt und war ausgezogen."

Anzeige

In dieser Zeit las Kate wie besessen über Pädophilie, sammelte so viele Informationen, wie sie kriegen konnte. "Ich musste einfach wissen, wie und warum er das getan hatte", erklärt sie. Und da war noch eine andere Frage, die ihr nicht aus dem Kopf gehen wollte: Hatte Alex direkten Kontakt zu Kindern gehabt? Immerhin hatten sie zwei gemeinsame Töchter und Alex arbeitete dazu noch als Lehrer in einer Schule. "Das hat mich lange Zeit wirklich mitgenommen – und tut es in gewisser Weise immer noch", sagt Kate. "Ich bin mir relativ sicher, dass er das nicht getan hat und nicht getan hätte, aber es gibt Belege dafür, dass diese Menschen oft noch weiter gehen."

Inzwischen hat sich Kate ein neues Leben aufgebaut. Mit Alex hat sie kaum noch was zu tun. Sie weiß aber, dass er immer noch in Kontakt mit ihren beiden Töchtern steht. Kate ist weggezogen und hat einen neuen Partner gefunden. Die Arbeit an der Dokumentation sei nicht leicht gewesen, sagt sie, und im Vorfeld der Ausstrahlung seien eine Menge unangenehmer Emotionen und Erinnerungen an die Oberfläche gekommen. Dennoch sei es es das alles wert gewesen, sagt Kate.

Eine Frau blickt gedankenverloren aus dem Fenster

Sinead Keenan als Kate in 'Married to a Paedophile'.

"Es kursieren viele Mythen über Angehörige, Partner und Partnerinnen von Sexualstraftäterinnen und -tätern. Vor allem glauben viele Menschen, dass Nahestehende gewusst haben müssen, was los war", sagt sie. "Weil eine Frau mit ihrem Partner intim ist, gehen die Leute davon aus, dass die Frau etwas gewusst oder zumindest geahnt haben muss. In Wahrheit erfährt die Frau in den allermeisten Fällen erst davon, wenn die Polizei vor der Tür steht." Kate hoffe, dass ihre Dokumentation auch dieses Bild ändert.

Anzeige

"Ich wollte auch darauf aufmerksam machen, dass es Hilfe für Menschen gibt, die sich in so einer Situationen befinden. Besonders lobend erwähnen möchte ich hier die Lucy Faithful Foundation." Auch in Deutschland bietet das Präventionsnetzwerk "Kein Täter werden" unter anderem Angehörigen Hilfe an. Laut Polizeilicher Kriminalstatistik werden jährlich etwa 6.500 Fälle von Kinderpornografie von der Polizei registriert. Bei einer Aufklärungsquote von fast 90 Prozent bleiben dementsprechend viele unbeteiligte Angehörige, Freundinnen und Freunde stigmatisiert, ratlos und isoliert zurück. Diese Menschen benötigen ebenfalls Hilfe.

Kate blickt mit gemischten Gefühlen auf die vergangenen zwei Jahre. "Mein Leben ist weitergegangen. Ich versuche also nicht zu viel darüber nachzudenken", sagt sie. "Wenn ich meine Töchter sehe, muss ich natürlich sofort daran denken. Ich habe wegen dieser Sache viele verschiedene Emotionen durchgemacht. Da ist immer noch ziemlich viel Wut, aber auch Mitleid. Ich weiß, dass er jetzt kein angenehmes Leben führt. Er hat seinen Job verloren, sein Zuhause, mich. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass er das alles noch nicht ganz begriffen hat. Es muss schwer für ihn sein, sich das einzugestehen: dass er sich Bilder von Kindern angeguckt und sexuelle Befriedigung dabei empfunden hat. Er besteht immer noch darauf, dass ihn das sexuell nicht erregt habe. Ich kann ihm das nicht abkaufen."

Trotz allem findet Kate, dass ihre Geschichte für sie ein verhältnismäßig gutes Ende gefunden hat. Mit ihrem heutigen Leben ist sie zufrieden. "Ich hoffe, dass ich einigen Frauen wie mir Hoffnung und Mut machen kann, wenn alles aus und vorbei zu sein scheint und keine Besserung in Sicht ist."

Folge VICE auf Facebook, Instagram und Snapchat.