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Peinliches Musikvideo: Physik-Nobelpreisträger ließ Forscherinnen für sich tanzen

Tanzende, junge Frauen und Gérard Mourou mittendrin: Das Video tauchte auf, kurz nachdem der Physiker als neuer Nobelpreisträger ernannt wurde. Das befeuert die Debatte um Sexismus in der Wissenschaft.
Screenshot: YouTube | Laser Fan

Ein ergrauter, weißer Mann tänzelt in seinem Forschungslabor, umringt von jungen Wissenschaftlerinnen, die ihre Hüften schwingen und sich leidenschaftlich die weißen Kittel vom Leib reißen. Das Musikvideo könnte eine Satire auf Sexismus in der Wissenschaft sein – war es aber nicht. Und der Mann in der Mitte ist kein geringerer als der neue Physik-Nobelpreisträger Gérard Mourou.

Das auf YouTube verfügbare Video aus dem Jahr 2010 tauchte auf, kurz nachdem vergangene Woche bekannt wurde, dass Mourou den Physik-Nobelpreis 2018 erhalten wird. Für das Video wurde Mourou inzwischen von seinen Kolleginnen und Kollegen stark kritisiert. Auch wenn Mourou sich inzwischen öffentlich für das Video entschuldigt hat – es zeigt, dass Sexismus in der Wissenschaft immer noch ein großes Problem ist.

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Eigentlich sollte das Musikvideo auf scherzhafte Weise für ein europäisches Forschungsprojekt mit Lasern werben: Extreme Light Infrastructure, kurz: ELI. Das Video sollte mit dem ernsten Bild brechen, das viele Menschen mit Physik verbinden, wie Mourou am 5. Oktober in einem Statement erklärte, das die École Polytechnique Motherboard schickte. Das Video greift auch Szenen aus der Popkultur auf. So trägt eine Darstellerin auf ihren Augenlidern die Aufschrift "I Love ELI" – eine Anspielung auf den Kinofilm Indiana Jones – Jäger des verlorenen Schatzes. Die sexistische Tanzszene ist erst nach rund zweieinhalb Minuten zu sehen.

Die Akademie betont, Mourou habe den Nobelpreis trotzdem verdient

Mourou entschuldigte sich in seinem Statement auch ausdrücklich für das sexistische Bild, dass durch das Video vermittelt werde. Er sagte, das Video sollte dazu dienen, das ELI-Projekt bekannt zu machen. "Es ist wichtig, dass die wissenschaftliche Community alle Forschenden für ihre Rolle und ihren Beitrag anerkennt, ganz egal, welches Gender sie haben", sagte er.

Das Video wurde zunächst unter Mitarbeitern und Professorinnen des französischen Forschungsinstituts École Polytechnique, an dem Mourou unterrichtet, herumgereicht. Erst am 2. Oktober erlangte es öffentliche Aufmerksamkeit, nachdem der 74-jährige Mourou gemeinsam mit Arthur Ashkin und Donna Strickland als diesjährige Nobelpreisgewinner bekannt gegeben wurden. Strickland ist erst die dritte Frau, die mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet wird.

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Ein Sprecher der Königlichen Schwedischen Akademie der Wissenschaften, die den Nobelpreis für Physik vergibt, sagte gegenüber Motherboard, dass Mourou den Preis auch erhalten hätte, wenn die Akademie früher von dem Video erfahren hätte – auch wenn sie das Verhalten im Video nicht unterstütze. "Professor Gérard Mourou erhält den Nobelpreis für seine bahnbrechenden Beiträge zur Laserphysik", sagte der Sprecher. Der Preis würde für wissenschaftliche Errungenschaften vergeben, andere Aspekte würden dabei nicht berücksichtigt, fügte er hinzu.

Auch Göran K. Hansson, der Generalsekretär der Schwedischen Akademie der Wissenschaften, sagte gegenüber der Nachrichtenagentur AFP, der Nobelpreis sei "kein Preis für Videos oder Filme, sondern ein Preis für Wissenschaft".

Das Video wurde 2013 mit dem Titel "Have You Seen ELI" anonym auf YouTube hochgeladen, hatte aber laut Le Monde nur ein paar Hundert Views, bevor Leonid Schneider es vergangene Woche auf seiner Website For Better Science aufgriff. Inzwischen wurde das Video rund 365.000 Mal aufgerufen.


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Andere Forschende finden Mourous Video "peinlich"

In der Physik-Community war das Video anscheinend seit einigen Jahren bekannt, wie mehrere Forschenden gegenüber Motherboard berichteten. "Es sorgte für Aufruhr in der Community", sagte Christian Rödel, Postdoktorand am Helmholtz Institut in Jena. Viele Leute waren der Meinung, dass Mourou mit dem Video zu weit gegangen war, sagte Rödel, der das Video 2011 von einem anderen Doktoranden auf einem USB-Stick erhalten hatte. "Niemand fand das tatsächlich lustig."

Der Physiker Álvaro Peralta, der auch am ELI-Projekt mitgearbeitet hat, sagte, dass der Clip unter Physikern bekannt war. "Wir fanden das Video peinlich", sagte er. Er glaubt, dass es in diesem Zusammenhang wahrscheinlich auch Beschwerden über Morou gab.

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Derzeit ist unklar, wer das Video finanziert hat. Obwohl die französische Forschungsorganisation CNRS in den Credits gelistet ist, streitet sie ab, an der Entwicklung des Videos beteiligt zu sein. Auch der Generaldirektor des ELI Delivery Consortiums, Allen Weeks, sagte gegenüber Motherboard, dass das Video nicht vom ELI-Projekt finanziert worden sei.

Auch die École Polytechnique distanzierte sich von dem Video und sagte, dass es ein degradierendes Frauenbild zeigen würde. Sie hätten das Video weder in Auftrag gegeben, finanziert oder produziert.

Diskriminierung in der Physik ist ein großes Problem

Mourous Video ist nur ein kleines Kapitel in der Debatte um Sexismus, grenzverletzendes Verhalten und die Herabwürdigung von Frauen in der Physik. Anfang Oktober wurde der CERN-Physiker Alessandro Strumia nach einem Vortrag suspendiert, in dem er behauptete, "dass die Physik von Männern geschaffen worden sei" und Frauen ihren männlichen Kollegen unterlegen seien.

Eine Untersuchung des Pew Research Centers ergab 2018, dass die Hälfte der Frauen im Bereich Wissenschaft, Technologie, Ingenieurwesen und Mathematik bei ihrer Arbeit Diskriminierung aufgrund ihres Geschlechts erlebt hatten.

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Dieser Artikel ist zuerst auf der englischsprachigen Seite von Motherboard erschienen.