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Ich habe mir von einem Marabout die Gedanken lesen lassen

„Einmal auf den Kugelschreiber pusten!“

Egal ob Impotenz, Familienknatsch, Jobsuche oder Schutz vor schwarzer Magie: Probleme verschiedenster Art wollen gelöst sein. Wer kennt sie nicht, die originellen Zettel, die in Basel im Briefkasten landen und all das versprechen? Sätze wie „25 Jahre erfahrung mit gewalt gegen Frauen und 100% garantie Erfolg zum neuem Liebensglück“ verheissen viel. Grosse Namen wie „Professor Karamoko“ und „Limane, berühmter Hellseher“ versprechen Lebenshilfe.

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Wer jetzt nun besserwisserisch auf der Rechtschreibung und den immer gleichen Floskeln auf diesen Flyern rumhackt, hat eines nicht verstanden: Marabout-Kärtchen müssen so sein—das macht schliesslich ihr Marketing einzigartig. Als Marabout bezeichnet man eine Art islamischen Heiligen. In manchen westafrikanischen Ländern ist der Begriff aber noch viel weiter gefasst: Man kennt die Marabouts dort als Seher, Heiler und generell als Männer für alle kniffligen Fälle.

Auch in Frankreich bieten viele von ihnen ihre Dienste an. Während ihre Werbezettel dort längst Kultstatus geniessen und sogar von manchen als Hobby imitiert werden, sind sie in der Schweiz noch spärlich gesät.

Es gibt sie aber auch hier, die magisch begabten Männer und einige von ihnen machen vom Elsass aus Werbung in der Schweiz. Das „grosses Medium“ Herr Ousmane taucht seit vielen Jahren nicht nur auf Zetteln, sondern auch in den Inseratespalten von Basler Gratiszeitungen auf. Liebe und Gesundheit sind seine Spezialgebiete. Höchste Zeit also, sich von ihm helfen zu lassen.

Gleich auf der anderen Seite der Grenze, im elsässischen St. Louis, suchen wir nach ihm. In einem Wohnblock treffen wir tatsächlich auf einen Briefkasten mit der Aufschrift Ousmane. Wenig später führt uns ein etwas scheuer, aber freundlicher 48-jähriger Guineer in seine Praxis.

Das Arbeitszimmer ist karg eingerichtet: Ein alter sperriger Fernseher auf einem wackligen Möbel und ein paar Eulen-Figuren gehören zu den wenigen Einrichtungsgegenständen. Eine Kette, Kerzen und fremdartige Wurzeln liegen auf dem Tisch. Zudem steht da noch ein Fläschchen mit einer rätselhaften Flüssigkeit. Sie soll für den Schutz des Gesichts und der Hände da sein.

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Seine Arbeit beschreibt Herr Ousmane ganz schlicht: „Wir suchen Lösungen für Probleme.“ Beziehungsknatsch, Potenzstörungen, Stress mit der Familie, Arbeitssuche oder Bauchschmerzen—wie es sich für einen Marabout gehört, knöpft er sich einfach alles vor. Die Pauschale beträgt 50 Euro—bei mehrtägigen Behandlungen ist der Preis jedoch resultatsabhängig. Seit rund zehn Jahren wirkt er in St. Louis. Seine Kunden kommen aus der Schweiz und aus dem Elsass.

Schon sein Vater führte in Guinea diese Arbeit aus. „Marabout wird man erblich oder durch den Willen“, erklärt Herr Ousmane. Als Medikamente verwendet er bestimmte Baumrinden. Wichtiger als das ist aber seine Gabe: „Wenn jemand Arbeit sucht, schaue, ob die Firma positiv ist“, erklärt er. Wie er das macht? „Mit dem Kopf“, erklärt er. Es ist eine Art Vision. Es gibt aber auch Hilfsmittel: Ein geheimnisvolles Buch liegt offen auf dem Tisch.

Es wird also Zeit für meinen Selbstversuch: Ousmane bittet mich, meine Hand auf ein Blatt zu legen. Er zeichnet die Umrisse nach. Anschliessend schreibt er meinen Namen in arabischer Schrift auf. Nun aber kommt der sonderbarste Teil: Ich werde aufgefordert, auf den Kugelschreiber zu pusten. Daraufhin schlägt er im schlauen Buch nach und murmelt meinen Namen.

„Das ist meine Technik“, erklärt Ousmane. „Bei zehn Marabouts finden Sie diese Methode nicht, beim elften vielleicht.“ Während er weiter in sein Murmeln versinkt, macht er auf einem Blatt Papier lauter kleine Striche mit dem gleichen Kugelschreiber. Das dauert einige Minuten. Für mich sieht es aus wie eine Geheimschrift, die der Marabout in sich gekehrt zusammenkritzelt.

Das Prozedere bleibt aber sein Geheimnis: „Das kann ich nicht erklären, das ist etwas Spirituelles“, meint Herr Ousmane zurückhaltend. Jedenfalls helfen ihm dabei die Eulenfiguren: Als Symbol für die Visionen gehören sie zum Ritual dazu.

Scan von Michel Schultheiss

Schliesslich verlässt Ousmane die Trance und beginnt, aus den krakeligen Strichen zu lesen. „Sie haben Courage und sind eine gute Person und haben gute Kontakte—doch es könnte auch Probleme geben“, erklärt Ousmane freundlich. Mit diesen Worten fasst er die Resultate seiner Vision zusammen und es liegt nun an mir, sie zu deuten. Somit bleibt die Behandlung so geheimnisvoll wie die Zettel, die immer in meinem Briefkasten landen.