10 Jahre "Umbrella": Ein Rückblick auf einen Song, der Leben verändert hat

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10 Jahre "Umbrella": Ein Rückblick auf einen Song, der Leben verändert hat

"Diese aufgeregte Hi-Hat, der doppelte Wichser auf die Snare nach jedem zweiten Takt, die wuchernde Bassdrum – alles an dem Lied ist Perfektion."

Im Pop gibt es viel Scheiße. Das liegt hauptsächlich an der Geschwindigkeit, mit der Pop sich bewegt: Die Haltbarkeit von Dubstep-Breakdowns betrug ungefähr ein halbes Jahr, Avicii-Songs von vor 5 Jahren klingen heute nahezu antik und auch der 2016er-Pop-Drop (Pseudo-Refrains ohne Vocals) hat sein Ablaufdatum längst überschritten (bitte jetzt damit aufhören!). Im Streaming-Zeitalter hat sich die ohnehin schon dagewesene Wegwerf-Mentalität der Industrie gefühlt nochmal verdreifacht und in 10 Jahren wird sich einfach niemand an "Closer" und die Chainsmokers erinnern.

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Aber auch im Pop gibt es hin und wieder Songs, die bleiben. Große Songs. Riesige Songs. Smasher. Game-Changer. Und damit beziehe ich mich nicht auf Verkaufszahlen – demnach zu urteilen wäre "Sugar" von Maroon 5 ein moderner Klassiker und Ed Sheeran ein Popstar. Nein, Granaten in der Größenordnung von "Crazy in Love" oder "Toxic" überschreiten die Grenzen von kommerziellem Erfolg oder unterschiedlichen Geschmäckern und entwickeln sich irgendwann zu einem eigenständigen Stück Musikgeschichte. Einer dieser großen Songs hat jetzt eine Dekade auf dem Buckel: Die meteorologische Freundschafts-Metapher, die auch 10 Jahre später immer noch ein Banger epischen Ausmaßes ist. Blitz, Donner, Wolkenbruch: "Umbrella":

2007 war musikalisch gesehen ein heftiges Jahr: DJ Ötzi hatte den größten Hit seiner Karriere, Avril Lavigne entwickelte sich plötzlich in eine unerwartete Richtung, Nelly Furtado war ein Superstar und Britney Spears am Boden. Für Rihanna war es ein Make-or-Break-Moment: "S.O.S." war zwar ein respektabler Erfolg gewesen, dem zugehörigen Album ging aber schon nach ein paar Monaten die Luft aus. Man darf dabei nicht vergessen, Rihanna spielte prä-2007 in einer Popstar-Liga mit Cassie oder Keri Hilson. Sie brauchte jetzt etwas richtig Fettes, oder sie würde wie die erwähnten Kolleginnen eines Tages nur noch auf Throwback-Playlisten auftauchen. "Umbrella" hat ihr den Arsch gerettet – und dabei hätte sie den Song beinahe nicht bekommen.

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Inzwischen wissen eh alle und ihre Mütter, dass "Umbrella" ursprünglich für Britney gedacht war. Tricky Stewart und The-Dream hatten den Song an ihr Management geschickt, die lehnten allerdings dankend ab, weil bereits genug Material für Blackout eingereicht worden war. Britneys damaliger Zustand dürfte seinen Teil dazu beigetragen haben. In welcher Welt würden wir heute wohl leben, wäre Britney damals mit "Umbrella" zurückgekommen? Wir werden's nie erfahren – sicher ist nur, dass die Rihanna, die wir heute kennen und verehren, in dieser Welt nicht existieren würde.

An dieser Stelle wollte Taio Cruz zuschlagen, seine Plattenfirma fand "Umbrella" allerdings nicht besonders hitverdächtig und, naja, was soll man dazu überhaupt sagen? Das ist einfach dumm. Als der Song letztendlich an Mary J. Blige gehen sollte, die durchaus Interesse, aber gerade keine Zeit hatte, klingelten bei Rihannas Team die Alarmglocken – der Rest ist Geschichte. Tricky Stewart gibt heute zu, dass er noch im Studio mit Rihanna ernsthafte Zweifel daran hatte, ob sie wirklich die richtige Künstlerin für "Umbrella" war – bis er dieses näselnde "Eh, eh, eh" hörte. Ist das die beste Hook der Nullerjahre? Wahrscheinlich. Aber von Anfang!

Da ist zuerst dieser Beat – ein Beat, der so distinktiv, so eindeutig "Umbrella" ist, dass man schon nach einer Hundertstel Sekunde genau weiß, was hier los ist. Diese aufgeregte Hi-Hat, der doppelte Wichser auf die Snare nach jedem zweiten Takt, die wuchernde Bassdrum – alles daran. Es ist so lächerlich, ernüchternd und genial zugleich, wenn man erfährt, dass dieser prägnante Beat nichts weiter ist, als ein stinknormaler, lizenzfreier Loop aus Garageband namens "Vintage Funk Kit 03", den ihr wahrscheinlich alle auf euren MacBooks liegen habt. Hau noch ein paar Keyboard-Samples drauf, fertig. Deine Katze könnte "Umbrella" produzieren.

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"Die Art, wie sie ihre Stimmbänder am Ende von 'heart' und 'apart' ganz leicht presst, so, dass ihre Stimme anfängt zu zittern, und sie sich ein bisschen anhört, wie eine verliebte Ziege."

Auftritt Jigga. Jay Z, der damals noch Jay-Z hieß, hat Rihanna einst entdeckt, sie unter Vertrag genommen, sie von Null aufgebaut – und trotzdem ist das hier das erste Mal, dass er tatsächlich auf einem ihrer Songs vertreten ist. Jay Z wusste wohl, dass es sich bei "Umbrella" nicht einfach um den nächstbesten, kurzweiligen Popsong handeln würde, sonst wäre er nicht selbst mit aufgesprungen. "Little Miss Sunshine, Rihanna where you at!"

You have my heart
and we'll never be worlds apart

Während Jay seinen mit Wetter-Referenzen übersäten Intro-Rap raushaut, nölt Rihanna noch ein paar dezente "Eh, eh, eh"s in den Hintergrund – aber das hier ist die Stelle, an der sie übernimmt. Den Song und die Welt. Die Art, wie sie ihre Stimmbänder am Ende von "heart" und "apart" ganz leicht presst, so, dass ihre Stimme anfängt zu zittern, und sie sich ein bisschen anhört, wie eine verliebte Ziege – pures Gold. Die meisten würden "Umbrella" wohl als R&B/Pop bezeichnen, in Wahrheit ist es aber mehr wie eine Rockballade, der die Gitarren entnommen und dafür mit donnernden Synthesizern ersetzt wurden.

Im Chorus reimen wir "together" auf "forever" – es braucht schon ein Monster von einem Song, um mit so was davonzukommen. Generell machen die Lyrics einen großen Teil des Songs aus. Rihanna ist im wahrsten Sinn des Wortes kein Schönwetterfreund – auch wenn es mal regnet, bleibt sie an deiner Seite, und du kannst dann sehr gerne unter ihren Regenschirm. Im Grunde genommen ist "Umbrella" das "You've Got A Friend" der neuen Generation, nur eben mit Metaphern.

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"Ella, ella, eh, eh eh."

Dazu muss man wissen, dass Sinnbilder in Popsongs 2007 noch nicht so ein großes Ding waren wie heute. In den darauffolgenden Jahren gab es dann plötzlich "Titanium", "Firework", "Circus", "Wrecking Ball" und eigentlich fast jeden Song, den Sia jemals geschrieben hat: "Cellophane", "Helium", "Diamonds", "Cannonball", "Waterfall", "Flashlight", "Blank Page", etc.

Spektakulär auch die bereits erwähnte Hook, die das Herzstück des Songs bildet und auf jeden Refrain folgt: Rihanna singt ein viersilbiges "Umbe-rella", spielt mit ihrem barbadischen Akzent, drückt ein "ella, ella, eh, eh eh" hinterher und wiederholt das Ganze von vorn. Auch das würde in den Jahren danach oft wiederholt werden: Den Titel eines Songs zerlegen und ihn stotternd als Hook missbrauchen. Po-Po-Pokerface, Woman-Womanizer, Papa-Paparazzi, ihr kennt das.

Das Schönste an "Umbrella" ist aber tatsächlich sein Charakter. Vor "Umbrella" gab es nichts, das ansatzweise so klang wie "Umbrella" und seit "Umbrella" gab es nichts mehr, das ansatzweise so klingt wie "Umbrella". Der Song ist einfach sehr unwahrscheinlich. Vor allem während und nach dem C-Teil – die einzige Stelle, an der der Beat kurzzeitig aussetzt.

Go on let the rain pour
I'll be all you need and more

Genau auf das letzte Wort der Bridge, genau auf dieses "more" bricht plötzlich der Beat wieder herein, die Synths dröhnen wie ein Donnersturm rauf und wieder runter, der finale Chorus beginnt. Diesmal allerdings zur Akkordfolge der Strophen, die Chords laufen sozusagen gegen die Melodie, es klingt zunächst wie ein Fehler – weil es ursprünglich einer war. Die Produzenten fanden das dann aber so witzig, dass sie es einfach behielten. Das Ergebnis: Die richtigen Akkorde, die erst ab dem "Ella"-Part zurückkehren, klingen daraufhin noch richtiger, als sie es davor schon waren. So, so richtig.

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"Umbrella" hätte wohl auch ohne visuelle Unterstützung funktioniert, stattdessen hat man sich für eine Sensation von einem Musikvideo entschieden. Jede Einstellung ist ein Triumph. Funkenregen! Posen! Die Erfindung der Bobfrisur! Ballettschuhe! Zerspringendes Glas! Dieses spritzende CGI-Wasser und Rihannas Abwehrtanz gegen selbiges! Dieser willkürliche, orange Farbverlauf über den halben Bildschirm! Die Regenschirm-Choreo! Silbernes Bodypainting vor einem Illuminati-Dreieck! Noch mehr Funkenregen! Geheimtipp: Wenn ihr mal traurig seid, schaut euch einfach dieses akribische Bild-für-Bild-Remake des Videos an, das eine Schülerin aus Brasilien eiskalt mit ihrem Nokia N93 gedreht hat.

Alternativ ginge auch diese gutgemeinte Bodypainting-Hommage der vergessenen Austro-Popstars-Band BFF:

Letztendlich hat "Umbrella" nicht nur unser aller Leben, sondern auch das von Rihanna für immer verändert – seither folgten sechs Studioalben, doppelt so viele Frisuren, legendäre Twitter-Rants, Hits, Hits, Hits und ihre Zementierung als größter Popstar der Gegenwart. 2017 ist "Umbrella" immer noch nicht fad geworden. Wenn man die Boxen laut genug aufdreht, kriegt man sogar ein bisschen Gänsehaut. Denn in Zeiten wie diesen, in denen tatsächlich mehr metaphorischer Regen than ever vom Himmel fällt, ist es beruhigend zu wissen, dass wir immer noch unter Rihannas Regenschirm stehen dürfen. Danke für alles, Bad Gal.

Hier noch eine ausgesuchte Playlist, mit der ihr diesen besonderen Tag gebührend feiern könnt:

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