FYI.

This story is over 5 years old.

Tech

Ist Carsharing jetzt eigentlich gut oder schlecht für die Umwelt?

Der Carsharing-Trend ist ungebrochen. Anbieter wie Car2Go und DriveNow gefallen sich in der Rolle als umweltschonende Alternative zum privaten Auto. Doch die Deutsche Umwelthilfe zweifelt das Modell an. Was ist dran an der Kritik?
Bild: Shutterstock

Schnell ein Regal von IKEA holen, nachts besser nach Hause kommen oder den Flaschenpfand von der letzten Party wegschaffen – für manche Sachen ist ein Auto eben doch noch besser als Bus oder Bahn. Carsharing-Angebote wie die von DriveNow, Car2Go oder Multicity springen in diese Lücke und machen viele Menschen so mobil wie es sonst nur ein privater PKW kann – ohne dass sie sich ein eigenes Auto anschaffen. Tatsächlich zeigen aktuelle Zahlen: Der Hype um Carsharing ist ungebrochen und immer mehr Menschen nutzen deutschlandweit die Kurzzeitmiete.

Anzeige

Neben der persönlichen Flexibilität gibt es noch ein weiteres Argument, das Befürworter gerne ins Feld führen: Carsharing ist gut für die Umwelt. Doch stimmt das wirklich? Darüber sind sich Wissenschaftler nicht einig, Studien widersprechen sich und einige Umweltschützer glauben, dass manche Carsharing-Modelle kein Fortschritt sondern ein Rückschritt für die Umwelt sind.

Anbieter wie DriveNow und Car2Go stellen ihre Art der Mobilität als besonders emissionssparend, umweltschonend und verkehrsentlastend dar. Der Bundesverband Carsharing, der die beiden Marktführer allerdings nicht mit vertritt, stimmt in den Lobgesang mit ein. Pressesprecher Gunnar Nehrke ist von den positiven Effekten des sogenannten free-floatenden Carsharings überzeugt und sagte gegenüber Motherboard: „Nach allem, was wir wissen, trägt auch das Free-Floating zu einer Verkehrsentlastung bei, allerdings in einem geringeren Umfang als stationsbasierte Systeme."

Die Unterscheidung zwischen free-floatenden und stationsgebundenen Fahrzeugen ist bei der Diskussion um Carsharing wichtig. Beim stationsgebundenen Carsharing gibt es festgelegte Stationen, an denen die Fahrzeuge abgeholt und wieder abgestellt werden. Die Free-Floater hingegen benötigen keine festen Stellplatz, sondern können überall in der Stadt abgestellt werden können. Die Frage ist nun, ob das relativ neue Konzept des Free-Floatings, dass den Hype um Carsharing erst richtig in Fahrt gebracht hat, auch gut für die Umwelt ist.

Anzeige

Folgt Motherboard auf Facebook, Instagram, Snapchat und Twitter

Ganz anders als der Bundesverband Carsharing sehen das ausgerechnet diejenigen, für die Carsharing eigentlich immer als Segen galt: Umweltschützer. Jürgen Resch vom Deutschen Umwelthilfe e.V. kritisierte insbesondere die stationsungebundenen Angebote als „bedenklich für die Umwelt und die Gesundheit der Bürger". Je mehr Free-Floater in Innenstädten zur Verfügung stünden, desto weniger würden Menschen auf öffentliche Verkehrsmittel wie Bus oder Bahn und Fahrräder zurückgreifen. Er argumentiert, dass der Begriff „Carsharing" für stationsunabhängige Angebote irreführend ist, da er alle positiven Effekte des stationären Carsharings vermissen lasse.

Die Deutsche Umwelthilfe bezieht sich in ihrer Kritik vor allem auf eine Studie von Civity. Diese untersuchte über die Dauer eines Jahres rund 18 Millionen Carsharing-Anmietungen weltweit. Für Berlin kommt sie zu dem Schluss, dass es sich beim free-floatenden Modell um „motorisierte Bequemlichkeitsmobilität im Nahbereich" handelt, die eher Strecken ersetzt, welche sonst mit dem Fahrrad oder ÖPNV zurückgelegt wurden. Die Studie schlussfolgert, dass stationsunabhängiges Carsharing keinen „direkten Beitrag zur Lösung von Verkehrsproblemen in Ballungsräumen" leisten kann. Inzwischen haben die Autoren der Studie aber auch Fehler in ihrer Methodik eingeräumt, die Ergebnisse sind also mit einiger Vorsicht zu genießen.

Anzeige

„Ideal wäre natürlich auch, wenn es ein System gäbe, wo man mit einem Tarifsystem erst mit dem Bus fährt und dann in das CarSharing-Auto einsteigt."

Die Carsharing-Firmen selbst – DriveNow, Car2Go und Multicity –, hinter denen die Autokonzerne BMW, Daimler und Citroen stehen, sehen für die Behauptung der DUH keine Grundlage. Sie zitieren auf Anfrage andere Studien, die zeigen, dass Nutzer des flexiblen Carsharings zu 50 Prozent öfter auf den eigenen PKW verzichten und keine Konkurrenz zum öffentlichen Verkehr zu erkennen ist. Jedes Carsharing-Fahrzeug würde demnach zwischen vier und elf private PKW ersetzen und so die Staubelastung, Luftverschmutzung und Parkproblematik in Innenstädten reduzieren.

Gunnar Nehrke bezeichnet die Kritik der DUH als unredlich und irreführend: „Man kann sich jetzt nicht hinstellen und sagen, 'ich weiß schon, was da passiert und es ist schlecht." Dafür gebe es einfach zu viele Anhaltspunkte, dass auch free-floatendes Carsharing einen positiven Einfluss habe. Ihm sowie auch Car2Go, DriveNow und Multicity könnte man allerdings auch unterstellen, dass sie sich die Rosinen unter den Studien herauspicken, die ihrem Interesse entsprechen. Immerhin ist Carsharing ein Millionengeschäft.

Tatsächlich stellen sich aber auch unabhängige Stimmen hinter die Carsharing-Anbieter – wenn auch in nicht ganz so großen Tönen. Prof. Dr. Andreas Knie vom Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ) versteht die Kritik der Umwelthilfe nicht. Er spricht von einem Bärendienst, den die DUH dem Carsharing erwiesen hat. Pressesprecher Christian Scherf fügt hinzu: „Auch wenn das CarSharing in den letzten Jahren enorm zugelegt hat, ist es insgesamt im Vergleich zu anderen Verkehrsmitteln noch eine Nische." Tatsächlich taucht Carsharing in der Statistik der Verkehrsmittelwahl kaum auf. Gerade einmal 0,1 Prozent aller zur Verfügung stehenden Verkehrsmittel sind 2014 in Berlin auf flexibles Carsharing entfallen. In Wien ist das Verhältnis von Carsharing-Fahrten und ÖV-Fahrten 7.000 zu 2,5 Millionen. Andere Erhebungen über den sogenannten Modal Split, wie die von WiMobil, weisen Carsharing nicht einmal gesondert aus.

Tilmann Bracher vom Deutschen Institut für Urbanistik schließt sich der Einschätzung an. Flexibles Carsharing komme ohnehin nur in den Innenstädten zum Einsatz und das auch nur für kurze Zeit. Die Datenlage sei da sehr gering, was auch erkläre, warum Studien mal in die eine, mal in die andere Richtung ausschlagen. In der aufgeheizten Debatte vergesse man das leicht. Der Effekt auf die Umwelt könne da auch „gleich Null" sein, so Bracher.

Damit der Umwelteffekt irgendwann genauso groß ist wie der des stationären Carsharings, wird oft gefordert, dass CS-Anbieter mit Verkehrsbetrieben kooperieren sollen. Dorothee Saar von der DUH sagte dazu: „Ich denke, die Hauptherausforderung ist, dass man [flexibles Carsharing] so gestaltet, dass es nicht dazu führt, dass man vom öffentlichen Verkehr auf dieses Fahrzeug umsteigt, sondern vom eigenen PKW […] Ideal wäre natürlich auch, wenn es ein System gäbe, wo man mit einem Tarifsystem erst mit dem Bus fährt und dann in das CarSharing-Auto einsteigt."

Diese Zusammenarbeit, die sich die DUH wünscht, gibt es bereits. In Wien und Kopenhagen ist DriveNow in die ÖPNV-Jahreskarte integriert. Aber auch in Deutschland gibt es schon Kooperationen. In Hamburg erhalten Nutzer der HVV-App Switchh 60 Freiminuten im Monat bei Car2Go, BVG-Abonnenten in Berlin bekommen bei Multicity günstigere Konditionen und Abonnenten der IsarCard in München haben auch bei Carsharing-Anbietern Sonderkonditionen. Am Ende ist der gemeinsame „Gegner" der private PKW, sind sich der Bundesverband Carsharing und die Deutsche Umwelthilfe einig. Wenn es gelänge, die Politik davon zu überzeugen, mit Förderungen und gesetzlichen Grundlagen, umweltschonende Fortbewegungsformen zu fördern, entsteht eine Win-Win-Situation.

Am ersten September 2017 soll daher ein Gesetz in Kraft treten, das Carsharing-Anbietern Vorrechte im Parkraum zugesteht. Grundlage dieser Entscheidung war eine Pilotstudie, bei der festgestellt wurde, dass Carsharing die Lücke zwischen den Verkehrsmitteln des sogenannten Umweltbundes – also ÖPNV, Taxi, Rad- und Fußverkehr – schließt, die sonst oft zur Anschaffung eines privaten Autos geführt hat. Eben jene Lücken, in denen man sonst im Regen stand, weil der Bus nicht fuhr oder zur Bandprobe das Equipment nicht anders transportiert bekommt.