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Der Beweis eines genialen Kauzes bereitet der Mathe-Elite Kopfzerbrechen

Die besten Mathematiker der Welt haben sich in Japan getroffen, um sich von Shinichi Mochizuki erzählen zu lassen, wie er die ABC-Vermutung beweisen will. Es dürfte eine der anstrengendsten Konferenzen ihrer Karriere gewesen sein.
Bild: Paddy Mills | Creative Commons

Es ist inzwischen vier Jahre her, dass der japanische Mathematiker Shinichi Mochizuki auf seiner Website vier Papers online stellte. Obwohl die Veröffentlichung reichlich unspektulär daherkam, steckt in dem insgesamt 500 Seiten umfassenden Werk nicht weniger als ein spektakulärer mathematischer Durchbruch. Aufbauend auf der komplizierten Inter-Universellen Teichmüller-Theorie will Mochizuki eine Lösung für die ABC-Vermutung ausgearbeitet haben. Die ABC-Vermutung ist ein von den Zahlentheoretikern Joseph Oesterié und David Masser 1985 aufgestelltes Problem, an dem sich seit Jahrzehnten Scharen von Mathematikern die Zähne ausbeißen.

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Das Problem an Mochizukis mathematischem Manifest? Nur eine Handvoll anderer Mathematiker konnte bisher seinen umfassenden Erklärungsversuch nachvollziehen, der Rest schwankt angesichts der schwindelerregenden mathematischen Rechenwege noch zwischen Skepsis und dem Gefühl völliger Überforderung.

Mochizuki hat mit seiner Veröffentlichung ein undurchdringliches mathematisches Labyrinth erschaffen—selbst hochintelligente Zahlentheoretiker tun sich schwer damit, seinen Gedankengängen zu folgen. Um Mochizukis Beweis zu verstehen, muss man zunächst die Inter-Universelle Teichmüller-Theorie verstehen, doch selbst hier tut sich ein Großteil der renommierten Mathematiker an den weltbesten Universitäten schwer. Mochizuki bringt die globale Mathe-Elite in eine paradoxe Situation: Um den Beweis zu bestätigen, muss man sich zuerst jahrelang intensiv damit beschäftigen—und am Ende könnte sich der Beweis dennoch als falsch herausstellen.

Im Dezember 2014 hatte Mochizuki in einem 17-seitigen Dokument den fehlenden Grips seiner Mathematikerkollegen beklagt. In dem Text beklagt er nicht nur, dass sich keiner wirklich mit seiner Beweisführung auseinandersetzen wolle, sondern wirft einem Großteil seiner Kollegen auch vor, schlicht nicht ausreichend qualifiziert zu sein. In für ein wissenschaftliches Paper ziemlich deutlichen Worten fielen dabei unter anderem die Aussagen wie „komplette Anfänger" und „nicht qualifiziert genug, um ein endgültiges (sprich mathematisch bedeutungsvolles) Urteil […] zu fällen."

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Mathematiker rund um den Globus ließen sich von diesen deftigen Vorwürfen aber nicht entmutigen und nahmen die Herausforderung in einem Workshop an, der vergangene Woche an der Universität Kyoto stattgefunden hat. Der sonst eher zurückgezogene Mochizuki ließ sich sogar dazu bewegen, dem versammelten Publikum aus aller Welt seine Erkenntnisse höchstpersönlich zu präsentieren, was offensichtlich auch Früchte getragen hat. Der Zahlentheoretiker Kiran Kedlaya von der UC San Diego beispielsweise berichtete, dass er immerhin ein Licht am Ende des Tunnels sehe, wenn auch ein sehr weit entferntes. Gegenüber der Fachzeitschrift Nature News erzählte er, dass die Öffentlichkeit frühestens in drei Jahren mit einer Bestätigung rechnen könne, aber dass Mathematiker eine allgemeine Strategie entdeckt haben, die Mochizukis Erklärungen zugrunde liegt, und so einzelne Passagen aus seinem Paper, die offenbar besonders wichtig sind, herausarbeiten konnten.

Außerdem gebe es jetzt bereits zehn andere Mathematiker, die seinen Beweis mittlerweile bestätigt haben, was schon mal ein Fortschritt ist, wenn man bedenkt, dass er nach dem ersten Workshop in Oxford im Dezember 2015 lediglich drei Wissenschaftler von seinen Theorien überzeugen konnte. Schon damals hatten sich angesehen Mathematiker getroffen, um durch ein gemeinsames Brainstorming der Lösung des Paradoxons näher zu kommen. Der als schüchtern geltende japanische Wissenschaftler ließ sich damals jedoch nicht dazu bewegen, die Reise nach Oxford anzutreten und persönlich zu erscheinen, um seine Kollegen bei ihrem Gedankenaustausch mit Input aus erster Hand zu unterstützen. Nur ungern ließ er sich kurzzeitig per Skype zuschalten und war auch hier eher wortkarg. Das war auch der Grund, warum der Workshop nun in Japan stattfand, sodass das Mathegenie keine weiteren Ausreden hatte.

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Dennoch gibt es weiterhin eine ziemlich große Riege an Skeptikern. „Die Konstruktionen sind im Allgemeinen klar, und viele der Ausführungen konnten bis zu einem gewissen Grad nachvollzogen werden, doch die übergeordnete Beweisführung ist mir persönlich immer noch völlig schleierhaft", erklärte der Mathematiker Vesselin Dimitrov von der Universität Yale der Nature. „Erschwerend kommt noch die neuartige, schwer verdauliche Schreibweise hinzu: Die Paper sind anders als alles, was bisher in der mathematischen Literatur erschienen ist." (Dimitrov, dessen Name im Bereich der ABC-Vermutung immer wieder auftaucht, hatte zuvor behauptet, einen Widerspruch in dem Beweis gefunden zu haben, Mochizuki jedoch konnte das Missverständnis auflösen.)

In Facebook-Kommentaren berichtete der Veranstalter des letzten Workshops, der Mathematiker von der Universität Nottingham Ivan Fesenko, dass die Teilnehmer hart gearbeitet hätten und die Atmosphäre durchweg freundlich gewesen sei. Als der Workshop zum Ende kam, seien sie „müde, aber zufrieden" gewesen.

Fesenko rügte auch ein wenig die IUTeich-Skeptiker (von denen es so einige gibt, die Bloggerin „Mathbabe" Cathy O'Neil eingeschlossen) und schrieb „Es stimmt schon, dass diejenigen, die der IUTeich gegenüber eher negativ oder skeptisch eingestellt sind, häufig, wenn nicht sogar immer, am wenigsten Interesse zeigen oder sich am meisten mit detaillierten Fragen zurückhalten. Während des Workshops hat es reichlich Gelegenheiten gegeben, solche Fragen zu stellen, und dienigen, die diese wahrgenommen haben, haben in ihrem Verständnis der IUT auch sichtbare Fortschritte gemacht."

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Ein Beweis der ABC-Vermutung könnte die Anstrengungen aber wert sein. Wie Dimitrov Anfang des Jahres in einem Paper darlegte, könnte Mochizukis Beweis, wenn er denn schließlich als richtig bestätigt wird, eine Antwort auf eine Vielzahl von mathematischen Problemen liefern, einschließlich eines Beweises des Großen Fermatschen Satzes.

Was man sich genau unter der geheimnisvollen Gleichung der ABC-Vermutung vorstellen kann, haben wir hier als Annäherung schon anlässlich des ersten Workshops im vergangenen Jahr erklärt:

Die Formel besteht aus den natürlichen Zahlen a, b und c, wobei c die Summe aus a und b ist und alle drei Zahlen keine gemeinsamen Teiler besitzen
(außer 1, aber jede Zahl ist durch 1 teilbar): a + b = c .

Ein Beispiel: 25 + 26 = 51

In dieser Rechnung sind alle Zahlen teilerfremd, denn sie enthalten keine gemeinsamen Primfaktoren: 25= 5 x 5; 26= 2 x 13; 51= 3 x 17

Die Variablen in der IUT werden auf faszinierende Weise in ein Verhältnis zueinander gesetzt. Wenn man es mit einem Beispiel aus der menschlichen Evolution vergleichen würde, wäre das, wie herauszufinden, in welcher Beziehung drei Menschen zueinander stehen, die scheinbar nichts verbindet außer ihren allerersten Vorfahren (was der Zahl 1 entsprechen würde).

Was bewiesen werden muss, ist, dass es für eine andere, vierte Zahl d eine endliche Anzahl von Dreier-Sets gibt (as, bs und cs, die in die oben aufgeführte Gleichung passen), sodass c größer ist als d hoch eine positive Zahl, die ungleich 1 ist. Diese Zahl d muss außerdem noch gewisse Bedingungen erfüllen; sie muss das Produkt der Primfaktoren von a, b und c sein. Irgendwie sind diese drei Zahlen, die eigentlich keinen gemeinsamen Teiler haben, also dennoch durch ihre Faktoren miteinander verbunden.

Wenn man sich die Vermutung genauer anschaut, dann fällt auch ihre mathematische Eleganz auf: Drei scheinbar mathematisch eindeutig Fremde sind letztendlich doch auf gewisse Weise miteinander verwandt. Es ist eine einfache Aussage, doch der Beweis dafür ist offensichtlich alles andere als einfach.