438 Gründe, warum Zuckerberg bald wegen Volksverhetzung angeklagt werden könnte

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438 Gründe, warum Zuckerberg bald wegen Volksverhetzung angeklagt werden könnte

Eine Klage sorgt weltweit für Schlagzeilen: Facebook-Manager sollen juristisch für Hasskommentare mitverantwortlich gemacht werden. Die Anzeige basiert auf einer Liste von Hass-Posts, die wir heute in aufgearbeiteter Form veröffentlichen.

Vor zwei Wochen sorgte eine knappe juristische Mitteilung aus München weltweit für Aufsehen: Die Staatsanwaltschaft prüft, ob Mark Zuckerberg und weitere führende Facebook-Manager bald wegen Beihilfe zur Volksverhetzung auf der Anklagebank sitzen. Es wäre das erste Mal in der seit Jahren andauernden Debatte um Hasskommentare, dass nicht nur einzelne User belangt werden—sondern dass gegen Facebook-Manager als Verantwortliche ermittelt wird.

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Eingereicht wurde die Anzeige vom Würzburger IT-Anwalt Chan-jo Jun. Er sammelt und meldet laut eigener Aussage schon seit über einem Jahr Hasskommentare und hat daraus eine Tabelle mit 438 Posts erstellt, die die Grundlage der Klage darstellt. Da wollen User „die Öfen" wieder anmachen, während andere wahlweise die Vergasung, Verbrennung oder Vergiftung von Flüchtlingen herbei fantasieren. Die Liste, die Motherboard heute in aufgearbeiteter Form veröffentlicht, offenbart anhand von 48 dieser Posts, die noch immer online sind, das ganze Ausmaß des Hasses im Netz.

Facebook selbst gab sich nach Bekanntwerden der Anzeige unbeeindruckt. Man werde den „Status einer möglichen Ermittlungen" zwar nicht kommentieren, allgemein ist man sich beim Thema Hasskommentare allerdings sicher, als Plattform nichts Illegales zu tun, wie ein Sprecher gegenüber Motherboard betont: „Wir können sagen, dass diese Anschuldigungen jeder Grundlage entbehren und dass keine Verletzung deutschen Rechts durch Facebook oder Facebook-Mitarbeiter stattgefunden hat. Facebook ist kein Ort für Hass."

Die gesamte Tabelle steht hier als PDF auf Google Drive zur Verfügung. Dort finden sich auch alle Verlinkungen auf die einzelnen Posts. Auch ein Download der Datei ist möglich (dazu einfach rechts oben im Fenster auf den Pfeil klicken). 

Unsere Tabelle zeigt nur jene Beiträge aus Juns Liste, die noch heute online sind (mit Ausnahme von einer handvoll Posten, die gesamte Profile und nicht einzelne Posts melden). All diese Posts befinden sich im öffentlichen Bereich bei Facebook und sind für jeden einsehbar.

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Neben dem Inhalt der Beiträge haben wir auch vermerkt, wann und wo genau die Kommentare auf Facebook veröffentlicht wurden. Eine Analyse von Juns gesamter Tabelle zeigt dabei auch, dass Hasskommentare in allen Bereichen des sozialen Netzwerks zu finden sind, egal ob auf privater Pinnwand, auf Seiten oder in Gruppen. Wir haben außerdem die Like- bzw. Mitgliederzahlen der jeweiligen Erscheinungsorte angegeben, um zu verdeutlichen, wie groß das Publikum für diese Art von Posts sein kann.

Obwohl die Kommentare vor Hass und Gewaltverherrlichung nur so triefen, haben wir ihre Verfasser unkenntlich gemacht. Es ist schlicht unerheblich zu wissen, wer sich konkret hinter dem Hass verbirgt. Allerdings haben wir hinter jedem Kommentar den entsprechenden Link auf den Original-Post gesetzt, damit der Kontext der Kommentare besser nachvollziehbar ist. Hintergründe zu unserer Entscheidung, wie wir mit der Identität der Nutzer umgehen, erläutern wir hier.

Warum wir die Identität von Hass-Postern besser schützen als es Facebook tut

Spätestens nach den Grabenkämpfen des US-Wahlkampfes ist klar: Hasskommentare und Online-Hetze sind längst nicht mehr nur ein digitales Problem, sie spielen auch auf der großen politischen Bühne eine Rolle. Der Hass im Netz vergiftet gesellschaftliche Debatten, wird zum Thema in Wahlkämpfen und befördert eine zunehmende politische Spaltung.

Wer ist Schuld am Hass im Netz?

Aber wer ist eigentlich Schuld daran, dass ein soziales Netzwerk wie Facebook längst nicht mehr nur eine Plattform fürs Anstupsen und peinliche Party-Fotos ist, sondern zunehmend auch zu einem Forum geworden ist, in dem sich Volksverhetzung, Mobbing und üble Hassrede finden? Wer ist für die Masse an Hasskommentaren auf Facebook verantwortlich und wie sollten wir als Gesellschaft damit umgehen?

Bereits seit über einem Jahr versucht eine von Bundesjustizminister Heiko Maas gegründete Task Force eine längerfristige Lösung für das Problem zu finden—mit bisher durchwachsenem Ergebnis. Erst vor wenigen Tagen forderten mehrere Landesjustizminister von Heiko Maas, soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter zu schnelleren Löschungen zu drängen.

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Was macht Facebook gegen Hasskommentare?

Wie Facebook selbst das Problem der Hasskommentare konkret lösen möchte, ist nicht ganz einfach in Erfahrung zu bringen: Wenn man mit Mitarbeitern bei Facebook Deutschland spricht, bekommt man den Eindruck, dass das Thema vielen am Herzen liegt. Tatsächlich versucht das soziale Netzwerk mit verschiedenen Initiativen das Problem, das sich insbesondere seit der Flüchtlingskrise zugespitzt hat, anzugehen—von der Unterstützung zivilgesellschaftlicher Initiativen, die mit der sogenannten Gegenrede Hasskommentare richtig stellen sollen, bis zur Beauftragung des externen Lösch-Dienstleisters Arvato.

Ob diese Maßnahmen dem Justizminister reichen, ist offen: Heiko Maas erklärte mehrfach, er erwarte, dass noch mehr gelöscht werde. Allerdings gebe er den Firmen auch noch Zeit. Bis März 2017 laufe eine Überprüfung durch sein Ministerium. Der SPD-Minister drohte mit schärferen Gesetzen, wenn bis dahin nicht genug geschehen sei. Nach welchen Kriterien er entscheidet, ob es eine neue Rechtsprechung geben soll, ist allerdings unklar.

Unabhängige Tests wie beispielsweise von Jugendschutz.net bescheinigen, dass sich Facebook in diesem Jahr beim Entfernen strafbarer Inhalte tatsächlich verbessert habe. Bei der Entfernung von User-gemeldetem Content, der strafrechtlich relevant ist, liegt Facebook mit einer Lösch-Quote von 46% beispielsweise deutlich vor anderen Plattformen wie YouTube (10%) oder Twitter (1%). Auf die Frage, warum Jun nur gegen Zuckerberg und andere führende Manager des Unternehmens klage, hat der Würzburger Anwalt eine knappe Antwort: „Ich habe mich auf Facebook konzentriert, weil ich damit komplett ausgelastet bin. Twitter widme ich mich vielleicht danach."

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Die schwammige Grenze zwischen Hasskommentar und Straftat

Aus Kreisen von Facebook-Verantwortlichen heißt es aber auch, dass die Lösung des Problems nicht allein von dem mit 29 Millionen deutschen Usern größten sozialen Netzwerks ausgehen könne. Überhaupt leide die öffentliche Debatte an einer permanenten Verwischung zwischen Hassrede, die nicht illegal ist, und tatsächlich strafrechtlich relevanten Inhalten—auch das sei nicht hilfreich.

Tatsächlich zeigt auch ein Blick auf Juns Tabelle, dass Hasskommentare eine ganz unterschiedliche Tragweite haben können. In der vollständigen bei der Staatsanwaltschaft München eingereichten Tabelle finden sich immer wieder auch Beiträge, bei denen die strafrechtliche Relevanz zumindest fragwürdig erscheint.

Posts, die dazu aufrufen, „die Ficklinge abzuschlachten" oder „an Ort und Stelle zu liquidieren" wiegen juristisch offensichtlich schwerer als Beiträge, die am Tatbestand der Volksverhetzung wohl um Haaresbreite vorbeischrammen—etwa wenn ein Nutzer fordert, Flüchtlinge nicht mehr Flüchtlinge zu nennen, sondern „einfach Spacken" oder wenn ein anderer für einen „langen und bitterkalten Winter betet", und Geflüchteten damit offenbar irgendetwas zwischen einem ungemütlichen Leben und dem Kältetod wünscht—das wird den Assoziationen der anderen User überlassen.

Meinungsfreiheit vs. Strafgesetzbuch

Auf die unterschiedliche Schärfe der Hassposts in seiner Tabelle angesprochen erklärt Jun, es gehe ihm bei der Anzeige eben nicht pauschal um Hass im Netz, sondern um Inhalte, die gegen deutsches Recht verstoßen. „Hasskommentare sind nicht strafbar", sagte Jun gegenüber Motherboard, „ich habe auch nie von Facebook verlangt, dass sie Hasskommentare löschen sollen, sondern rechtswidrige Inhalte."

Auch wolle er die schwierige Trennlinie zwischen legalen und illegalen Hassposts nicht herunterspielen: „Die Unterscheidung dafür ist nicht trivial. Sie erfordert qualifiziertes Personal, notfalls Anwälte." Daher enthalte seine an die Staatsanwaltschaft übergebene Liste größtenteils Kommentare, die eindeutig als rechtswidrig einzustufen seien, so Jun. Die schwächeren Posts wollte er dennoch in der Tabelle lassen, um besser zu verstehen, was Facebook löscht und was nicht.

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Folgt Motherboard auf Facebook, Instagram, Snapchat und Twitter

In der bisherigen deutschen Rechtsprechung zu Hasskommentaren spiegelt sich ebenfalls der Umstand wider, dass auch Juristen die Einordnung bisweilen schwer fällt, wann eine Aussage von der Meinungsfreiheit gedeckt ist und wann sie nach Paragraph 130 Strafgesetzbuch als Volksverhetzung gilt. Beispielsweise wurde im Februar ein Mann zu einer Bewährungsstrafe von sechs Monaten verurteilt, weil er in einem Facebook-Post Migranten als „Kanakenpack" bezeichnet hatte, die es zu „erschießen und zu vergasen" gelte. Vorläufig eingestellt wurde hingegen ein Verfahren gegen einen Nutzer, der Flüchtlinge unter anderem als „Schmarotzer" beschimpfte und schrieb: „Wenn jemand versucht, meine Frau anzufassen, gibt es eine Neuverfilmung von Rambo."

Wie es jetzt juristisch weitergeht

Bei der aktuellen Anzeige dürfte rechtlich aber ohnehin ein anderer Punkt bedeutend sein: Denn ob die angezeigten Facebook-Manager überhaupt juristisch belangt werden könnten, steht und fällt mit der Frage, wie lange strafrechtlich relevante Posts online geblieben sind, also wie lange Facebook trotz Kenntnisnahme untätig geblieben ist.

Wichtig ist daher vor allem das Datum des Erhalts der Meldung eines Kommentars, wie Jun gegenüber Motherboard erklärt, da die „Straftat möglicherweise erst mit dem Kenntnisstand einer konkreten Person beginnt." Soll heißen: Solange die Facebook-Manager behaupten können, die Posts nicht zu kennen, könnte die Anzeige unwirksam sein. Daher habe er alle 438 Posts zunächst über die normale Meldefunktion von Facebook gemeldet und anschließend, nachdem sie nicht gelöscht wurden, erneut in Form einer Liste per E-Mail übermittelt. (Sowohl Juns E-Mail als auch die Eingangsbestätigung der Facebook-Anwälte liegen Motherboard vor.)

Bei solchen Detailfragen ist die Münchner Staatsanwaltschaft noch lange nicht angekommen; eine etwaige Ermittlung inhaltlicher Fragen ist noch weit entfernt. Gegenüber Motherboard erklärt ein Sprecher, man prüfe zunächst, ob man überhaupt örtlich zuständig sei. Erst im nächsten Schritt ginge es um die Frage, inwieweit Juns Tabelle strafrechtlich Relevantes enthalte und ob deutsches Recht anwendbar sei.

Es lässt sich nur vermuten, dass man in München schon weiter ist als damals die Hamburger Staatsanwaltschaft, die im Frühjahr Juns erste Anzeige bearbeitete, aber mit der Begründung abwies, deutsches Recht sei nicht anwendbar. Die „Aufnahme von Ermittlungen" seien so „Begrifflichkeiten, die in den Raum gestellt werden", wiegelt der Sprecher ab: Bislang nehme man die Anzeige so ernst, wie man jede eingegangene Anzeige ernst nehme.

Der bayerische Justizminister soll sich da laut dem Kläger Jun schon eindeutiger geäußert haben. Auf eine Anfrage des Würzburger Anwalts an Winfried Bausback hätte dieser erklärt, die Hamburger Auffassung sei „falsch" gewesen und „deutsches Recht eben doch auf Facebook anwendbar." Ob das zutrifft, wird sich zeigen.