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Was wäre passiert, hätte man die Bombe von Hiroshima über Berlin abgeworfen?

Ein interaktiver Datensimulator zeigt das verheerende Vernichtungspotenzial nuklearer Waffen und unterstreicht einmal mehr die schiere Notwendigkeit des globalen Abrüstens.

Foto: Screenshot What if your hometown were hit by the Hiroshima atomic bomb? 

Am 6. August 1945 setzten die USA zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit eine Atombombe zu Kriegszwecken ein und machten damit die japanische Stadt Hiroshima samt seiner Einwohner dem Erdboden gleich.

Trotz globaler Abrüstungsabkommen gibt es auch 70 Jahre nach dem ersten Atomschlag noch immer zahlreiche Atomsprengköpfe in den militärischen Arsenalen dieser Welt. Doch selbst aus kriegsstrategischer Sicht waren die fatalen US-Atombombenabwürfe absolut überflüssig—darin sind sich Historiker inzwischen weitgehend einig, wie eine hervorragende ARD-Doku erst kürzlich eindrucksvoll zeigte. Trotzdem mussten in Hiroshima und Nagasaki allein in den ersten 24 Stunden nach den Abwürfen über 100.000 Menschen qualvoll sterben.

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Auch nicht gerade eine strategisch clevere Idee: Verkauft Deutschland gerade den Schlüssel zur Atombombentechnologie?

Dem Ausmaß dieser menschlichen Tragödie werden Worte kaum gerecht, und so haben sowohl der Wissenschaftshistoriker und Programmierer Alex Wellerstein als auch Datenjournalist Kuang Keng Kuek Ser zwei interaktive Simulatoren kreiert, die anhand von Google Maps die Auswirkung eines Atombombenabwurfs über einem beliebigen Ort auf dieser Welt visualisieren. Sie führen uns die unglaubliche Verwundbarkeit einer Welt der Atomwaffen vor Augen und mahnen, diese grausame Epoche menschlicher Technologiegeschichte nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

Kuang Keng stellt uns mit seinem Modell eine simpel gehaltene Visualisierung zur Verfügung, für die er ein grafisches Muster von vier Detonationszonen über einen beliebigen Ort auf der Welt legt. Das Muster basiert auf einer medizinischen Studie der Yale-Uni zur Bombe von Hiroshima.

Wellerstein dagegen hat seinen komplexeren Simulator über einen Zeitraum von drei Jahre entwickelt. Sein Programm verdeutlicht den Nutzern die verheerenden Effekte der verschiedenen von der Menschheit entwickelten Atombomben unter spezifischen Bedingungen wie Windstärke oder Detonationshöhe mit Hilfe diverser grafischer Filter (ionische Strahlung, thermische Strahlung, Druckstärke etc.).

Wellerstein hat sich als Wissenschaftshistoriker am Stevens Institute of Technology in New Jersey auf die internationale Geschichte der Atomwaffen und ihrer Geheimhaltung spezialisiert. In zahlreichen Veröffentlichungen geht er der Frage nach, welche strategischen Alternativen der Kriegsführung es damals zu den Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki gegeben hätte. Auch in seinem Blog Restricted Data untersucht er, warum sich die USA trotzdem dazu entschieden, japanische „Zivilisten lebendig zu verbrennen" und welche Schuld auch das japanische Kaiserhaus trug, das die eigene Bevölkerung nicht nur in Form jugendlicher Kamikaze-Piloten verheizte.

Nehmen wir nun also an, die Bombe von Hiroshima—aufgrund ihrer im Vergleich zur Bombe von Nagasaki geringeren Sprengkraft vom US-Militär zynisch Little Boy getauft—würde auf das heutige Berlin (Wellerstein greift auf demografische Daten von 2011 zurück) in einer Höhe von rund 500 Meter (wie Little Boy über Hiroshima) über dem Alexanderplatz detonieren: Laut Wellersteins Simulator wären 62.820 Personen auf der Stelle tot, 153.260 schwer verletzt. 95% der Menschen im Umkreis von einem Kilometer würden innerhalb einiger Stunden bis weniger Wochen an den Folgen der Strahlung sterben.

Ließe man dagegen den aktuell potentesten französischen Nuklear-Sprengkkopf TN 81 über der deutschen Hauptstadt los, läge die Anzahl sofortiger Opfer schon bei 336.110, die Verletzen bereits bei knapp einer Million. Wellersteins dystopische Statistik-Spielereien mögen in Form eines interaktiven Datentools für den eigenen Browser für manchen nach einer makaberen Spielerei aussehen. Andererseits führen sie mit Hilfe nackter Zahlen und Daten das verheerende Potential atomarer Waffen vor Augen und erinnern daran, dass Global Zero auch im 21. Jahrhundert eines der wichtigsten—noch immer unerreichten—weltpolitischen Ziele bleiben muss.