Die Berliner Plattform Workeer vermittelt Jobs an Flüchtlinge
David Jacob und Philipp Kühn haben sich das Projekt workeer ausgedacht. Bild: privat

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Die Berliner Plattform Workeer vermittelt Jobs an Flüchtlinge

Zwei Stundenten aus Berlin haben eine Plattform programmiert, über die Flüchtlinge Jobs finden können, um endlich nicht mehr zum Rumsitzen verdammt zu sein.

Full Disclosure: Ich habe als Bachelorarbeit irgendeinen lieblos zusammengekloppten Scheiß vorgelegt, den ich mir in den letzten zwei Wochen vor Abgabe aus den Fingern gesaugt habe. Zum Glück hat aber nicht jeder eine solch nihilistische Einstellung zu seinem Abschlussprojekt.

David Jacob und Philip Kühn haben als Krönung ihres Kommunikationsdesign-Studiums an der Berliner HTW eine Plattform entwickelt, die das Zeug hat, eine der schlimmsten Konsequenzen verfehlter Flüchtlingspolitik ganz praktisch anzugehen: Das erzwungene Nichtstun der nach Deutschland Geflüchteten; denn Refugees wird in diesem Land bis zum Abschluss ihres Asylprüfverfahrens durch ein ausgeklügeltes technokratisches System das Arbeiten so gut wie unmöglich gemacht.

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Noch ein ziemlich tolles Berliner Studentenprojekt für Flüchtlinge: Die Wings University will die erste Online-Uni für Flüchtlinge werden

Die Plattform workeer setzt genau dort an und ist somit die erste spezielle Jobbörse, auf der Geflüchtete und Arbeitgeber zusammenkommen sollen. Obwohl die Seite erst in der Betaphase ist, ist die Resonanz bereits nach wenigen Tagen enorm—täglich tragen sich dort mehr Menschen und Unternehmen ein, die Stellen suchen beziehungsweise besetzen wollen. Ich habe einen der Initiatoren, David Kühn, mal gefragt, wie das eigentlich funktionieren soll:

Hallo David. Ihr seid erst an diesem Montag live gegangen—wie konnten überhaupt schon so viele Menschen von der Plattform erfahren? Das hat sich total verselbstständigt, und daran sind die sozialen Netzwerke wohl zumindest teilweise schuld. Wir haben ein paar Mal über workeer getwittert, hatten dann gleich 1100 Retweets und auch über Facebook kam sehr viel Zuspruch und unsere Artikel wurden oft geteilt. Dabei haben wir wirklich gerade eben erst unsere Präsentation an der Hochschule gehalten.

Und ich hab gedacht, ich kann jetzt erstmal schön die Beine hochlegen mit meinem Bachelor. Wird wohl nix. :( #workeer #refugeeswelcome
— Philipp Kühn (@_philippkuehn) July 27, 2015

David und Jacob stellen ihr Projekt bei ihrer Bachelor-Präsentation an der HTW Berlin vor. Es gab—verständlicherweise—sehr gute Noten.

Wie hilft die Jobbörse Geflüchteten genau?

Du kannst dich als Arbeitgeber anmelden und Jobinserate erstellen, und du kannst dich als Geflüchteter mit einem Profil anmelden, Jobs suchen und Kontakt herstellen.

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Zahnärzte wie Shadi, die bei Joey's Pizza ausliefern—vielleicht kann workeer helfen, diese Lebensläufe in eine etwas angemessenere Richtung zu lenken. Bild: Screenshot workeer

Haben sich denn schon ein Bewerber und ein zukünftiger Arbeitgeber zusammengefunden?

Nee, das wäre auch noch etwas früh. Sollte jemand einen Geflüchteten einstellen, dann erwartet ihn noch ein bisschen Papierkram bei der Behörde, der sich gut und gerne noch 4-6 Wochen hinziehen kann. Das können wir dem Arbeitgeber leider nicht abnehmen.

Wie funktioniert das denn nun rechtlich? Die Gesetzeslage in Deutschland ist doch absichtlich so gestaltet, dass Flüchtlinge vom Arbeitsmarkt ferngehalten werden.

Ja, aber auch da gibt es Ausnahmen. Zum Beispiel darf jeder nach drei Monaten in Deutschland eine Ausbildung beginnen. Allerdings erst nach einer sogenannten Vorbehaltsprüfung, bei der entschieden wird, ob es jemanden aus Deutschland oder der EU gibt, der diesen Job übernehmen kann. Früher waren die Vorgaben sogar noch restriktiver. Wir wollen vor allem einen ersten einfachen Kontakt zwischen Bewerber und Arbeitgeber herstellen, dann müssen Fälle individuell geprüft werden. Es wäre schön, wenn Unternehmen mit Ausbildungsprogrammen helfen könnten, vielleicht benötigte Abschlüsse nachzuholen.

Wie kamt ihr denn auf die Idee einer Jobbörse für Flüchtlinge? Wir wollten in unserer Abschlussarbeit auf jeden Fall etwas nah am Menschen machen, also nichts Hypothetisches. Außerdem interessieren wir uns für Politik und Flüchtlinge sind ein Thema, an dem man gerade einfach nicht vorbeikommt.

Wir haben dann verschiedenes überlegt—vielleicht etwas zur Wohnungsmarktsituation oder zur Sprachförderung—aber letztlich fanden wir das Themenfeld der Arbeit am Wichtigsten. Ich sehe gerade auf Twitter ziemlich bescheuerte Hate-Mails und Nachrichten von offensichtlichen Ausländerfeinden zum Thema Workeer. Habt ihr sowas schon öfter bekommen und wie geht ihr damit um? Es gab vereinzelte Mails dieser Art und auch ein paar Tweets an uns. Bis jetzt hält es sich aber in Grenzen finde ich. Philipp reagiert ja ab und an ironisch darauf, ich versuche es einfach zu ignorieren. Insgesamt lassen wir das nicht an uns ran, würde ich behaupten.

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Ach… das versüßt mir den Morgen <3 pic.twitter.com/sc11s6YYsF
— Philipp Kühn (@_philippkuehn) July 29, 2015

Habt ihr denn ansonsten schon viel Feedback bekommen?

Ja, total. Die meisten schreiben einfach nur „tolle Idee" oder „vielen, vielen Dank", sowohl die Flüchtlinge als auch die Arbeitgeber.

Gibt es denn noch etwas, das ihr noch verbessern wollt oder was ihr schon als mögliches Problem identifiziert habt? Es scheint noch etwas Verwirrung darüber zu geben, wie die Plattform eigentlich genutzt werden kann. Zum Beispiel haben uns einige Flüchtlinge, vermutlich durch die Sprachbarriere, einfach einen Lebenslauf oder eine Vorstellung an unsere Kontakt-Mailadresse geschickt. Auf der anderen Seite haben uns Arbeitgeber kontaktiert und wollten wissen, wie viel denn nun ein Inserat kosten würde. Dass die Plattform leicht zugänglich und kostenlos für alle sein sollte, müssen wir wohl noch herausstellen.

Wie geht es denn jetzt weiter mit workeer? Habt ihr vor, ein Team aufzubauen, das euch unterstützt?

Eigentlich ja, aber das ist noch nicht so sicher. Wir haben halt beide schon Jobs, die uns eigentlich einbinden. Außerdem brauchen wir ein bisschen Geld für den Ausbau der Plattform.

Aber unser Ziel ist es auf jeden Fall, Ende des Jahres mit einer finalen Version online zu gehen. Bis dahin haben wir hoffentlich genug Feedback gesammelt, um die gröbsten Fehler auszumerzen und den ganzen Prozess noch zu vereinfachen. Und dann wird es die Seite endlich auch mehrsprachig geben.

Vielen Dank!