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Sollten Roboter Sterbehilfe leisten dürfen?

Viele zu viele Fragen der Robo-Ethik sind noch ungeklärt. Wir müssen dringend über eine moralische Automatisierung diskutieren.

Von seiner Verankerung über ihrem Bett starrt der Roboter auf die kranke alte Frau herab. Sie windet sich vor Schmerzen und versucht erfolglos mit einer Folge von Befehlen die Maschine dazu zu bringen, ihr das verlockende orangefarbene Fläschchen zu reichen. Doch der Roboter mit dem unbeweglichen Plastikgesicht wurde ihr vom Krankenhaus zur Pflege bereitgestellt. Maschinell effizient kümmert er sich um ihre Bedürfnisse und ignoriert dabei verlässlich ihren eigenen Willen.

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Hätte sie doch nur ein Kind, denkt sie zum tausendsten Mal, vielleicht gäbe es dann noch jemanden, der ihr beim Sterben behilflich wäre.

Solche hypothetischen Szenarien veranlassten ein kleines Team kanadischer und italienischer Forscher zur Gründung der Open Roboethics Initiative (ORi). Vor zwei Jahren fanden sich die Wissenschaftler an der University of British Columbia (UBC) zusammen und beschäftigen sich seit dem mit moralischen Fragen der Robotik:

„Ethische Verhaltensgrundsätze werden zunehmend wichtiger für die moderne [automatisierte] Gesellschaft", sagte ORi-Mitglied und UBC-Professor Mike Van der Loos. „Es ist wichtig, dass wir uns damit auseinandersetzen."

Bisher hat die Initiative eine Reihe von Onlinebefragungen durchgeführt, um mehr über die öffentliche Meinung zu Fragen der Roboterethik herauszufinden, und zu ermitteln, welche Szenarien noch akzeptiert werden und welche auf Ablehnung stoßen.

Kann es unter Umständen überhaupt ethisch vertretbar sein, den menschlichen Kontakt einer alten Person größtenteils durch Roboter zu ersetzen? Sollte es einem Minderjährigen erlaubt sein, alleine hinter dem Steuer eines selbstfahrendes Auto zu sitzen? Sollte ein Roboter einen Einbrecher davon abhalten können, in das sonst unbewachte und verlassene Haus seines Besitzers einzudringen?

Die Forscher hoffen, durch ihr Stimmungsbild, das möglichst ein gesamtes Spektrum abdecken soll, den möglichen Fallstricke und Kritikpunkte in diesem komplizierten Feld schon frühzeitig begegnen zu können.

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Wie fühlt es sich an, wenn sich ein sozialer Roboter immer in deiner Nähe aufhält?

Wenig überraschend ist, dass ORi zunächst die Moral selbstfahrender Autos untersuchte, schließlich ist diese Realität nicht mehr allzu weit von unserem Verkehrsalltag entfernt. Auf welcher Grundlagen sollten selbstfahrende Fahrzeuge jedoch im Angesicht eines unvermeidbaren Unfalls in sekundeschnelle die moralische richtige Entscheidung treffen?

Sollte das Fahrzeug die Sicherheit seiner Insassen oder die Minimalisierung des Gesamtrisikos für alle Verkehrsteilnehmer bevorzugen? Die Meinung unter den Befragten ging bei Fragen wie diesen weit auseinander. Vor die Wahl gestellt, ob lieber der Passagier oder ein Kind auf dem Fußgängerweg dem tödlichen Unfall zum Opfer fallen sollte,  ​entschieden sich zwei Drittel für den Tod des Kindes.

„Das Auto sollte mich beschützen", fasste ein anonymer Teilnehmer zusammen. „Ich habe es schließlich gekauft."

Zum Glück ist nicht jedes robo-ethische Dilemma so komplex und bedeutet eine Entscheidung über Leben oder Tod. Eine Umfrage über angemessene Badezimmer-Assistenzen legte zum Beispiel nahe, dass ein automatisiertes Bad zwar nicht unbedingt zur Komfortsteigerung geneigt wäre, dass es aber im Falle einer nötigen Assistenz jegliche fremde, menschliche Blicke in intimen Situationen fern hält.

Der Juraprofessor Ryan Calo von der University of Washington erzählte Motherboard, dass Fragen von Privatsphäre und Intimität im Verhätltnis zwischen Mensch und Roboter noch wesentlich sensibler sind als es die ORi-Daten nahelegen. Untersuchungen zeigen, dass die Anwesenheit eines  ​humanoiden Roboters den gleichen Effekt wie eine menschliche Präsenz haben kann. Privatsphäre, sagte er, „bedeutet nicht nur, dass ein Roboter Informationen sammelt und diese an Dritte weitergibt, sondern auch, wie es sich anfühlt, wenn sich ein sozialer Roboter permanent in deiner Gegenwart aufhält."

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Wer ist haftbar bei einem extern programmierten Roboter, der Menschen verletzen kann?

Der situationsbedingte Kontext spielt ebenfalls eine große Rolle, bei der Entscheidung welche für einen Roboter handlungsleitend sein sollten. Gesundheitliche Fragen sollten darüber entscheiden, ob einem Alkoholkranken ein Glas Wein gereicht wird, doch Sorgen um die Wahrung der persönlichen Freiheit könnten beispielsweise auch dazu führen, einem Patienten mit hohem Blutdruck einen Cheeseburger zu servieren.

Die Forscher fanden heraus, dass selbst subtile Veränderungen die Prioritäten einer moralischen Entscheidungsfindung stark beeinflussen können. „Es gibt für verschiedene Personen Schlüsselfaktoren", erklärte Shalaleh Rismani, vom ORi. „Diese können eine Situation vollständig umdrehen. Die Besitzverhältnisse (des Roboter) sind extrem wichtig, genauso wie Privatsphäre, Kontrolle und Sicherheit."

Calo hat ausführlich über die potentiellen ethischen Probleme geschrieben, vor die uns die Open-Source-Entwicklung von Robotiksoftware stellen könnte. Was passiert, wenn jeder befugt ist, den Code eines kommerziellen Roboters abzuändern? Calo sieht hier sowohl ganz neue juristische als auch moralische Kontroversen auf uns zukommen: „Wie gehen wir mit der Haftung bei einer physischen Einheit um, die körperliche Schäden verursachen kann und auf dem der Code von Dritten läuft?"

Die Experten am ORi geben freimütig zu, dass Umfragen nur ein erster Schritt in Richtung einer vernünftigen Robotergesetzgebung sein könnten. Dennoch glauben die Wissenschaftler, dass eine Befragung der öffentlichen Meinung wichtig ist, um zu vermeiden, „dass ein oder zwei Ingenieure einfach nach Gutdünken entscheiden können."

Es wäre eine Zukunft, in der die kritischen ethischen Fragen einer revolutionären Technik, die unseren Alltag radikal verändern wird, bis zum Zeitpunkt der Marktreife überhaupt nicht diskutiert würden. Von maschinenassistiertem Suizid bis hin zur kommerziellen Drohnennutzung in städtischen Wohngebieten werden durch Roboter neue ethische Probleme aufgeworfen—und zwar in derselben Geschwindigkeit, mit der Ingenieure die Automatisierung vorantreiben und Maschinen mit neuen autonomen Fähigkeiten ausstatten.

ORi hat noch viel Arbeit vor sich. Heute widmet die High-Tech-Industrie der Roboterethik höchstens peripher ihre Aufmerksamkeit. Eine Finanzierung für Forschungsansätze, wie sie das ORi-Team verfolgt, war bisher stets nur schwerlich aufzutreiben. Trotz der spannenden Kontroversen leiden auch manche der Umfragen noch immer an einer zu geringen Teilnehmerzahl. ORi will sich nun über Elon Musks Future of Life-Projekt um weitere finanzielle Unterstützung bewerben. Momentan sieht es so aus, als seien solche explizit futuristischen Organisationen die einzigen Kandidaten für substantielle solche Unterstützung.

„Die Probleme werden nicht weniger werden", beharrt Rismani. „Wir wollen weiter machen, bis es keine offenen Fragen mehr gibt."