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Hinter den Kulissen der düsteren Nekrophilen-Pornos

Für wenige hundert Euro kann jeder im Netz seine noch so morbiden Fantasien verfilmen lassen. Ein Ausflug in eine abgeschottete Szene.
Foto: Chau kar Man/Flickr | CC BY-NC-ND 2.0 

Wir bilden uns gerne ein, dass nur die grausamsten Serienmörder und psychisch kranke Menschen den Anblick einer Leiche erregend finden. Doch die Wissenschaft zeichnet ein etwas anderes Bild: Die wenigen Studien, die es zum Thema Nekrophilie gibt, zeigen, dass auch Menschen, die als mental gesund eingestuft werden, zumindest morbide Neigungen entwickeln können. Nekrophilie ist außerdem weiter verbreitet, als man gemeinhin denkt. Wem wissenschaftliche Einschätzungen allein nicht ausreichen, der kann auch einfach ein paar einschlägige Begriffe bei Google eintippen.

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Im Netz finden sich unzählige erotische und pornographische Aufnahmen, die Mordfantasien bedienen. Dabei sind jene Videos, an die man auf legalem Weg kommt, nur gestellt: Bei Mörder und Opfer handelt es sich um Schauspieler, die vermeintlich tödlichen Wunden bestehen aus Make-up und Kunstblut.

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Viele dieser produzierten Filme richten sich an Nekrophile, also Menschen, die sich von Leichen sexuell angezogen fühlen. Andere Aufnahmen zielen auf ein Publikum, das sich eher durch Mordfantasien erregt fühlt. Meist sind die Aufnahmen nach der abgebildeten Todesart kategorisiert, denn der Moment des Erhängens, Ertrinkens oder Erstechens des meist weiblichen Opfers steht im Mittelpunkt der Produktionen.

Je nach Genre wird auch angezeigt, was mit der Leiche nach ihrem Tod passiert; welche sexuellen Handlungen an ihr durchgeführt werden. Doch wer steckt eigentlich hinter diesen Aufnahmen und wie sieht es in den abgeschotteten Online-Foren aus, ohne die diese Szene gar nicht funktionieren würde?

Am Anfang stand jede Menge Kunstblut

Ausschnitt aus einem gestellten Nekrophilen-Porno, den Motherboard einsehen konnte.

Zwar gibt es viele Produzenten von Nekrophilen-Pornos, doch niemand beherrscht das Nischen-Genre so gut wie John Marshall. Die Karriere des US-Amerikaners begann durch einen Zufall: In den 1990er-Jahren stieß Marshall auf eine Website namens Necrobabes. Laut Selbstbeschreibung "ein Ort für Menschen, die vom Tod fantasieren".

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Gegen Bezahlung zeigte die Seite Bilder von nachgestellten Morden. Inspiriert durch die nackten jungen Frauen, die leblos in der Badewanne treiben oder mit Kunstblut überströmt am Boden liegen, traf der damals 24-Jährige eine Entscheidung: Die Filmkarriere, von der er vor seinem BWL-Studium immer geträumt hatte, war plötzlich in greifbare Nähe gerückt.

Im Herbst 1997 gründete John Marshall gemeinsam mit Hank Samuels das Studio Rue Morgue Entertainment. Schnell spezialisierten sich die Männer auf erotische Aufnahmen für Todes-Fetischisten. Um die Kundschaft zufriedenzustellen, versuchte das Künstlerduo sich bei jeder neuen Produktion selbst an Fantasie und Einfallsreichtum zu übertreffen.

Im Film Drowning the girl beispielsweise ertränkt ein Mann eine Frau in der Badewanne. Während er ihren Körper streichelt, flüstert er: "Du wirst dich jetzt nicht dagegen wehren, oder?". In Execution wird eine junge Frau von zwei Soldaten entführt, hingerichtet und begraben. Das, was Rue Morgue Entertainment damals produziert, ist mit dem Label Trashfilm gut beschrieben: Die Schauspieler wirken ungelenk, die Spezialeffekte sind auffällig und manchmal blinzeln die Leichen versehentlich in die Kamera.

Für ein paar Hundert Euro wird jede Fantasie verfilmt

Trotzdem haben die beiden Männer mit ihren Filmen Erfolg. Besonders beliebt sind ihre Spezialanfertigungen. Diese richten sich ganz nach den Wünschen der nekrophilen Kundschaft. Um die eigenen Fantasien verfilmen zu lassen, mussten die Kunden nur über die Website Kontakt mit den Produzenten aufnehmen – und natürlich ein paar Scheine hinblättern. Die Preisen beginnen bei 800 US-Dollar. Für diese Summe konnte man beispielsweise eine Strangulation oder einen Mord durch eine "einfache Wunde" bestellen.

Für einen Tod durch Erhängen, Ertränken oder eine "komplexe Wunde" mussten Kunden hingegen schon 1.100 US-Dollar löhnen. Seit 2006 ist die Website von Marshall und Samuels offline, da sich die beiden Geschäftspartner getrennt und ihr Business aufgegeben haben. Auch ihre speziell angefertigten Produktionen gibt es seitdem nicht mehr.

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Bis zum Ende ihrer Firma haben Marshall und Samuels beinahe 400 Filme und mehrere tausend Fotos zusammen produziert. Rue Morgue Entertainment führte Marshall als Erotik-Label fort und startete außerdem das Studio Peachy Keen Films, das sich auf Pornos mit sexuell motivierten Morden und Nekrophilie konzentriert. Diese neuen Filme sind realistischer geworden, und auch sein Angebot an Auftragsvideos hat Marshall erweitert. Außerdem gründete er verschiedene Websites für weitere Nischen-Fetische, die beispielsweise Fantasien mit Mutanten, Zeitreisen und Krankenhäusern bedienen.

Heute ist John Marshall 46 Jahre alt. Da sein Studio Peachy Keen Films sich ziemlich erfolgreich entwickelt, ist er in den letzten Jahren zu einem der gefragtesten Produzenten des Nekrophile-Genres aufgestiegen. Inzwischen hat er über 3.000 Filme produziert, 60 Prozent davon Kundenaufträge. Neben Marshall tummeln sich längst noch weitere Studios auf dem Markt. Auch andere Studios bieten ihren Kunden maßgeschneiderte Produktionen an, haben sich auf bestimmte Todesarten oder Fantasien spezialisiert. Bei Pontus Media Productions werden beispielsweise ausschließlich kämpferische Frauen, wie Amazonen, Gladiatorinnen und moderne Soldatinnen, gezeigt.

Einer von Marshalls größten Konkurrenten, Psycho Thrillers, hat mehrere hundert Titel in der Datenbank, die sich auf Tod durch Ersticken konzentrieren. Auch wenn Psycho Thrillers keine Filme nach Kundenwünschen dreht, hat die Produktionsfirma einen anderen Trumpf in der Hand: In den Filmen spielen auch Pornodarstellerinnen mit, die man aus Mainstream-Produktionen kennt. Darunter sind Jada Fire, Sophie Dee und Sasha Grey.

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"Ein sicherer Hafen": Die Foren der Nekrophilen-Community

Unsere Anfrage auf ein Interview lehnte der Filmemacher John Marshall mit der Begründung ab, er wolle sich nicht von "Menschen stören lassen, die das Konzept der Fiktion nicht verstehen". Diese Abschottung ist typisch für die Mitglieder der nekrophilen Szene. Im Netz verhalten sich Nekrophile meist sehr diskret, teils aus freien Stücken, teils, weil ihnen keine andere Wahl bleibt. Denn die meisten großen Pornoseiten wie Pornhub oder xHamster haben klare Regeln gegen Aufnahmen mit nekrophilen Szenen. Selbst Seiten, die nach eigenen Angaben auch ausgefallene Fetische bedienen, wollen von Nekrophilie nichts wissen. Darum haben sich Nekrophile in ihrer eigenen kleinen Ecke des Internets völlig abgeschottet.

Eines der wenigen Foren, das Nekrophilen Zuflucht bietet, ist Fet Noir. Der Gründer, Christopher Brown, beschreibt seine Seite als "einen sicheren Hafen für die Community". Nur Leute, die ihre Mitmenschen hassen oder tatsächlich jemandem Schaden wollen, sind hier unerwünscht. Fet Noir besteht aus vielen Unterforen, die Nekrophilie in allen Farben und Formen Platz gibt, von Gedichten bis hin zu animierten Bildern. Seit seiner Gründung 2012 hat das Forum über 2.000 Mitglieder gewonnen. Fet Noir ist so populär, dass es jedes Jahr einen eigenen Preis für die besten nekrophilen Künstler und die besten Produktionen des Jahres vergibt, den Masterson Award.

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Doch Fet Noir ist nicht der einzige Treffpunkt für die nekrophile Community. Das Forum Femme Fatalities hat fast 8.000 Mitglieder, während das Forum des Studios Peachy Keen Films über 3.000 Mitglieder zählt. All diese Foren haben eine Gemeinsamkeit: Sie haben eine Produktionsfirma im Rücken. Femme Fatalities gehört zu Bluestone Silk Videos und Christopher Brown vertreibt seit 2011 über das Label Chris' Corner Videos eigene nekrophile Filme.

Wenig Geld, keine Wochenenden: Die Arbeitsbedingungen der Branche sind hart

Auch wenn der Markt für nekrophile Videos offenbar boomt, ist die Arbeit in der Branche hart und schlecht bezahlt. Der Leistungsdruck ist hoch, die Kunden anspruchsvoll und Raubkopien schädigen das Geschäft. Der Produzent Christopher Brown berichtet, dass er von dem Job allein nicht leben kann: "Momentan mache ich mit den Aufnahmen keinen Gewinn", erklärt er gegenüber Motherboard. Früher habe er mit seinen Spezialanfertigungen noch gutes Geld verdient, aber heute wüssten die Kunden, dass sie ihn runterhandeln können.

Selbst diejenigen, die laut eigener Aussage mit den Nekrophilen-Pornos besseres Geld verdienen, lassen den Job aus Arbeitnehmersicht nicht sehr attraktiv klingen. Mick arbeitet als Regisseur für ein Studio, das für 80 bis 200 Dollar Filme nach Kundenwünschen erstellt. Letztes Jahr hat er 50.000 US-Dollar Gewinn gemacht, sagt er. "Das ist nicht schlecht", erzählt er uns. "Aber dafür arbeite ich zehn bis zwölf Stunden am Tag. Sonn- und Feiertage kenne ich nicht." In diesem Pensum produziert er 20 bis 30 Filme im Monat. Dabei muss er sich um alles selbst kümmern: "Ich spreche mit den Kunden, caste die Schauspieler und organisiere die Dreharbeiten. Dann schneide ich den Film, kümmere mich um den Versand, die Ausstrahlung und die Werbung." Manchmal spielt er in seinen eigenen Produktionen auch gleich selbst noch den Mörder.

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"Bis die Erde explodiert": Die Produzenten denken noch lange nicht ans Ende

Auch wenn es viele unterschiedliche Studios für Nekrophilen-Pornos gibt, scheinen viele Fäden bei John Marshall zusammen zu laufen. Denn fast jeder, mit dem wir sprachen, hat schon mal mit dem Altmeister zusammengearbeitet. So war Christopher Brown viele Jahre lang als Schauspieler für Peachy Keen Films tätig, bevor er sich selbstständig machte. Bei den Dreharbeiten in einem Stripclub, den Brown leitete, erkannte Marshall sein Potenzial als Schauspieler. Doch nach ein paar Jahren gerieten die beiden Männer in einen Streit und Brown gründete seine eigene Firma, Chris' Corner Films.

Auch Mick erlernte die Kunst der Nekrophilen-Pornos unter der Leitung von John Marshall. Peachy Keen Films gab dem Produzenten die ersten Aufträge, doch die Zusammenarbeit lief nicht wie geplant. "Eigentlich wollten sie mich fest einstellen", erklärt Mick. "Doch wir hatten künstlerische Differenzen. Also drängten sie mich aus der Firma, und ich gründete mein eigenes Studio."

Angeblich hat John Marshall nicht immer mit sauberen Mitteln gearbeitet. Brown sagt, dass sein früherer Boss ihn über den Tisch gezogen habe, indem er die ersten 200 Filme von Brown urheberrechtlich schützen ließ. "Dabei habe ich die Filme gedreht, geschnitten und veröffentlicht. Inzwischen glaube ich nicht mehr daran, dass ich jemals meine Anteile dafür erhalten werde", erklärt Brown resigniert.

Trotz der Vorwürfe seiner ehemaligen Mitarbeiter ist und bleibt Peachy Keen Films die beliebteste Anlaufstelle in der nekrophilen Community. Auf NicheClips, einer Plattform für Death-Fetischisten, gehören fünf der Top25-Seiten John Marshall. Auch sein erstes Projekt, Rue Morgue Entertainment, ist dabei. 20 Jahre nach seiner Gründung und trotz der Schwierigkeiten mit der Firmenwebsite, produziert das Studio auch heute noch erotische Filme. Christopher Brown hat ebenfalls nicht vor, in nächster Zeit aufzuhören, und verpackt seine Zukunftspläne gegenüber Motherboard in martialische Worte: "Wir produzieren schon seit vielen Jahren qualitativ hochwertige Fetisch-Inhalte und werden so lange weitermachen, bis die Erde explodiert."