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Geleaktes “Manifest” eines Google-Programmierers sorgt für Streit, der uns noch Jahre beschäftigen wird

Frauen seien für Leitungspositionen in der Tech-Welt “biologisch” ungeeignet, behauptet ein aufgebrachter Google-Mitarbeiter – und sorgt damit für Zündstoff.
Foto: Shawn Collins/Flickr, CC BY 2.0

Es passiert nicht häufig, dass Google-Interna an die Öffentlichkeit gelangen, doch selbst wenn, lösen sie selten so einen Sturm aus wie an diesem Wochenende: In einem Schreiben mit dem Titel "Googles ideologische Echokammer" hatte sich ein leitender Angestellter von Google an seine Kollegen gewandt. In einer internen Mailingliste verschaffte er seinem Ärger über die firmeninternen Programme für Diversität und Inklusion ordentlich Luft.

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Motherboard US hatte am Samstag zuerst über das Schreiben berichtet, das nach Aussage mehrerer Google-Mitarbeiter "intern viral" gegangen war. In dem provokanten Pamphlet geht es um die Frage, warum Frauen in der Technologie-Branche im Allgemeinen und insbesondere bei Google stark unterrepräsentiert sind.

Der Autor des zehnseitigen Dokuments, das die US-Website Gizmodo am Samstag veröffentlichte, behauptet nun: Das läge nicht an Diskriminierung und Vorurteilen innerhalb der Branche. Frauen könnten keine Tech-Chefinnen sein, weil sie eben Frauen wären.

"Ich behaupte einfach, dass die Verteilung von Vorlieben und Fähigkeiten zwischen Männern und Frauen teilweise auf biologische Gründe zurückzuführen ist, und dass dies erklären könnte, warum Frauen in der Technologie und in Führungsrollen unterrepräsentiert sind", schreibt der Mann, der bei Google in der Position eines Senior Software Engineers arbeitet.

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Der nicht namentlich genannte Google-Programmierer wirft seiner Firma außerdem vor, eine "linke Ideologie" zu vertreten, "politisch voreingenommen" zu sein und mit seinen Diversitäts- und Gleichstellungsprogrammen Mitarbeiter, die von diesen nicht profitieren, zu diskriminieren. Leute, die diese Sichtweisen ansprächen, würden jedoch "zum Schweigen gebracht".

Während sich viele Google-Mitarbeiter auf Twitter über das Schreiben lustig machten oder es inhaltlich angriffen, zeigte ein Angestellter, der sich anonym gegenüber Motherboard US äußerte, Verständnis für den Standpunkt des Pamphlet-Verfassers:

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"Wenn Kollegen in öffentlichen Foren fordern, dass er gefeuert wird, belegen sie seine Aussage, dass es [bei Google] ein ideologisches System gibt, in dem man konträre Sichtweisen stillschweigen will. Warum nicht über seine Meinung diskutieren?"

"Ich glaube, es gibt eine Menge Widerstand von weißen Typen [bei Google], die ernsthaft glauben, dass Diversität das Niveau senkt", erklärte dagegen ein früherer Google-Programmierer gegenüber Motherboard. Er möchte anonym bleiben, weil er eine Verschwiegenheitserklärung unterzeichnet hatte.

Die Debatte um das interne Dokument kommt zu einem Zeitpunkt, an dem das US-Arbeitsministerium gegen Google wegen Diskriminierung ermittelt. Bei Google gäbe es "systematisch ungleiche Bezahlung von Frauen in so gut wie der gesamten Belegschaft", sagte ein Beamter während einer richterlichen Anhörung in San Francisco aus.

Über die App Blind hatten Mitarbeiter von Google noch am Freitag einen eigenen Thread eingerichtet, um über das interne Schreiben zu diskutieren. Motherboard US konnte Screenshots des Chat-Verlaufs auf Blind einsehen.

Neben weiteren Fürsprechern, die das Schreiben "mutig" nannten stieß der Verfasser des Pamphlets hier auch auf scharfen Gegenwind seiner Kollegen. Wie folgendes Zitat eines Google-Mitarbeiters verdeutlicht, vergaßen viele dabei sich mit sachlichen Argumenten an der Diskussion zu beteiligen, sondern ließen ihren Emotionen freien Lauf:

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"Der Autor ist ein Idiot, greift auf Pseudowissenschaft zurück, um Sexismus zu rechtfertigen. Für jeden, der sich von Herzen mit dem Thema auseinandersetzt, ist es wirklich hart, so etwas zu lesen."

Noch am Samstag wandte sich Googles neue Vice President for Diversity, Integrity & Governance, Danielle Brown, in einer Memo an ihre Kollegen: "Wir glauben zweifelsfrei daran, dass Diversität und Inklusion entscheidend für den Erfolg unseres Unternehmens sind." Wie Brown in der Memo, die Motherboard in ganzer Länge vorliegt, erklärt, enthalte das umstrittene Schreiben ihrer Meinung nach "inkorrekte Annahmen über Geschlechter." Der Autor vertrete keinen Standpunkt, den die "Firma gutheißt, unterstüzt oder fördert."

Die interne Google-Diskussion um die steilen Thesen des anonymen Software Engineers hat sich derweil spätestens mit der Veröffentlichung des kompletten Schreibens durch Gizmodo zu einer öffentlichen Debatte in Medien und Sozialen Netzwerken entwickelt. Viele zeigen sich hier enttäuscht, denn der Google-Fall zeige, dass in der Tech-Branche noch immer chauvinistisches Denken die Rahmenbedingungen der Arbeitswelt bestimmt, und die Branche im Vergleich zu anderen Industrien hier keinen wesentlichen Fortschritt gemacht hat. Und da stehen wir letztendlich vor der Frage, welche eigentlich schon Jahre unter der Oberfläche des Silicon Valleys schwelt: Was bedeutet es, dass Technologie seit jeher von - zumeist weißen - Männern dominiert wird?

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Wie das Schreiben des anonymen Software Engineers eindrucksvoll unter Beweis stellt, sind die größtenteils weißen und männlichen Platzhirsche nicht bereit, auch nur einen Zentimeter von der Machtposition abzurücken, die sie innerhalb der Tech-Industrie besetzen – und dementsprechend gar nicht in der Lage, effektive Methoden zur Gleichberechtigung zu etablieren, die innerhalb der Tech-Branche die Position der Menschen zu stärken, welche von genau diesen Platzhirschen nicht akzeptiert werden.

Oder um es mit den Worten von Atlantic-Autor Ian Bogost zu sagen: "Das Computer-Business ist von der Fantasie von globaler Macht und Reichtum infiltriert, die naturgemäß mit der etablierten Macht von Männern über Generationen zusammenhängt. Wer das mit angeborenen Fähigkeiten verwechselt, verkennt die Geschichte."