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Beim gewaltigen Crash zweier Neutronensterne machen Astronomen eine sensationelle Entdeckung

Erstmals konnten Forscher eine Gravitationswelle nicht nur hören, sondern auch sehen. Neben diesem wissenschaftlichen Durchbruch fanden die Astrophysiker auch heraus, wie Gold im Universum entsteht.
Künstlerische Interpretation: Verschmelzung zweier Neutronensterne Bild:  Robin Dienel; Carnegie Institution for Science

"hab was gefunden
schick dir nen screenshot."

"wow!"

"!"

Mit diesem fast sprachlosen Chatverlauf vom 17. August feierten Forscher am Las Campanas Observatorium in Nord-Chile einen sensationellen Durchbruch in der Astronomie. Rund zwei Monate später, am gestrigen Montag verkündeten nun Vertreter des Laser Inferometer Gravitational-Wave Observatory (LIGO), seinem italienischen Pendant Virgo und 70 anderen Observatorien beim Presseclub in Washington DC den gesamten Kontext der faszinierenden Entdeckung. Damit bestätigten sich die monatelangen Gerüchte um ein nie zuvor gesehenes astronomisches Phänomen.

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An diesem schicksalhaften Augusttag, so erklärte das Team, hatten LIGO und Virgo eine Gravitationswelle aufgezeichnet, die durch die Fusion zweier Neutronensterne in der Galaxie NGC 4993 entstand, 130 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt.

Ein Teelöffel Material eines Neutronensterns wiegt rund zehn Millionen Tonnen.

Neutronensterne sind die Sternenleichen, die von der Explosion riesiger Sterne übrig bleiben. Mit zehn bis zwölf Kilometern Durchmesser sind sie eigentlich winzig, doch auf diesem kleinen Raum massiver als die Sonne. Sie sind gleichzeitig die dichtesten und kleinsten Sterne im gesamten Universum. Ein einziger Teelöffel dieser seltsamen Objekte wiegt rund zehn Millionen Tonnen. Außerdem vermuten Forscher, dass Neutronensterne das Universum mit schwereren Elementen wie Gold, Platin und Uran anreichern.

Die Beobachtung dieser jüngsten Verschmelzung zweier Neutronensterne mit dem schönen Namen GW170817 ist ein echter Durchbruch für die Astronomie. Die vier früheren Spuren von Gravitationswellen, die man seit LIGOs Entdeckung im September 2015 gefunden hatte, wurden allesamt von der Fusion zweier Schwarzer Löcher verursacht. GW170817 ist dagegen eine vollkommen unerwartete Gravitationswelle aus Neutronensternen – und das ist sogar nur die halbe Geschichte.

Im Gegensatz zu Fusionen Schwarzer Löcher, die normalerweise kein Licht emittieren, kann die Verschmelzung von Neutronensternen wie GW170817 so hell leuchten wie eine Supernova – das bedeutet, dass man mit Hilfe von traditionellen Teleskopen in der Lage ist, diese extremen Ereignisse direkt mitzuerleben. Es ist also möglich, diese exotischen Vereinigungen sowohl anhand ihres Lichtscheins als auch anhand der Gravitationswellen zu erforschen, die sie ausspucken. Wissenschaftler rund um die Welt können so diese Fusionen im übertragenen Sinne sowohl 'sehen' als auch 'hören' und noch nie dagewesene Einblicke in ihre genauen Eigenschaften bekommen.

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"Wir treten in eine neue Ära der Astrophysik ein"

Die Astronomen von Virgo und LIGO bestimmten rasend schnell den ungefähren Ort, an dem die Welle GW170817 ihren Ursprung genommen hatte, und schickten diese Info weiter an das Las Campanas Observatorium. Hier scannten Astronomen diese Region nach einem visuellen Gegenpart zu der entdeckten Gravitationswelle ab.

Und tatsächlich: Sie wurden fündig. Das junge Team in Las Campanas entdeckte das leuchtende Nachspiel des Zusammenpralls. Laut Forschern des Dunlap Institut für Astronomie und Astrophysik, die an der Entdeckung beteiligt waren, wurden die obigen Chatnachrichten von den Mitarbeitern verschickt, die den strahlenden Crash der Neutronenstern auf Schnappschüssen ferner Galaxien am Observatorium identifiziert hatten.

Dies ist das allererste Mal, dass man den Fallout dieser ungeheuren energetischen Ereignisse in zwei ganz unterschiedlichen Medien vergleichen kann: in elektromagnetischer Strahlung und als Gravitationswelle. Weil Photonen und Gravitationswellen beide mit Lichtgeschwindigkeit unterwegs sind, konnten Forscher zeigen, wie man diese kosmischen Fingerabdrücke am Observatorium direkt und gleichzeitig einfangen kann.

Ein Bild vom 28. April vom Hubble-Teleskop (links) zeigt die Galaxie NGC 4993 vor der Neutronenstern-Fusion (SSS17a). Auf dem Bild vom 17. August vom Swope Telescope am Las Campanas Observatorium in Chile ist SSS17a schon mit drauf. Bild: D.A. Coulter, et al.

"Das ist nur der Anfang", verkündete die Astronomin Maria Drout, die mitgeholfen hat, den optischen Gegenpart am Las Campanas Observatorium zu finden: "Wir erwarten, dass LIGO und Virgo noch Dutzende weitere Neutronenstern-Fusionen in den kommenden zehn Jahren finden. Wir treten in eine neue Ära der Astrophysik ein", so die Forscherin in einem Statement.

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Neutronensterne entstehen, wenn riesige Sterne, üblicherweise zehn- bis 30-mal größer als die Sonne, am Ende ihrer Lebenszeit in sogenannte Supernovae explodieren. Solche Sternenleichen sind viel zu massiv, um zu Weißen Zwergen zu werden, aber nicht ganz massiv genug, um als Schwarzes Loch zu kollabieren. Stattdessen entwickeln sie sich zu einem seltsamen Zwischending zwischen diesen kosmischen Extremen.

Eine künstlerische Interpretation eines Neutronensterns. Bild: Casey Reed/Penn State University

Schon seit Jahrzehnten sind sich Forscher sicher, dass Kollisionen zwischen derart mächtigen Objekten Gravitationswellen verursachen würden, aber niemand hat sie je direkt beobachten können. Ein Grund dafür könnte sein, dass die stärksten Gravitationswellen von den massereichsten Objekten produziert werden – daher überrascht es kaum, dass das LIGO bis heute zumeist die lauten Crashs von Schwarzen Löchern aufgezeichnet hat. Diese Ereignisse machen in diesem noch sehr jungen Bereich der Astronomie buchstäblich den meisten Lärm.

Als die beteiligten Wissenschaftler am LIGO im August begannen, gezielt erste winzige Hinweise auf ihre Entdeckung zu streuen, dauerte es übrigens nicht lang, bis Forscher im Internet Wind davon bekamen, welche Sensation hier bald angekündigt würde. Nur einen Tag nach der Entdeckung twitterte zum Beispiel der Astronom J Craig Wheeler von der Uni Texas zielsicher: "Neues vom LIGO. Quelle mit optischem Gegenpart. Das zieht euch die Socken aus!"

Spätestens, als Hubble und viele andere Teleskope rund um die Welt begannen, sich auf die Zielgalaxie NGC 4993 auszurichten, war klar: Hier passiert etwas Einzigartiges.

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Gerade mal zwei Monate später steht es nun in den Fachblättern schwarz auf weiß: Nature und Nature Astronomy veröffentlichen sieben Papers mit Details zur Untersuchung, Science hat gleich ein ganzes Paket an Studien herausgebracht. Die Schnelligkeit und die Masse an bahnbrechender Information über diese Ereignisse zeigen, dass der diesjährige Nobelpreis in Physik völlig zu Recht an drei LIGO-Pioniere vergeben wurde.

Simulation der Lichtstrahlung von einer Neutronenstern-Fusion. Bild: NASA/AEI/ZIB/M. Koppitz and L. Rezzolla

Die neuen Studien ergründen dabei die hochenergetischen Gammastrahlen-Blitze, die der Crash der beiden Sterne entfacht hatte, und liefern weitere Unterstützung für die Theorie, dass Neutronenstern-Fusionen – im Gegensatz zu Supernovae – die meisten schweren Elemente des Universums schmieden.


Bei Motherboard: Warum Weltraumbakterien wichtig für unsere Zukunft sind


So spannend dieser Durchbruch für Weltraum-Nerds rund um die Welt ist, so aufregend ist es, sich darauf zu freuen, wie häufig diese Entdeckungen in Zukunft gemacht werden. Gerade bauen Astronomen an einem globalen Netzwerk aus kleinen Observatorien, die nach der Entdeckung von Gravitationswellen sofort ihre Teleskope in den Himmel richten können, um die visuellen Spektakel dieser Ereignisse zu beobachten.

Das Universum ist noch immer voller Fragen, doch mit diesem Durchbruch im Bereich der Gravitationswellen wird eines der geheimnisvollsten Weltraum-Rätsel wohl bald keines mehr sein.