Wie es ein Hacker schaffte, El Chapos Nachfolger hinter Gitter zu bringen
Illustration: Nate Milton

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Wie es ein Hacker schaffte, El Chapos Nachfolger hinter Gitter zu bringen

Mit einem todesmutigen Trick ließ er einen der mächtigsten Drogenbosse der Welt auffliegen. Doch statt ihn wie versprochen zu schützen, lässt ihn die mexikanische Regierung hängen. Nun muss er um sein Leben fürchten.

Am 2. Mai gelang der mexikanischen Regierung im Kampf gegen das organisierte Verbrechen ein großer Erfolg: Ermittler nahmen Dámaso López Núñez fest, einen der mächtigsten Männer im berüchtigten Sinaloa-Kartell. Dabei hatten die Behörden in den vergangenen 15 Jahre lang nicht mal ein Foto des Drogenbosses zu Gesicht bekommen. Möglich wurde die Verhaftung erst durch einen Informanten, der den Gangster mit einem gehackten Android-Smartphone filmte und die Aufnahmen den Beamten zuspielte.

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Glaubt man mexikanischen Medienberichten, so genießt der Mann, den sie als "Hacker" betiteln und der mit dem Verrat an López Núñez sein Leben riskierte, momentan in den USA den bestmöglichen Schutz. Leider ist das Gegenteil der Fall: In Wirklichkeit hält sich der Hacker nämlich nach wie vor in Mexiko auf und muss um sein Leben fürchten.

Folgt Motherboard auf Facebook, Instagram, Snapchat und Twitter

Wir haben mit dem Mann, dessen Identität wir über Video-Gespräche verifizieren konnten, Kontakt aufgenommen. Momentan hält er sich an einem geheimen Ort auf, den er seit Tagen nicht verlassen hat. Er erzählt uns, dass er große Angst davor hat, dass das Kartell sich für den Verrat an ihm rächen wird. Von der mexikanischen Regierung fühlt er sich im Stich gelassen. Vergangenes Jahr hätte man ihm Schutz und 1,5 Millionen US-Dollar angeboten – dieselbe Summe, die auch als Kopfgeld auf den berühmt berüchtigten Sinaloa-Boss Joaquín "El Chapo" Guzmán ausgesetzt war. Dafür sollte er Mexiko dabei helfen, López Núñez endlich dingfest zu machen. Doch der versprochene Schutz im Austausch für die Informationen blieb aus, erklärt der Hacker.

"Die haben López Núñez nicht geschnappt", erzählt uns der Mann, der anonym bleiben möchte, um seine Identität zu schützen. "Ich habe ihn geschnappt. Ich habe ihn in die Ecke gedrängt, auffliegen lassen und ich habe sein Gesicht gefilmt – sonst hätten die gar nicht gewusst, wen sie fassen müssen."

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Vom Kartell-Hacker zum Regierungsinformanten

Es war 2014 als die López Núñez-Familie den Hacker nach seinen Angaben zum allerersten Mal kontaktierte. Er sollte herausfinden, ob es einen Weg gebe, das Hochsicherheitsgefängnis Altiplano zu hacken, in dem "El Chapo" Guzmán zu dieser Zeit einsaß und aus dem ihm später seine spektakuläre Flucht gelang.

Was López Núñez nicht weiß: Der Hacker nimmt die Szene mit Hilfe einer Spyware namens Spy Camera OS mit seiner Handykamera auf

Im Juni 2016 bat López Núñez den Hacker dann angeblich, eine Fake Social Media-Kampagne zu starten, um die "Chapitos" – Guzmáns vier Söhne – zu diskreditieren. Eine anonyme Quelle in der mexikanischen Regierung bestätigte uns, dass der Hacker von den Kriminellen für eine "Schmutzkampagne gegen die Chapo-Familie" angeheuert wurde. Seine Geschichte kann der Hacker auch mit Screenshots von diskreditierenden Facebook-Posts belegen, die ihn als Administrator zeigen.

Zu diesem Zeitpunkt lieferten sich die Chapitos nämlich gerade einen Game of Thrones-würdigen Machtkampf mit López Núñez um die Herrschaft über das Kartell. López Núñez ist auch unter dem Spitzname "El Licenciado", der Akademiker, bekannt, der auf seinen juristischen Hintergrund anspielt – denn der Drogenboss war einst auch für die Staatsanwaltschaft von Sinaloa tätig. Nach der Verhaftung von "El Chapo" wurde López Núñez als heißer Anwärter auf den Kartell-Thron gehandelt. Im Februar versuchte er angeblich zwei von Chapos Söhnen sowie Ismael "El Mayo" Zambada, ebenfalls ein ranghoher Drogenboss, ermorden zu lassen.

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Was die Gangster nicht ahnen: Der Hacker, den sie in ihre Dienste genommen haben, arbeitet mit der mexikanischen Regierung zusammen, um bei der Ergreifung von López Núñez zu helfen. So liefert er den Beamten wichtige Informationen über "El Licenciado", darunter Screenshots und GPS-Daten.

Ein Video führt die Ermittler zum Drogenboss

Am 14. Juli 2016 gelingt es dem Hacker schließlich, ein Treffen mit López Núñez in einem Fischrestaurant in Mexico City zu arrangieren. Während des Essens zeigt der Hacker López Núñez Bilder auf seinem Smartphone. Was López Núñez nicht weiß: Der Hacker nimmt die Szene mit Hilfe einer Spyware namens Spy Camera OS mit seiner Handykamera auf und fängt so López Núñez' Gesicht ein. In dem 32-sekündigen Video sieht man, wie López Núñez einen Tortilla isst, abwechselnd auf das Telefon und den Hacker blickt.

Doch der Hacker belässt es nicht dabei, das Mittagessen mit López Núñez zu filmen. Nach dem Treffen beschreibt der Hacker den Behörden ihren genauen Aufenthaltsort, damit sie ihn leichter mit Aufnahmen von Überwachungskameras abgleichen können. In einem Video, das Motherboard vorliegt, ist zu hören, wie der Hacker ausführlich darüber redet, wo López Núñez' Auto geparkt ist.

Das Video vom Mittagessen übermittelt der Hacker den Behörden eine Woche später über den verschlüsselten Filesharing-Service Mega.

Neun Monate später gelangt das erste Foto von López Núñez an die Öffentlichkeit, als ein mexikanischer Journalist im Februar einen Screenshot des damals unveröffentlichten Videos abdruckt. Am 24. April veröffentlicht ein anderer Journalist das geleakte Video; und sofort schmückt López Núñez alle Titelseiten. Nur wenige Tage später sieht man ein neues Bild des Drogenbosses in den Nachrichten – doch dieses Mal wird er in Handschellen abgeführt.

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Eine anonyme Quelle aus der mexikanischen Regierung bestätigt uns, dass das Video des Hackers essentiell zur Festnahme von López Núñez beigetragen hat: "Das Video hat bei der Ergreifung von Dámaso [López Núñez] eine wichtige Rolle gespielt", erklärt uns der mexikanische Beamte. "Ich würde sogar sagen, dass es unverzichtbar war." Ohne das Foto vom Drogenboss und einer genauen Beschreibung seines Autos wäre eine Verhaftung gar nicht möglich gewesen.

Trotzdem wartet der Hacker bis heute auf die versprochene Belohnung und sitzt in Mexiko fest. Er fühlt sich verraten und exponiert: "So arbeitet die mexikanische Regierung", sagt er resigniert. "Benutzen erst Informanten und dann lassen sie sie sterben oder töten sie oder die Leute verschwinden einfach."

Am 02. Mai 2017 wurde López Núñez vom mexikanischen Militär festgenommen. Bild: STR | AFP | Getty Images

Cyber-Operationen spielen im mexikanischen Drogenkrieg eine wichtige Rolle

In den tödlichen Wirren des organisierten Verbrechens in Mexiko spielen Hacker und andere IT-Spezialisten eine immer größere Rolle. 2015 wurde beispielsweise ein Informatiker von einem Kartell gekidnappt, der das geheime Radionetzwerk des Syndikats betreiben sollte.

Doch auch für die mexikanische Regierung ist Hacking kein Fremdwort. Die mexikanische Strafverfolgung und die Geheimdienste haben bereits Millionen in Hacking- und Überwachungstools von privaten Anbietern wie dem Hacking Team oder der NSO Group investiert, mit denen sie sowohl Kriminelle als auch Journalisten ins Visier nehmen. Auch Twitter-Bots, Trolle und diskreditierende Social-Media-Kampagnen spielen inzwischen eine wichtige Rolle in der mexikanischen Demokratie.

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"Ihr habt keine Ahnung, wie korrupt die Regierung ist und wie viele Leute sie getötet hat, um ihre Ziele zu erreichen", sagt der Mann, der Mexiko dabei half, einen der mächtigsten Drogenbosse der Welt aus dem Verkehr zu ziehen.

Tatsächlich ist dies in einem Land, in dem 98 Prozent der Mordfälle nicht aufgeklärt werden und regelmäßig Leute im Zeugenschutz sterben, kein unbegründeter Verdacht. 2011 wurden zwei Mitarbeiter der mexikanischen Generalanwaltschaft für den Mord an einem Kronzeugen verurteilt. Enrique Bayardo del Villar hatte den Behörden bei Ermittlungen geholfen, die mögliche Verbindungen zwischen dem Sinaloa-Kartell und hochrangigen Mitarbeitern der Generalstaatsanwaltschaft aufdecken sollten. Del Villar wurde damals am hellichten Tag in einem Café in Mexico City erschossen.

Indem er nun auf seine Geschichte und seine momentane Situation aufmerksam macht, hofft der Hacker, die Belohnung und den Informantenschutz zu erhalten, die ihm seiner Aussage nach versprochen wurden. "Ich möchte nur irgendwie meine Familie retten", erklärt er. "Ich mache das alles für das Leben meiner Familie."

Redaktionelle Mitarbeit: Oscar Balderas, Laura Woldenberg und Camilo Salas.

Dieser Artikel ist zuerst auf Englisch erschienen. Eine ungekürzte Version findet ihr hier .